Süddeutsche Zeitung

Niedersachsen:Die Wahl nach der Wahl

  • Am 15. Oktober finden in Niedersachsen vorgezogene Landtagswahlen statt.
  • Die Wahl gilt als richtungsweisend für die Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene.
  • Sowohl für die SPD als auch für die CDU wäre eine Niederlage katastrophal. Ohne Koalitionspartner könnte keine der beiden Parteien regieren.

Von Peter Burghardt

"Der Sonntagabend war nicht wirklich witzig", sagt Stephan Weil, er habe in Berlin "nicht gerade Partystimmung" erlebt. Niedersachsens Ministerpräsident erzählt die nicht sehr verblüffende Episode beim Bürgergespräch in Hannover, nur Tage nach der verlorenen Bundestagswahl, neben sich den ebenfalls über den Wahlausgang erschrockenen Gewerkschaftsvorsitzenden Frank Bsirske. Nun beginnt sein eigener Schnellwahlkampf. Bereits am 15. Oktober wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Es ist die Wahl nach der Wahl, und mittendrin steht er: Stephan Weil, SPD, mit dessen Schicksal jetzt viele auch bundespolitische Fragen verbunden sind.

Ursprünglich sollte seine Zukunft erst im Januar 2018 geklärt werden, das war der turnusgemäße Wahltermin. Bis dahin wäre mehr Zeit gewesen. Aber dann verließ die Grüne Elke Twesten im August überraschend ihre Fraktion, wechselte zur CDU und brachte damit die rot-grüne Regierung Weil um ihre Mehrheit. Also wurde die Abstimmung vorverlegt und findet nur drei Wochen nach der Bundestagswahl statt, was die Lage durchaus verändert.

Ampel? Jamaika? GroKo? An Planspielen ist kein Mangel in Niedersachsen

Plötzlich hat dieses Ereignis besondere Bedeutung, wobei Niedersachsen natürlich auch unter normalen Umständen eine gewichtige Rolle spielt. Es ist nach der Fläche das zweitgrößte und nach der Einwohnerzahl das viertgrößte Bundesland. Dort nahmen bundesweite Laufbahnen wie die von Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und Christian Wulff Fahrt auf, allerdings war Hannover als Startplatz für Karrieren schon mal wichtiger als heute. Der Sozialdemokrat Weil, 58, beerbte 2013 den Vorgänger David McAllister aus der CDU, weil seine SPD gemeinsam mit den Grünen einen einzigen Sitz mehr erobert hatte. Das hat sich seit dem überfallartigen Austritt von Elke Twesten erledigt.

Bei der vorgezogenen Abstimmung wird es voraussichtlich sehr, sehr knapp. Laut einer neuen Infratest-Umfrage für den NDR sind zwar mehr als die Hälfte der Befragten mit Rot-Grün zufrieden, und die SPD legt wieder leicht zu. Doch die CDU bekäme demnach 35 Prozent der Stimmen, die SPD 34, die Grünen neun, die FDP acht, die Linke fünf und die AfD sechs Prozent. Bei der Bundestagswahl hatte die CDU in Niedersachsen 34,9 Prozent gesammelt, die SPD 27,4, die Grünen 8,7, die Linke 6,9, die FDP 9,3 und die AfD 9,1.

Rot-Grün dürfte damit keine Mehrheit mehr haben. Die Bundespolitik ist vor der niedersächsischen Entscheidung wie gelähmt. Bis dahin kommen die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition in Berlin kaum in Schwung, weil niemand Wähler verprellen will. Selbst die CSU hält sich zurück. Gleichzeitig dürften sich die Anführer der beiden größten Parteien Sorgen machen. Gewinnt die CDU in Niedersachsen und könnte sie danach den Ministerpräsidenten stellen, ihren Spitzenkandidaten Bernd Althusmann, 50, dann wäre das ihr vierter Sieg bei einer Landtagswahl in Folge. Dann hätte sie die SPD in drei Bundesländern nacheinander entthront, zuletzt war dies in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gelungen. Das würde Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Union stärken. Eine Niederlage wäre dagegen umso schmerzhafter für Merkel und könnte nur sehr wohlwollend als simple Fortsetzung des regionalen Status quo interpretiert werden. Für den SPD-Chef Martin Schulz wiederum wird es entweder das nächste Kapitel einer schwarzen Serie (vier Debakel in Folge) oder deren vorläufiges Ende. Und weil auch in Niedersachsen weder die CDU noch die SPD alleine werden regieren können, machen selbstverständlich auch die Planspiele für denkbare Bündnisse die Runde. Ampel? Jamaika? Groko?

Eine Jamaika-Koalition drängt sich in Niedersachsen nicht auf

Von einer großen Koalition hält Stephan Weil wenig, auf die FDP war er zuletzt besser zu sprechen als auf die CDU. Beim Thema innere Sicherheit lobt Weil in diesem Hannoveraner Verdi-Saal seinen SPD-Innenminister Boris Pistorius. Er stellt sogar die Möglichkeit in den Raum, die AfD aus dem Landtag heraushalten zu können. Die Politik, räumt Weil aber ein, habe "erkennbar den Draht zu den Leuten verloren". Ansonsten geht es um Arbeit, Lohndumping, Pflege, Bildung, Digitalisierung, öffentlichen Nahverkehr, soziale Gerechtigkeit, vor Weil und Bsirske sitzen Gewerkschafter und andere Interessenten. Zu Wort meldet sich auch jener junge Krankenpfleger, der in der ARD-Wahlarena die katastrophalen Bedingungen in seinem Berufsstand benannt und Angela Merkel in Verlegenheit gebracht hatte. Weil verspricht deutlich mehr Personal und fragt sich, weshalb die SPD das Thema nicht früher in den Vordergrund gerückt habe: "Das hat hohe gesellschaftliche Zustimmung.

Also, der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt." Sein CDU-Rivale Bernd Althusmann hat in Hildesheim die Kanzlerin zum Wahlkampfauftritt dabei. Sie kommt von der Beerdigung des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler und muss gleich wieder Wahlkampf machen, im knallgelben Blazer. Die Kampagne nach der Kampagne. Als Wahlhelfer entdeckt Angela Merkel ihren Vorgänger Gerhard Schröder, weil der an der Wirtschaftskompetenz seiner SPD gezweifelt hatte. Zumindest konnte ihn so verstehen, wer ihn so verstehen wollte. "Deshalb braucht es einen Wechsel in Niedersachsen", findet Merkel. Sie schimpft auf den (ansonsten recht strengen) Innenminister Boris Pistorius und dessen Ideen, Pyrotechnik in bestimmten Zonen von Fußballstadien zu gestatten und das Vermummungsverbot zu lockern. Sie wettert gegen den grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer - das ausgedehnte Niedersachsen ist ja ein Kampfplatz von Agrarindustrie gegen Tierschutz und Ökologie. Meyer hatte vor ein paar Wochen von "schwarz-gelben Hetzern" gesprochen. Althusmann spricht von "Gauland-Rhetorik der Grünen".

Jamaika drängt sich so gesehen nicht unbedingt auf in Niedersachsen. "Diese Interimsregierung in Hannover muss abgelöst werden", ruft Althusmann, der zwischen 2010 und 2013 Kultusminister war. Viermal will Angela Merkel ihm vor der Landtagswahl noch beistehen. Stephan Weil tritt nächste Woche zunächst nicht mit Martin Schulz auf, wie man vielleicht hätte erwarten können. Sondern mit Boris Pistorius, seinem als Hardliner bekannten Innenminister.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3687367
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.09.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.