Nach der Landtagswahl in Niedersachsen ist eines klar: SPD und Grüne haben die absolute Mehrheit und wollen koalieren. Noch in dieser Woche sollen zwischen den Parteien Gespräche stattfinden.
Was aber noch unklar ist: Welche Auswirkungen hat diese Wahl für die Politik im Bund? Kann Olaf Scholz den Sieg von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für sich nutzen, obwohl dieser im Wahlkampf immer wieder auf Distanz zum Bundeskanzler gegangen war? Kommen die Grünen nach dem guten Ergebnis in Niedersachsen auch wieder im Bund zu besseren Umfragewerten? Was bedeutet das starke Ergebnis der AfD, die nun zweistellig ist?
Auch auf der Seite der Verlierer gibt es viele spannende Fragen: Wie geht CDU-Chef Friedrich Merz mit der Niederlage um? Und: Was für eine FDP wird man in den kommenden Wochen im Bund erleben, nachdem sie in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist? Wackelt wegen der Wahl im zweitgrößten deutschen Bundesland die Koalition in Berlin? Hier lesen Sie die Reaktionen auf die Wahl im Überblick:
Die CDU gibt der Ampel Schuld an Stimmverlusten und am Erfolg der AfD
Die CDU erzielte am Sonntag in Niedersachsen ein historisch schlechtes Ergebnis von 28,1 Prozent. Landeschef Bernd Althusmann kündigte noch am Sonntagabend an, sein Amt abzugeben. Bei einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus beziehen Althusmann und CDU-Parteichef Friedrich Merz Stellung und äußern sich zu den Gründen für die Niederlage in Niedersachsen und zu den Lehren, die die Christdemokraten daraus ziehen wollen.
Althusmann sagt, es sei klar, dass die CDU ihre Wahlziele - Rot-Grün verhindern, stärkste Partei werden - nicht erreicht habe. "Wir konnten mit eigenen landespolitischen Themen nicht durchdringen." Die Energiekrise und die Sorgen der Menschen vor steigenden Preisen hätten alle anderen Themen an die Seite gedrängt, so der niedersächsische CDU-Chef. Es sei auch nicht gelungen, die Fehler der Ampel in Berlin ausreichend aufzuzeigen. Eine Wechselstimmung habe es in Niedersachsen nicht gegeben, weil Stephan Weil sich erfolgreich als "Kümmerer" habe präsentieren und wann immer möglich auch Akzente gegen die Bundesregierung habe setzen können. Die erfolgreiche Arbeit der CDU-Ministerinnen und -Minister habe seine Partei nicht ausreichend in den Vordergrund rücken können.
"Die CDU schließt das Jahr 2022 mit zwei gewonnen und zwei verlorenen Landtagswahlen ab", sagt Merz. "Es ist ein Rückschlag, ich hätte mir das Ergebnis anders gewünscht." Die Lage sei zwar nicht zufriedenstellend, aber deutlich besser als nach der verlorenen Bundestagswahl 2021. Es sei schwierig gewesen, gegen einen etablierten Ministerpräsidenten wie Weil, der "größtmöglichen Abstand von der Ampel" gesucht hat. "Wir sehen einige Wählerwanderungen mit Sorge", so Merz. Man habe zwar von der FDP Wählerinnen und Wähler gewonnen, aber an die Grünen, die SPD, die AfD und an die Nichtwähler verloren. Sorge mache ihm eine Entwicklung, die bereits seit Jahren anhalte, nämlich, dass die Wählerinnen und Wähler der CDU weniger Wirtschaftskompetenz zuschreiben als das früher üblich war.
Eine weitere Personalentscheidung gibt es in der CDU: Merz hat am Montag den Bundesgeschäftsführer der Partei, Stefan Hennewig, entlassen. Es habe ihm an "Schlagkraft" in den letzten Kampagnen gemangelt, berichtet das Portal The Pioneer. Merz widerspricht dieser Darstellung. Die Umstellung sei ohnehin geplant gewesen. Nachfolger von Hennewig soll Christoph Hoppe werden.
Die FDP will nach Wahlniederlage Profil schärfen
Die FDP sieht als Grund für die Niederlage vor allem ihre Rolle in der Ampelkoalition im Bund. Parteichef Christian Lindner sagte, das Wahlergebnis in Niedersachsen habe die Bundesregierung geschwächt. "Die Ampel hat an Legitimation verloren", sagte er auf einer Pressekonferenz. Nicht die FDP, sondern die Ampel habe ein Problem, so Lindner weiter. Daher wolle man in der Partei über die inhaltliche Balance innerhalb der Ampelregierung nachdenken.
Das Ergebnis sei Anlass dafür, das Profil der Partei zu schärfen. Man sei "die einzige liberale Partei der Mitte", sagte Lindner. Bis zum nächsten Bundesparteitag im Jahr 2023 wolle man darüber sprechen, wie das gelingen könnte.
Konstantin Kuhle, Generalsekretär der FDP in Niedersachsen, gab sich Mühe, die Enttäuschung über das Ergebnis nicht zu einer Gefahr für die Ampel im Bund werden zu lassen. Nun eine Krise in Berlin zu provozieren, wäre das, was die Rechtsextremen sich wünschten und Kremlchef Wladimir Putins Ziel von Chaos in den Demokratien entspreche, sagte er. Das Regierungshandwerk in der Berliner Ampel müsse besser werden, die FDP müsse aber in der Koalition verbleiben, sagte Kuhle, der auch Vize-Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion ist.
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab noch am Wahlabend den Koalitionspartnern SPD und Grünen in der Ampelregierung im Bund die Schuld an der Niederlage. "Meine Partei hat nach wie vor große Probleme mit dieser Koalition", sagte er. Man müsse verhindern, "dass linke Projekte in dieser Koalition umgesetzt werden".
Nach der Wahl in Niedersachsen:Die FDP will renitenter werden
Weil sie in Hannover aus dem Landtag geflogen sind, kündigen die Liberalen an, in der Ampelkoalition in Berlin künftig weniger Rücksicht zu nehmen. Seine Partei müsse "linke Projekte" von SPD und Grünen verhindern, sagt Generalsekretär Djir-Sarai.
Die SPD will Ruhe in der Ampelregierung
Ganz anders ist die Lage bei der SPD. Als klarer Sieger der Landtagswahl in Niedersachsen gilt der bisherige Ministerpräsident Stephan Weil, der wohl weiter im Amt bleiben wird. Trotz Verlusten kam seine Partei am Sonntag auf 33,4 Prozent und bleibt damit stärkste Kraft.
Noch am Abend stellte er eine Rückkehr zu einer rot-grünen Koalition in Niedersachsen in Aussicht. "Wenn ich die Chance habe, möchte ich gerne eine rot-grüne Landesregierung bilden", sagte der SPD-Spitzenkandidat. Es wäre die dritte Amtszeit für Weil.
Generalsekretär Kevin Kühnert versuchte, den Koalitionspartner im Bund zu beruhigen. "Jetzt ist keine Bundestagswahl, und wir arbeiten stoisch an dem, was wir uns vorgenommen haben", sagte er.
SPD-Chef Lars Klingbeil zeigt sich besorgt über das Ergebnis der AfD. Menschen hätten Sorgen und Ängste, aber dies dürfe nicht dazu führen, die AfD zu wählen. "Die Menschen sollen spüren, dass sie sich auf uns verlassen können", sagt er. Deshalb müsse es schnelle Beschlüsse über die Vorschläge der Gaskommission geben.
Grüne wollen eigene Themen setzen
Mit 14,5 Prozent erzielten die Grünen ein Rekordergebnis. Grünen-Chef Omid Nouripour sagte, die Parteispitze sei hocherfreut, dass die Partei in Niedersachsen ein "historisches Ergebnis" erzielt habe. Eine rot-grüne Koalition, wenn sie denn zustande käme, wäre die zwölfte Regierungsbeteiligung der Grünen, sagte Nouripour.
Der Co-Parteichef appellierte währenddessen an die Ampelkoalitionäre. Trotz unterschiedlicher Gefühle zum Wahlausgang sollte man nach außen Geschlossenheit zeigen: "Unterm Strich ist die Zusammenarbeit gut - bei allen Differenzen, die wir haben." Die Verantwortung der Regierung angesichts der aktuellen Krisen sei gewaltig und müsse weiter gemeinsam übernommen werden.
Nouripour erklärte, er werte die Vorschläge der Gaskommission zur Kostendämpfung für Verbraucher und Wirtschaft als gute Grundlage für die Diskussion. Die Ampelkoalition werde "sehr bald konkrete Vorschläge" dazu machen. Der Grünen-Co-Chef wertete die Niedersachsen-Wahl als Beleg dafür, dass die Ampelkoalition geschlossen zusammenstehen müsse, um Lösungen zu liefern. Es benötige große Kraftanstrengungen, um gemeinsam durch Herbst und Winter zu kommen.
Julia Willie Hamburg, Fraktionschefin der Grünen im Niedersächsischen Landtag, sagte: "Wir sind die Partei mit den stärksten Zugewinnen." Daraus ergebe sich ein Regierungsauftrag. "Wir werden deshalb sehr selbstbewusst in die Koalitionsverhandlungen gehen", erklärte sie. "Wir wollen Niedersachsen und die niedersächsische Wirtschaft klimaneutral aufstellen, das wird ein großer Schwerpunkt sein. Wir werden auch einen Schwerpunkt auf soziale Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit legen", sagte Hamburg. Streitthema könnte vor allem die Mobilitätswende werden.
Und Spitzenkandidat Christian Meyer erklärte: "Wir wollen die Bremsen und Blockaden bei den erneuerbaren Energien lösen. Wir wollen Niedersachsen zum Energiewendeland Nummer eins machen!"
AfD sieht sich mit zweistelligem Ergebnis als Volkspartei
Neben der SPD und den Grünen darf sich auch die AfD als Wahlsiegerin bezeichnen. 2017 landete die rechtsradikale Partei noch bei 6,2 Prozent, jetzt 2022 ist sie mit 10,9 Prozent klar zweistellig. AfD-Bundeschef Tino Chrupalla zeigte sich sehr erfreut über das Ergebnis. "Alles, was über zehn Prozent ist im Westen, ist Volkspartei. Das sind wir", sagte er. "Wir sind wieder da."