Süddeutsche Zeitung

Niederlande:Klimaschutz per Urteil

In Den Haag hat das Verfahren um die Klage einer Umweltorganisation gegen Shell begonnen. Sie will erreichen, dass der Öl- und Gaskonzern die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent senkt. Das Urteil könnte weltweit ausstrahlen.

Von Thomas Kirchner, München

Lässt sich eine konsequentere Klimapolitik auf dem Rechtsweg erzwingen? Weltweit versuchen Umweltorganisationen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, das schon seit Jahren. In den Niederlanden verbuchte die Organisation Urgenda 2015 einen spektakulären Erfolg. Ihr gelang es, den Staat mit einer Klage auf Einhaltung seiner eigenen Klima-Versprechen zu verpflichten. Nun wird dasselbe Mittel gegen einen multinationalen Konzern eingesetzt. Vor dem Bezirksgericht Den Haag begann in dieser Woche das Verfahren um die Klage von Milieudefensie gegen Shell.

Die Organisation will, dass der Öl- und Gaskonzern die Emissionen, die sich aus seinen weltweiten Geschäften ergeben, bis 2030 um 45 Prozent senkt. Auf der Basis der bisherigen Konzernziele ließen sich die globalen Klimaziele, wie sie etwa im Pariser Abkommen festgelegt sind, nicht erreichen, sagte der Umweltanwalt Roger Cox zu Beginn des Verfahrens. Milieudefensie ist der niederländische Arm von Friends of the Earth, hinter der Klage stehen sechs weitere regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) und 17 000 Bürger.

Der Konzern weist die Klage zurück und meint, die Justiz sei gar nicht zuständig

Gehandelt werden müsse "jetzt oder nie", sagte Cox. "Ein anderer oder besserer Moment kommt nicht." Wer wenn nicht Politik oder Justiz könne die Menschen vor den Folgen des Klimawandels schützen, fragte er. Und wer bewahre künftige Generationen vor dem "beschädigten Erbe", das ihnen hinterlassen werde? Shell sei für rund 1,2 Prozent der globalen industriellen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Der Konzern weist die Klage schon im Ansatz zurück und meint, die Justiz sei gar nicht zuständig. Der Konzern habe Milliarden Euro in emissionsarme Technologien wie Windenergie und Auflademöglichkeiten für Elektroautos gesteckt. Die Energiewende könne durch eine gute Politik, Investitionen in Technologie und eine Änderung des Konsumentenverhaltens beschleunigt werden, und nicht durch einen Gerichtsprozess, argumentierte der Konzern. Shell und andere europäische Öl- und Gaskonzerne haben sich verpflichtet, bis spätestens 2050 ein Energieunternehmen mit Netto-Null-Emissionen zu sein. Für das Klima sei es schädlicher, wenn andere, weniger umweltbewusste Unternehmen die Geschäfte übernehmen würden, zu deren Aufgabe Shell mit der Klage gezwungen würde.

Ähnliche Klagen sind auch in anderen Ländern gegen Regierungen und Unternehmen eingereicht worden. Bisher war der Erfolg mäßig, weshalb der Sieg von Urgenda, den 2018 das Höchste Gericht der Niederlande bestätigte, von Umweltschützern als "Durchbruch" gesehen wurde. Konkrete Folge des Urteils ist, dass die niederländischen Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um 25 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden müssen. Dazu hat die Regierung einen Katalog von Maßnahmen verabschiedet, unter anderem übernimmt sie 30 von 54 Vorschlägen der Organisation Urgenda. David Boyd, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umweltschutz, sprach vom "bisher wichtigsten Klimawandel-Urteil weltweit".

Allerdings haben die Niederlande auch spezielle rechtssystematische Voraussetzungen, die solche Klagen begünstigen. So berufen sich die Richter stärker als anderswo auf überstaatliches Recht, etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Artikel 2 ein "Recht auf Leben" garantiert. In den Niederlanden fand das Urgenda-Urteil nicht nur Beifall. Liberale und konservative Politiker warnten vor "aktivistischen" Richtern. Manche Rechtsexperten halten die Idee, den Klimawandel mit juristischen Mitteln zu stoppen, für grundsätzlich problematisch. Das sei genuine Aufgabe der Politik, sagen sie.

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