Niederlande:Dicke Rüge für die Regierung

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Viele Kühe pro Quadratmeter: ein großer Milchviehbetrieb in der niederländischen Provinz Friesland. (Foto: Piroschka Van De Wouw/REUTERS)

Ein Gericht in Den Haag gibt einer Klage von Greenpeace gegen die Stickstoffpolitik der Niederlande statt und droht mit einer Geldstrafe. Das Urteil ist die Quittung für jahrelanges Politikversagen.

Von Thomas Kirchner, München

Die niederländische Regierung hat am Mittwoch eine „Ohrfeige“ erhalten, wie danach allenthalben zu lesen war. In wesentlichen Punkten gab ein Gericht in Den Haag einer Klage von Greenpeace recht, die sich gegen die Stickstoffpolitik der Regierung richtet. Diese Politik, so das Zivilgericht, sei nicht geeignet, die gesetzlich festgelegten Umweltziele zu erreichen. Deshalb müsse der Staat dafür sorgen, dass die schädlichen Emissionen von Stickstoffverbindungen in mindestens 50 Prozent der Naturschutzgebiete bis Ende 2030 so drastisch reduziert werden, dass sie den zugelassenen Grenzwert nicht länger übersteigen. Gelinge das nicht, werde eine Strafe von zehn Millionen Euro fällig.

Regierungskritiker hatten das Urteil erwartet, auch in seiner drastischen Deutlichkeit. Es ist ein neuerlicher Baustein eines Politikversagens, das in den Niederlanden „Stickstoffkrise“ genannt wird. Zu hohe Ammoniakeinträge in Böden, vor allem aus der Land- und besonders der Viehwirtschaft, sind in vielen europäischen Ländern ein Problem. Die Niederlande, drittgrößter Agrarexporteur der Welt, kämpfen in hohem Maße damit, auch weil dort im Verhältnis zur Fläche viele Schweine und Rinder gezüchtet werden. Deshalb werden die erlaubten Grenzwerte chronisch überschritten, mit massiven Folgen für die Umwelt: Feuchtgebiete vertrocknen, seltene Tiere und Pflanzen verschwinden.

Der Agrarsektor verursacht zwei Drittel der Stickstoffeintragungen in Naturschutzgebieten

Bis heute haben die niederländischen Kabinette im Prinzip nicht ernsthaft versucht, dieses Problem zu lösen. Zunächst versuchten sie es mit der Ausgabe von Stickstofflizenzen, ahndeten Übertretungen aber nicht. 2019 machte das Oberste Gericht in einem epochalen Urteil Schluss mit der Praxis und ermahnte die Politik, sich an ihre eigenen Regeln zu halten. Danach lag auf der Hand, dass es nur noch eine Möglichkeit gibt: Der Agrarsektor ist verantwortlich für zwei Drittel der Stickstoffeintragungen in den Naturschutzgebieten. Das meiste davon geht auf das Konto von Nutztieren. Deren Anzahl müsste folglich kräftig gesenkt werden.

Als Politiker allerdings begannen, von einer nötigen „Halbierung“ des Nutztierbestands zu sprechen, brach ein Proteststurm der Bauern los, der sich seither mehrmals wiederholte und meist von intensiver Gewalt begleitet war. Radikale Landwirte sind gut organisiert in den Niederlanden und werden unterstützt von Populisten, die Umweltpolitik für überflüssig halten. Der Gegenwind, den diese relativ kleine Gruppe auslöst, hat eine seriöse politische Lösung bisher verhindert. Sie bestünde in einem teuren politischen Kraftakt, dem Aufkaufen von Tausenden Bauernhöfen inklusive Vieh, besonders in der Nähe von Naturschutzgebieten.

Die Mitte-links-Koalition von Ex-Ministerpräsident Mark Rutte versuchte sich immerhin daran, gestützt auf die Empfehlungen mehrerer Beratungskommissionen. Sie beschloss auch jenen Fahrplan zur Reduktion der Emissionen, an den das Haager Gericht nun erinnerte. Dass zunächst noch Zwangsschließungen von Betrieben im Raum standen, führte zu neuerlichen Protesten und Autobahnblockaden, einem spektakulären Regionalwahlsieg der Bauer-Bürger-Bewegung BBB und einem weiteren Einknicken der Regierung. Von großen Plänen blieben am Ende nur noch ein Fonds mit 25 Milliarden Euro und der Hinweis an die Provinzregierungen, sie sollten selbst schauen, wie die Schutzziele erreicht werden könnten.

In rechten Kreisen ist es seit Langem Konsens, dass die Krise eigentlich gar keine sei

Die amtierende Rechtsregierung von Ministerpräsident Dick Schoof ging im September 2024 vollends in eine andere Richtung. Sie strich das Geld aus dem Fonds weitgehend und kündigte neue Regelungen an, deren Inhalt sich bisher allerdings nicht ansatzweise abzeichnet. Bestimmt wird dieser Obstruktionskurs von zwei der vier Kabinettsparteien: der populistischen BBB, die auch die Agrarministerin stellt, sowie der noch populistischeren PVV von Geert Wilders. Die beiden anderen, gemäßigteren Regierungsparteien – vor allem der Neue Sozialvertrag von Pieter Omtzigt – haben wiederholt dazu aufgerufen, die Umweltschutzziele nicht zu ignorieren.

Doch genau das haben Wilders und BBB-Chefin Caroline van der Plas offenbar im Sinn. Sie propagieren für die „Stickstoffkrise“ eine simple Lösung: die Grenzwerte senken oder gleich ganz kippen. In diesem Sinne kommentierten beide am Mittwoch das Urteil. Dass es die Regierung zur Umkehr bringt, ist wenig wahrscheinlich. In rechten Kreisen ist es seit Langem Konsens, dass die Krise eigentlich gar keine sei und nur in den Köpfen überambitionierter Umweltpolitiker und „woker“ Wissenschaftler existiere.

Nach deren Auskunft hingegen steht es objektiv nicht gut um die Umwelt in den Niederlanden. Fast 90 Prozent der 162 nationalen „Natura 2000“-Gebiete, die zum europäischen Netz von Naturschutzgebieten gehören, sind in einem schlechten Zustand. Daran etwas zu ändern, ist keine Kann-Vorschrift, sondern eine Verpflichtung, die auf europäischen Richtlinien beruht, denen niederländische Regierungen zugestimmt haben.

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