Niemand hatte ernsthaft erwartet, dass dieses niederländische Regierungsbündnis über eine volle Legislaturperiode hält. Schließlich war Geert Wilders an Bord. Der eigensinnige, unberechenbare Rechtspopulist hatte vor Jahren schon einmal eine von ihm geduldete Regierung platzen lassen – einfach weil ihm der Sinn danach stand.
Nun hat er wieder „den Stecker gezogen“, wie die Niederländer sagen. „Keine Unterschrift unter unsere Asylpläne. Keine Änderung des Koalitionsvertrags. Die PVV verlässt die Koalition“, schrieb PVV-Chef Wilders am Dienstagmorgen auf X. Nach knapp elf Monaten ist die Regierung von Dick Schoof am Ende. Der Premier kündigte am Nachmittag Neuwahlen an.
Wie schon das Vorgängerkabinett von Mark Rutte im Sommer 2023 ist auch die Regierung Schoof an Differenzen in der Migrationspolitik gescheitert. Wilders hatte „die härteste Asylpolitik aller Zeiten“ versprochen, mit dem Ziel, die Zahl der Asylsuchenden im Land merklich zu senken und weitere Migranten abzuschrecken. Davon ist noch nicht viel zu sehen.
Die Pläne der Asylministerin scheiterten am Einspruch der Koalitionspartner
Die von seiner Freiheitspartei PVV gestellte Asylministerin Marjolein Faber legte im Herbst entsprechende Pläne vor, unter anderem sollten die Grenzen geschlossen, der Familiennachzug beschränkt und die Bedingungen für Asylbewerber insgesamt verschlechtert werden. Faber wollte dies per Eilgesetz umsetzen, unter Berufung auf eine angebliche nationale Notlage, scheiterte damit aber am Einspruch der Koalitionspartner. Später kritisierte der Raad van State, das oberste Beratungsorgan der Regierung, Fabers Ideen als handwerklich schlecht gemacht. Bisher haben die beiden Gesetzesvorschläge nicht das Parlament erreicht.
Wilders sah nun offenbar seine Felle davonschwimmen, schließlich basierte sein großer Wahlsieg vom Herbst 2023 wesentlich auf der Unzufriedenheit mit der Asylpolitik – auch in Teilen der politischen Mitte. Die Umfragewerte entwickelten sich zuletzt ungünstig für ihn. Deshalb verschärfte er jüngst den Ton gegenüber den Koalitionspartnern, der rechtsliberalen VVD, der Mitte-Rechts-Partei Neuer Sozialvertrag (NSC) sowie der Bauer-Bürger-Bewegung (BBB). Vor einer Woche legte er einen Plan vor, um wieder mehr Radikalität in die Asyldiskussion zu bringen. Werde nicht „innerhalb von einigen Wochen“ mit der Umsetzung begonnen, sei die PVV „weg“. Dies sei aber nicht als Ultimatum gemeint.
Wichtigste Punkte des Plans: eine sofortige Grenzschließung für Asylsuchende nach deutschem Vorbild sowie ein Stopp des Familiennachzugs, wie es Österreich vorhat. Syrer ohne Aufenthaltsrecht sollen zurück nach Syrien geschickt werden, Ausländer, die sich schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, sollen das Land verlassen. In niederländischen Medien ist die Rede von teilweise „nicht durchführbaren“ Absichten, die auch in Widerspruch zu europäischen Regeln stünden. Die PVV würde das nicht stören, sie möchte sich ohnehin langfristig aus dem EU-Regelwerk bei der Asylpolitik befreien. Die meisten der Forderungen hatten schon im Wahlprogramm der PVV gestanden.
Die BBB-Chefin spricht von einer „ruchlosen Kamikazeaktion“
Die Koalitionspartner hatten zurückhaltend bis skeptisch auf Wilders’ Vorstoß reagiert. Zum Teil hieß es, er möge sich doch an „seine“ Ministerin Faber wenden, der es nach Ansicht von Beobachtern an Überzeugungskraft fehlt. In Den Haag wurde gerätselt über Wilders’ wahre Motive: Meinte er es ernst? Waren es nur taktische Spielereien? Am Sonntag bekräftigte Wilders abermals, dass er bereit sei, das Bündnis platzen zu lassen. Ein Treffen am Montagabend brachte keine Lösung, das Ende kam dann nach einem kurzen Treffen der Parteichefs am Dienstagmorgen. Wilders’ Koalitionspartner waren nicht bereit, die neuen PVV-Forderungen nachträglich in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Sie schlugen stattdessen vor, über die Pläne im Parlament zu beraten.
NSC, VVD und BBB reagierten ungehalten auf Wilders’ Schritt. Sie sei „wütend“, sagte VVD-Chefin Dilan Yeşilgöz. Wieder einmal sei es Wilders nur um die eigenen Interessen gegangen, nicht um jene des Landes. BBB-Chefin Caroline van der Plas sprach von einer „ruchlosen Kamikazeaktion“ Wilders’. Die NSC-Vorsitzende Nicolien van Vroonhoven nannte es „unverantwortlich“, jetzt das Kabinett platzen zu lassen. Auch Premier Schoof sprach von einem „unnötigen und unverantwortlichen Schritt“, er habe vergeblich versucht, Wilders davon abzubringen.
Die PVV hat mit großem Abstand die meisten Sitze im Parlament. Der Parteigründer Wilders, einer der führenden Köpfe des europäischen Rechtspopulismus, wurde aber nicht Ministerpräsident, weil seine Koalitionspartner das verhindern wollten. Das Amt übernahm stattdessen der Parteilose Schoof, der in verschiedenen Ministerien als Beamter gearbeitet hatte. Er musste damit leben, dass ihm der politische Kurs im Wesentlichen von den Parteichefs, die nicht im Kabinett saßen und keine direkte Verantwortung trugen, diktiert wurde.
Die Koalition hat kein einziges größeres Problem gelöst
Im knappen Jahr ihres Bestehens hat die Koalition kaum Substanzielles geliefert. Zu der von der PVV vorangetriebenen Mietpreisbremse ist es ebenso wenig gekommen wie zu einer Lösung des Stickstoffproblems, das die Bauern verärgert und den Bau neuer Wohnungen verhindert. Außenpolitisch blieb das Kabinett Schoof weitgehend auf einem EU-freundlichen und Russland-kritischen Kurs.
Frans Timmermans, Fraktionschef der größten Oppositionspartei Grüne/Sozialdemokraten, sagte, seine Fraktion sei bereit für Neuwahlen: „Die Niederlande verdienen eine Regierung, die die Menschen vereint und Schulter an Schulter an echten Lösungen arbeitet.“ Das gescheiterte Kabinett sei von Machtlosigkeit, Uneinigkeit und Streit geprägt gewesen. „Das passiert, wenn man Extremen die Macht gibt.“
Offen ist, wie eine künftige Regierung ohne Wilders gebildet werden könnte. Seine PVV liegt in Umfragen etwa gleichauf mit der VVD und den Grünen/Sozialdemokraten. Denkbar wäre allenfalls ein breites Bündnis von Parteien rechts und links der Mitte, das aber vermutlich niemand von Herzen will. Vorerst zeichnet sich eine weitere lange Periode politischen Stillstands ab in den Niederlanden.