Geert Wilders mag die Medien nicht, er kommuniziert lieber über soziale Medien. Ordinäre Pressekonferenzen hält der niederländische Rechtspopulist äußerst selten ab. Wenn er aber doch mal eine einberuft, wie am Montagnachmittag, müssen alle in Den Haag die Ohren spitzen. Denn Wilders ist nun einmal Chef der mit großem Abstand wählerstärksten Partei des Landes. Und nur deshalb nicht Ministerpräsident, weil zwei gemäßigt rechte Koalitionspartner den Radikalpolitiker unbedingt in dieser Position verhindern wollten.
Wilders’ einziges Thema, wie zuletzt fast immer: die Migration, also ihre Begrenzung, die sich viele Niederländer wünschen. Wilders’ Freiheitspartei PVV gewann die Wahl 2023 mit dem Versprechen, die strengste Asylpolitik Europas einzuführen, auch die Regierung unter Führung des Parteilosen Dick Schoof hat sich dies zum Ziel gesetzt. Zu sehen ist davon bisher wenig, mit Ausnahme von ein paar zusätzlichen Grenzbeamten. Koalitionspartner und Experten äußerten Bedenken gegen manche Maßnahmen, und der zuständigen Ministerin Marjolein Faber, immerhin von der PVV, fehlt es offensichtlich an Durchschlagskraft. Ihre Gesetze hängen im Parlamentsbetrieb fest wie Klebstoff.
Als Erstes will Wilders die Grenzen für Asylsuchende schließen. Mache Deutschland doch jetzt auch
Schon mehrmals hat Wilders diesen Zustand öffentlich bedauert, hat indirekt mit Konsequenzen für das Regierungsbündnis gedroht, wenn es nicht endlich vorangehe. Seine Appelle verhallten. Stattdessen schössen neue Asylzentren „wie Pilze aus dem Boden“, klagt er, die Asylpolitik in Deutschland, Österreich und Belgien sei längst strenger als in den Niederlanden. Das könne so nicht weitergehen, er werde den Wünschen seiner Anhänger und Wähler nicht mehr gerecht: „Es muss jetzt geliefert werden. Und zwar schnell. Wir ziehen ab heute die Handschuhe aus. Wir haben genug Wasser in den Wein geschüttet.“
Wilders’ Forderungen sind nicht neu, das meiste stammt aus dem Wahlprogramm der PVV. Als Erstes will er die Grenzen für alle Asylsuchenden schließen. Nach aktuellem deutschem Vorbild. „Man stelle sich vor, wir Niederländer wären vorangegangen“, sagt er, „wir hätten wahrscheinlich sofort einen Verweis aus Brüssel bekommen. Es hilft enorm, dass das größte Land Europas das jetzt auch macht.“ Rechtlich sei das kein Problem, man müsse sich nur auf eine inländische Notlage berufen. Zur Umsetzung brauche es noch mehr Grenzbeamte, notfalls Soldaten.
Außerdem müsse der Nachzug von Familienangehörigen vorübergehend vollständig unterbunden werden. Hier ist wiederum Österreich der Vorreiter. Syrer ohne Aufenthaltsrecht sollen zurück nach Syrien geschickt werden. Ebenso sollen Ausländer, die für schwere Vergehen verurteilt wurden, das Land verlassen. Haben sie eine doppelte Staatsangehörigkeit, soll ihnen die niederländische entzogen werden.
In Den Haag rätseln sie, was er wirklich bezweckt
Dass Wilders bei der Migration schnell die Geduld verlieren würde, war absehbar, als er sich auf die Teilnahme an der Regierung einließ. Denn der knallharte Antimigrationskurs, der ihm vorschwebt, trifft auf Hindernisse in einer EU-Demokratie. Die wichtigsten Regeln sind europäischer Natur. National lässt sich entweder relativ wenig bewegen – oder es verstößt gegen internationale Verträge. Das ist Wilders bewusst. Dann müssten die Niederlande diese Verträge eben aufkündigen, sagt er in klassisch rechtspopulistischer Manier.
Wilders gibt der Regierung „einige Wochen“ Zeit, um seine Forderungen aufs Gleis zu setzen. Sonst werde man die Koalition eben verlassen. Weder als Ultimatum noch als Diktat will er dies verstanden wissen, den Koalitionsvertrag will er nicht neu schreiben. Und doch sei, was er sage, keinesfalls „unverbindlich“.
In Den Haag wird entsprechend gerätselt, was den ausgebufften Strategen in Wahrheit zu seinem Auftritt veranlasst hat. Geht es ihm vor allem um Aufmerksamkeit, um ein Signal an die Wähler, die ihm in jüngster Zeit laut Umfragen verstärkt davonlaufen? Oder sammelt er schon rhetorisches Kapital an für den Fall, dass er das Regierungsbündnis tatsächlich bald zu Bruch gehen lässt? Wackelig genug ist es schon, davon zeugen diverse Kabinettskrisen der vergangenen Monate.
Die Koalitionspartner – aus Erfahrung klug geworden – reagierten zurückhaltend auf den Auftritt. Man wäre schon viel weiter, erklärte die rechtsliberale VVD, wenn Ministerin Faber die „strukturellen Lösungen“ geliefert hätte, die in der Koalition vereinbart worden seien.