Niedersachsen13 Jahre lang nur Kronprinz, jetzt darf Olaf Lies endlich regieren

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Erst mit Mitte 30 trat er der SPD bei: Olaf Lies, neuer Ministerpräsident von Niedersachsen.
Erst mit Mitte 30 trat er der SPD bei: Olaf Lies, neuer Ministerpräsident von Niedersachsen. (Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Der Sozialdemokrat wollte schon 2011 Ministerpräsident werden, musste dann aber Stephan Weil den Vortritt lassen. Er gilt als Kompromisssucher und Händeschüttler – mit fast makelloser Bilanz.

Von Ulrike Nimz

Olaf Lies mag Esel. Gleich mehrere leben bei der vierköpfigen Familie in Friesland, „Beppo“ war der erste, so schrieb es 2014 die Neue Presse. Seither kommt kein Porträt ohne dieses Detail aus, selbst nach charakterlichen Parallelen zwischen Unpaarhufer und Politiker wird gesucht. Niedersachsens neuer Ministerpräsident sei durchsetzungsstark, ein Arbeitstier, heißt es. Was fehlt, ist der Stallgeruch.

Olaf Karsten Lies wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf, besuchte die Realschule und machte eine Ausbildung zum Funkelektroniker bei der Marine, später über den zweiten Bildungsweg sein Ingenieursdiplom. Ein sozialdemokratischer Lebenslauf ohne Sozialdemokratie, Wehrdienst statt Parteisoldat.

2002 trat Lies in die SPD ein. Da war er schon Mitte 30 und Personalratsvorsitzender der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven. Er wurde Ortschef in seiner Heimatgemeinde Sande, 2008 das erste Mal in den Landtag gewählt. Als im Jahr darauf der einstige Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke unter Untreueverdacht geriet, forderte Lies öffentlich dessen Rückzug, wurde plötzlich als tonangebend wahrgenommen in der Partei und bald darauf Landesvorsitzender.

Die größte Niederlage seiner Karriere wird schwer gewogen haben, aber er hat sie getragen, ohne einzuknicken

2011 suchte die SPD einen Herausforderer für den CDU-Ministerpräsidenten David McAllister. In sieben Duellen quer durch Niedersachsen trat Olaf Lies gegen einen gewissen Stephan Weil an, damals Hannovers Oberbürgermeister und als eher spröder Technokrat bekannt. Lies hingegen sei ein „Wanderprediger der Sozialdemokratie“ urteilte die taz, „telegen und ungestüm“ nannte ihn die FAZ. Es las sich, als habe da auf der Bühne der Lüneburger Kulturhalle Frieslands Donald Trump gestanden und nicht ein Mann, der von sich selbst sagt, er sei ein schüchterner Schüler gewesen.

In Niedersachsen aber, wo sie beim Wort „Bully“ immer zuerst an den VW-Bus denken, war die Basis nicht überzeugt. Stephan Weil wurde erst Spitzenkandidat, dann Ministerpräsident, Lies zum ewigen „Kronprinzen“. Die größte Niederlage seiner Karriere wird schwer gewogen haben, aber er hat sie getragen, ohne einzuknicken, 13 Jahre lang. Das Angebot, als Hauptgeschäftsführer zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft zu wechseln, schlug er aus. Wohl auch, weil der einstige Rivale Stephan Weil eigens seinen Urlaub abbrach, um ihn zum Bleiben zu überreden.

Als Umwelt- und Wirtschaftsminister prägte Olaf Lies den „Niedersächsischen Weg“, ein Abkommen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft, war beteiligt an der Rettung der Meyer-Werft, ließ ein Flüssiggas-Terminal in Rekordtempo bauen. Als Ingenieur sei er interessiert daran, Systeme zu verbessern, sagt Lies, der auch privat gern Stellschrauben dreht, an Motorrädern und Oldtimern, so gehört sich das im Autoland.

Auch die Vergabeaffäre überstand er weitgehend unbeschadet

Lies gilt als Kompromisssucher, als Händeschüttler. Als 2023 für den Ausbau einer Schnellstraße im Süden Hannovers ein Waldstück weichen sollte, Aktivisten ein Camp in den Bäumen errichteten, da schlug er sich durchs Unterholz und besuchte „Tümpeltown“. Der Wirtschaftsminister diskutierte mit den vermummten Umweltschützern, initiierte einen runden Tisch. Eine Eskalation wie im Hambacher Forst blieb aus, das Bauvorhaben wurde umgesetzt.

Einziger Knick in der Bilanz: die Vergabeaffäre, die Lies den „schwierigsten Moment meiner Amtszeit“ nennt. 2017 gerieten Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei unter Druck, weil Bewerber bei einer Ausschreibung bevorzugt worden waren. Ein Sprecher und die damalige Staatssekretärin Daniela Behrens mussten gehen. Lies überstand den Skandal weitgehend unbeschädigt. Behrens wurde später Innenministerin und bleibt es im Kabinett Lies.

Dessen Aufgaben sind gewaltig. Volkswagen schwächelt, die Digitalisierung stockt, die kritische Infrastruktur ist teils ungeschützt. Die Opposition zweifelt lautstark daran, dass der neue Ministerpräsident das alles schafft. Vielleicht haben Olaf Lies und Esel tatsächlich etwas gemeinsam: Sie werden unterschätzt.

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