Süddeutsche Zeitung

Niederlande:"Verhaltet euch normal"

  • Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat sich in einem Brief "An alle Niederländer" gewandt.
  • Er will damit den Wählern von Geert Wilders zeigen, dass er ihre Sorgen ernst nimmt.
  • Der Brief oder besser die Werbeanzeige beschreibt, welche Tugenden ein "normaler" Niederländer haben sollte.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

"An alle Niederländer": So ist der Brief von Ministerpräsident Mark Rutte überschrieben, der ganzseitig in den acht wichtigsten Zeitungen des Landes erschienen ist. Aber Rutte meint gar nicht alle Niederländer, er zielt allein auf Einwanderer und Flüchtlinge, die sich seiner Ansicht nach nicht an die Regeln halten. "Wir empfinden wachsendes Unbehagen, wenn Menschen unsere Freiheit missbrauchen, um den Laden durcheinanderzubringen, obwohl sie doch gerade wegen dieser Freiheit hierhergekommen sind." Ihnen ruft er zu: "Verhaltet euch normal oder geht."

Die wahren Adressaten sind natürlich noch einmal andere: Es sind jene Niederländer, die erwägen, bei der Wahl am 15. März ihr Kreuz bei Geert Wilders' Freiheitspartei zu machen. Ihnen will Rutte signalisieren, dass er ihre Gefühle teilt, dass auch er jener "stillen Mehrheit" angehört, die "guten Willens" ist, dass man gemeinsam ein großes, gutes "Wir" bildet: "Wir arbeiten hart, wir helfen einander und halten die Niederlande für ein cooles Land."

Mit dem Brief, oder besser: der Werbeanzeige steigt Rutte in den Wahlkampf ein. Der Rechtsliberale kennt seinen wichtigsten Gegner: Wilders liegt in den Umfragen vorn. Eine Koalition mit dem Nationalisten schloss Rutte vergangene Woche aus, nun greift er inhaltlich an. Wilders wird gewählt, weil er den Menschen Sicherheit verspricht, weil er ihre Identität schützen, sie vor Fremdem, vor Unordnung bewahren will. Nun signalisiert Rutte, dass er das alles auch kann, dass er der bessere Wilders wäre.

In vielen Zeilen umreißt er, was er für "nicht normal" hält: Menschen, die glaubten, immer Vorfahrt zu haben, Abfall auf die Straße werfen, Busfahrer bespucken, "in Gruppen herumhängen" und andere bedrohen oder gar misshandeln. Menschen, die sich nicht anpassen wollen, die Homosexuelle belästigen, Frauen in kurzen Röcken hinterherpfeifen oder "normale Niederländer als Rassisten bezeichnen".

Normal sind für Rutte Menschen, die das Beste aus ihrem Leben machen

Normal hingegen sei, dass man einander die Hand schüttele (eine Anspielung auf die Weigerung eines muslimischen Fußballers, weibliche Reporter per Handschlag zu grüßen), dass man anständig zuhört, statt andere niederzuschreien, dass man Lehrer respektiert, nicht auf Hilfe baut, sondern für sein Geld arbeitet und versucht, das Beste aus seinem Leben zu machen. Und dass man in schweren Zeiten auch mal einen Arm um jemanden legt.

Das alles, so die implizite und wenig inklusive Botschaft, sei Einwanderern fremd. Aber nein, baut Rutte (oder ein geschickter Texter) vor: Keinesfalls dürfe man alle über einen Kamm scheren und gar ganze Gruppen von Menschen aus dem Land werfen. Es gehe nur darum, "unsere Werte aktiv zu verteidigen".

Ruttes Brief hat Vorläufer: Schon 2015 rief der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb islamistischen Einwandern zu, sie sollten "in Himmels Namen" ihre Koffer packen und abhauen. Im vergangenen Jahr gab Rutte eifernden Anhängern des türkischen Präsidenten denselben Rat. Die Konkurrenz reagierte auf den Brief mit heftiger Kritik. Rutte sei nur der "schwache Aufguss eines Populisten", sagte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Lodewijk Asscher. Jesse Klaver von Grün-links monierte: Rutte habe jahrelang Egoismus gepredigt und solle sich nun nicht als Hüter der Werte aufspielen.

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SZ vom 25.01.2017
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