Süddeutsche Zeitung

Niederlande:Tote in Utrecht nach Schießerei

Ein Mann schießt in einer Trambahn um sich. Die Polizei schließt weder ein terroristisches Motiv, noch ein Familiendrama aus.

Von Matthias Kolb, Alexander Mühlauer, Frank Nienhuysen, Brüssel/München

Bei einem Anschlag in einer Straßenbahn sind in der niederländischen Stadt Utrecht drei Menschen getötet und fünf weitere verletzt worden. "Es ist ein schwarzer Tage für unsere Stadt", sagte Bürgermeister Jan van Zanen am Montagabend. Der Täter war zunächst geflüchtet, wurde aber am Abend gefasst. Der Zugriff sei am Abend bei einer Wohnungsdurchsuchung im Utrechter Zentrum erfolgt, teilten die Ermittler mit. Sein Motiv ist nach van Zanems Angaben noch offen: Sowohl ein terroristischer Hintergrund als auch ein Familiendrama seien denkbar. Die Behörden hatten am Mittag den Namen und ein Foto des mutmaßlichen Täters veröffentlicht, der in der Tram um sich geschossen haben soll. Laut Polizei handelte es sich bei dem Festgenommenen um den 37-jährigen Gökmen T. Dieser sei türkischer Herkunft, teilte die Stadt Utrecht via Twitter am Montag mit. T. ist polizeibekannt. "Wir wissen relativ viel über ihn", hieß es beim Innenministerium. Der mutmaßliche Täter hat nach Medienberichten ein langes Vorstrafenregister, im Dezember 2013 wurde er demnach wegen versuchten Mordes verurteilt, vor zwei Wochen begann eine Verhandlung wegen Vergewaltigung. Darüber hinaus wurde er wegen Ladendiebstahls, Sachbeschädigung und Beleidigung vor Gericht gestellt. Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, der Tatverdächtige habe auf eine Verwandte geschossen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte in einem TV-Interview, der Geheimdienst untersuche, ob der Mann aus persönlichen Motiven gehandelt habe oder ob es sich um einen Terrorakt gehandelt habe. Im Zusammenhang mit der Tat wurde nach Angaben der Polizei am Abend ein zweiter Verdächtiger festgenommen. Es sei aber unklar, inwieweit er beteiligt gewesen sei. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte verurteilte die Tat. Er sprach von einer "Terrortat", aber nicht ausdrücklich von einem terroristischen Motiv. Nach der Festnahme stufte die zuständige Behörde die Terrorwarnstufe für die Provinz allerdings von 5 auf 4 zurück. Rutger Jeuken vom niederländischen Innenministerium sagte am Abend, die Spuren deuteten auf ein terroristisches Motiv hin, man könne jedoch auch andere Motive nicht ausschließen. Am Nachmittag hatte ein Polizeisprecher gesagt: "Es könnte auch sein, dass es eine Beziehungstat ist." Nach Angaben der Polizei ereignete sich die Tat gegen 10.45 Uhr am Platz des 24. Oktober in einem ruhigen Wohnviertel am Stadtrand. Eine Augenzeugin, die in der betroffenen Tram ganz hinten saß, berichtete der Zeitung NRC Handelsblad, wie der Verdächtige "eine große Pistole" zog und um sich schoss. Weil sich die Tür der Straßenbahn nicht öffnen ließ, hätten zwei junge Männer eine Scheibe eingetreten. Ein weiterer Augenzeuge sagte einem Zeitungsbericht zufolge, dass der Schütze wohl gezielt auf eine Frau schoss und dann auf diejenigen zielte, die ihr helfen wollten. Die Polizei durchsuchte nach der Schießerei eine Wohnung in einem Apartmentblock in Utrecht. Die Stadtverwaltung forderte die Menschen in Utrecht zunächst dazu auf, ihre Häuser nicht zu verlassen. Am späten Nachmittag gab sie eine erste Entwarnung. Aus Sicherheitsgründen schloss die Universität ihre Türen. Gleiches galt für alle Schulen und Kitas in Utrecht. Die Moscheen in der Stadt wurden vorsorglich geschlossen. Im niederländischen Regierungszentrum in Den Haag wurde die Polizeipräsenz deutlich verstärkt.

Die Niederländer müssen schon seit Längerem mit der Gefahr von Terrorismus leben. Erst im vergangenen Herbst und Dezember hatten die Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben eine Terrorzelle ausgehoben und einen großen geplanten Anschlag vereitelt. Der niederländische König Willem-Alexander und Königin Máxima zeigten sich nach dem Anschlag von Utrecht bestürzt. In einer Erklärung des Hofes hieß es: "Unser tiefes Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Familien."

In Deutschland verstärkte die Polizei unmittelbar nach der Tat an der Grenze zu den Niederlanden ihre Kontrollen an Straßen und in Zügen.

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SZ vom 19.03.2019
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