Niederlande:Klebstoff in den Staatsgeschäften

Lesezeit: 3 Min.

Stickstoff-Ministerin Christianne van der Wal (r.) lauscht den Vorwürfen von Caroline van der Plas, der Gründerin der Bauernprotest-Partei BBB. (Foto: Phil Nijhuis/Imago)

Die Niederlande stehen weiterhin im Bann der "Stickstoffkrise". Der Plan der Regierung, wegen der umweltschädlichen Überdüngung Tausende Bauernhöfe aufzukaufen, droht zu scheitern.

Von Thomas Kirchner

Am Dienstag dieser Woche genehmigte die EU-Kommission die Pläne der niederländischen Regierung, mehrere Tausend Bauernhöfe aufzukaufen, um die Stickstoffbelastung zu senken. Das sei keine unerlaubte Staatshilfe, hieß es aus Brüssel, sondern "notwendig und angemessen", damit sich die geschädigte Natur erholen könne. Das war allerdings nur insofern eine gute Nachricht für Premier Mark Rutte, als das Gegenteil, ein Nein der Kommission, seine Regierung in eine noch viel größere Bredouille gebracht hätte.

Die Lage ist schwierig genug. Die "Stickstoffkrise" hält die Niederlande weiterhin im Würgegriff. Ob Wohnungsbau oder Verkehr und Infrastruktur: Viele wichtige Projekte stehen derzeit unter Vorbehalt oder sind von Gerichten schon gestoppt worden, weil sie zu noch mehr Ausstoß und noch mehr Schaden für die Natur führen könnten. Wie Klebstoff ist der Stickstoff in die Staatsgeschäfte eingedrungen. Das Land sei "festgefahren", hört man allenthalben. Ein Scheitern der Regierung, die auch bei anderen Themen unter Druck steht, ist jederzeit möglich. Die Bürger murren immer vernehmlicher, wie jüngst der Sensationssieg von Caroline van der Plas und ihrer Bauernprotest-Partei BBB bei den Provinzwahlen zeigte.

Zu viele Rinder, zu viele Schweine, zu viele Emissionen

Eigentlich liegt der Ausweg auf der Hand: Es gibt zu viel Rinder, Schweine und anderes Vieh, die entscheidend zu den schädlichen Emissionen beitragen. Die kleinen Niederlande sind der größte Fleischexporteur Europas. Deshalb will Stickstoff-Ministerin Christianne van der Wal nun 3000 Viehzuchtbetrieben, die geschützte Naturgebiete besonders stark belasten, anbieten, sich aufkaufen zu lassen. Sie sollen 120 Prozent des Marktpreises für ihren Betrieb erhalten und dafür versprechen, ganz aus dem Geschäft auszusteigen. Auch für Bauern, die weniger Ausstoß verursachen, soll das befristete Angebot gelten, sie würden zu 100 Prozent entschädigt.

1,5 Milliarden Euro sollen die Programme kosten. Neben dem Naturschutz und dem Neustart für Bauprojekte geht es darum, den etwa 2600 Agrarunternehmen zu helfen, die unverschuldet ohne Emissionslizenz dastehen, weil sie zu früheren Zeiten keine beantragen mussten.

Es gibt nur ein Problem: Viele Bauern werden das Angebot wohl ausschlagen. Die Spitzen-Emittenten sind meist große, marktstarke Betriebe, die keinerlei Lust haben aufzuhören. Die Regierung möge sich von ihrem freiwilligen Aufkaufprogramm nicht zu viel versprechen, hatten Experten 2022 schon gewarnt. Soll man die Widerständigen also zur Aufgabe zwingen? Das würde sicher neue Bauernproteste provozieren, es ist das Reizwort in der Diskussion. Heikel ist allein schon die Definition eines Spitzen-Emittenten. In jedem einzelnen Fall sind Existenzen in Gefahr. Deshalb muss das Kabinett rechtlich sattelfest sein.

Auch der politische Widerstand gegen die Pläne ist beträchtlich - in der Opposition, wo rechte Extremisten die Krise begrüßen, wie in der regierenden Koalition. Dort kämpfen nur die Linksliberalen von D66 aus Überzeugung für weniger Vieh. Der christdemokratische CDA hingegen, traditionell Vertreter bäuerlicher Interessen, tritt seit den Denkzettel-Provinzwahlen auf die Bremse. Vizepremier Wopke Hoekstra (CDA) hat das Koalitionsziel, den Stickstoffausstoß bis 2030 zu halbieren, relativiert. Nun soll abgewartet werden, wie die neuen, von BBB dominierten Provinzregierungen reagieren, die die Programme umsetzen müssen. Ein langer Hickhack zeichnet sich ab, ein politischer Abnutzungskrieg.

Die Überdüngung zerstört Moore

Dabei dauert die Krise schon lange. "Juristisch" begann sie Ende Mai 2019. Damals verwarf der Raad van State (RvS), die höchste verwaltungsgerichtliche Instanz, die geltende Stickstoffpolitik. Scheinlösungen seien nicht mehr zulässig, hieß es, der Staat müsse nun tatsächlich dafür sorgen, dass weniger emittiert werde. Weil sonst noch mehr Moore an Überdüngung kaputtgingen.

Im Vergleich zu den 1990er-Jahren sind die Einträge zwar stark gesunken, doch seit 2010, seit Rutte regiert, stagniert der Wert, auch wegen der Abschaffung der Milchquoten. Zwei Drittel kommen aus dem Inland, und hier überwiegend aus der Landwirtschaft (in Form von Ammoniak), sowie aus Industrie und Verkehr (Stickstoffoxid). Der RvS erinnerte im Wesentlichen an die Rechtslage, die die Regierung, um den gut organisierten Bauern nicht zu nahe treten zu müssen, im Kern jahrelang ignoriert hatte.

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Aber ist der viele Stickstoff denn wirklich so schlimm, wie die Experten behaupten? Darüber hat eine wilde Debatte eingesetzt, entfacht von dem Wissenschaftsjournalisten Arnout Jaspers und seinem Bestseller "Die Stickstofffalle: Politiker im Bann der Ökolobby". Die These: Die Regierung hat sich die Krise aufzwingen lassen, in Wahrheit gibt es sie gar nicht. Ließe man die Dinge laufen, wüchsen in den Mooren einfach mehr grüne Pflanzen. Na und? In den EU-Regeln komme das Wort Stickstoff nicht einmal vor.

Exakt so argumentiert van der Plas. Es gebe viele Wege zum Naturschutz. Nicht nur den Stickstoff. Die meisten seriösen Wissenschaftler widersprechen. Auch EU-Kommissar Frans Timmermans betonte nach einem Gespräch mit van der Plas: "Wir können nicht so tun, als gäbe es das Stickstoffproblem nicht." Eine Ausstoßsenkung sei "essenziell", damit sich die Natur in den Niederlanden erholen könne.

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