Süddeutsche Zeitung

Niederlande:Abgang eines rechten Hoffnungsträgers

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Der niederländische Nationalpopulist Thierry Baudet war auf dem Weg nach ganz oben. Jetzt ist er über einen Rassismus-Skandal in seiner Partei gestürzt.

Von Thomas Kirchner

Ein Teil der Niederlande - genauer: das nationalkonservative Publikum, das gegen die EU und gegen Einwanderung wettert, den Klimawandel für eine große Lüge und den Ungarn Viktor Orbán für einen europäischen Helden hält - hatte große Hoffnungen in Thierry Baudet gesetzt. Sogar als künftiger Ministerpräsident wurde der 37 Jahre alte Vorsitzende des Forums für Demokratie (FVD) schon gehandelt. Und er glaubte wohl auch selbst daran, als seine Umfragewerte im vergangenen Jahr höher und höher kletterten, so hoch, dass viele dachten, der ehrgeizige Politik-Neuling werde den Islamkritiker Geert Wilders als Führungsfigur auf der Rechten dauerhaft ablösen.

Es ist anders gekommen. Am Montagabend gab Baudet in einem Video bekannt, dass er als Spitzenkandidat des Forums für die Parlamentswahl im Frühjahr nicht zur Verfügung stehen werde. Grund war interne Kritik an seinem Umgang mit einem Rassismus-Skandal beim Parteinachwuchs. Vorsitzender wolle er jedoch bleiben, sagte Baudet, vielleicht auch wieder ins Parlament einziehen, überhaupt der Partei weiter dienlich sein. Es war ein halber Abgang. Der Rest folgte Dienstagmittag, als er nach internen Besprechungen doch auch den Vorsitz der Partei aufgab. Offenbar war die Reaktion auf sein abruptes Hinschmeißen parteiintern negativer für ihn gewesen als erwartet.

Der Vorgang, der zu Baudets Rückzug führte, ist eigentlich unzweideutig. Eine Zeitung hatte am Wochenende Whatsapp-Dialoge zwischen Mitgliedern des Jungen Forums für Demokratie (JFVD) veröffentlicht, in denen es von rechtsextremen, antisemitischen, mithin neonazistischen Inhalten wimmelte. Weil das nicht zum ersten Mal passiert war, drängten Mitglieder des Parteivorstands Baudet, beim JFVD endlich konsequent aufzuräumen und sich, im Interesse der Partei, am besten sofort von der ganzen Abteilung zu trennen.

Das fiel Baudet offenbar schwer. Aus den Reihen des JFVD erfährt er besonders intensive Verehrung; vor allem aber ist JFVD-Chef Freek Jansen einer seiner engsten Vertrauten. Die Abendnachrichten zeigten am Montag, wie sich Baudet und Jansen nach einem Krisengespräch ausgiebig umarmten. Jansen denkt wie Baudet, er träumt von einer Renaissance traditioneller Werte und der überschaubaren Welt des 19. Jahrhunderts. Statt ihn fallen zu lassen, wurden vielmehr jene, die das Chat-Protokoll durchgestochen hatten, mit einer Untersuchung bedacht. Nach Protest aus der Parteiführung setzte Baudet eine Kommission ein, die die Angelegenheit überprüfen sollte. Dasselbe war schon bei einem früheren Vorfall geschehen, fast ohne Ergebnis.

Gegen "Altparteien" und traditionelle Medien

Nachdem ihm Kritiker immer stärker zugesetzt hatten, zog Baudet schließlich die Konsequenzen. Offenbar versuchte er zunächst, sie nur ein bisschen zu ziehen, die ihm getreuen Teile der Partei damit zu mobilisieren und den Machtkampf auf diese Weise für sich zu entscheiden. Das ist misslungen.

Für Baudet könnte dies das Ende als Politiker bedeuten. Begonnen hatte seine Karriere mit einem überraschenden Sieg bei dem von ihm selbst mit angestrengten Referendum über den Assoziationsvertrag der Ukraine mit der EU. Der Erfolg machte ihn bekannt, und Baudet beschloss 2015, das Forum als Partei zu gründen. Sein Motto: "Die Politik wird unseren heißen Atem zu spüren bekommen." Gemeint waren die "Altparteien", ein "Kartell", das er im Verbund mit den angeblich parteiischen traditionellen Medien sieht.

Das Forum zog zwar schließlich nur mit zwei Abgeordneten ins Parlament ein, doch machte der telegene Baudet in der Folge durch kalkulierte Tabubrüche im Parlament und intensive Social-Media-Arbeit von sich reden. Schnell wuchs das Forum zur mitgliederstärksten Partei des Landes an. 2019 schließlich kam es bei Regionalwahlen landesweit sensationell auf den ersten Platz, plötzlich schien alles möglich zu sein. Interne Reibereien haben der Partei seither jedoch stark zugesetzt. Kritikern entledigte sich Baudet zwar immer wieder, indem er sie rauswarf. Doch blieb der Vorwurf im Raum, dass Baudet eigentlich kein Interesse an normaler, alltäglicher Politik habe, sondern sich eher als Intellektueller mit hohem Sendungsbedürfnis sehe, der sich eine Partei zur Befriedigung seines Narzissmus zugelegt hat.

Ranküne und fragwürdige Reaktion auf die Corona-Krise

Die Ranküne, immer neue Skandale um Rassismus bei Parteimitgliedern, aber auch fragwürdige Kontakte Baudets in die internationale identitäre Szene ließen die Umfragewerte des FVD in den vergangenen Monaten stark sinken. Hinzu kam Baudets befremdliche Reaktion auf die Corona-Krise. Hatte er zunächst lauthals härtere Maßnahmen gegen die Pandemie gefordert, verstand er sich zuletzt nur noch als Anwalt wirrster Verschwörungstheoretiker.

Beobachter in den Niederlanden rätselten am Dienstag, ob Baudets Rückzug wirklich endgültig ist. Schließlich kann sich der frühere Juradozent, Kolumnist und Romanautor weiterhin auf eine breite und vor allem junge Fanbasis stützen. Ein Kommentator nannte ihn den "unberechenbarsten Politiker", den er je erlebt habe.

Die Partei zeigt derweil Auflösungserscheinungen: Am Dienstag gab der zweite FVD-Abgeordnete Theo Hiddema sein Parlamentsmandat ab. Ohne sein Zugpferd Baudet könnte das FVD schnell zu einer Splitterpartei werden. Insofern wird der Vorgang als Glücksfall für Baudets rechten Konkurrenten Wilders gewertet, der sich ohnehin seit Monaten im Aufwind befindet. Profitieren dürfte aber auch die liberalkonservative VVD von Ministerpräsident Mark Rutte.

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