In den Niederlanden ist am Mittwoch ein neuerlicher Versuch unternommen worden, eine Lösung für den Konflikt zwischen der Regierung und den Bauern zu finden, aus dem das Land seit Jahren nicht herausfindet. Nach monatelangen Gesprächen mit allen Seiten legte der Vermittler Johan Remkes einen Plan vor, wie die Landwirte zur Reduzierung der weit über den Grenzwerten liegenden Stickstoff-Emissionen beitragen sollen. Der weithin respektierte Alt-Politiker hält an zentralen Zielen der Regierung fest, kommt den Bauern aber in einzelnen Fragen entgegen. Der Konflikt, bei dem es für viele Landwirte um die Existenz geht, wird von regelmäßigen, teilweise gewalttätigen Protesten begleitet und stellt Politik und Gesellschaft auf eine Belastungsprobe.
Beim wohl umstrittensten Punkt bot Remkes keinen Kompromiss an. Bis 2030 müsse es gelingen, den Stickstoff-Ausstoß der Landwirtschaft um die Hälfte zu senken, sagte er. Gemeint ist hier vor allem Ammoniak, der auf die Böden gelangt und zu Überdüngung und anderen schädlichen Effekten führt. Das Zieljahr 2030 steht in der Koalitionsabsprache der vier regierenden Mitte-Parteien. Bauernvertreter halten das für nicht zu schaffen. Sie fordern mindestens fünf Jahre mehr Zeit. Viele bezweifeln auch, dass die Maßnahmen überhaupt nötig sind und sehen sich als Sündenböcke für Fehler der Politik.
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Die intensive Viehzucht in den Niederlanden ist für etwa 70 Prozent der vom Menschen verursachten Stickstoffeinträge verantwortlich. Pro Quadratkilometer gibt es in den Niederlanden deutlich mehr Vieh als etwa in Deutschland, und dies vor allem der Nähe von Naturgebieten.
Bis zu einem Drittel der Agrarbetriebe könnten vor dem Aus stehen
Nach Berechnungen der Regierung könnte das Reduktionsziel das Aus für bis zu einem Drittel der bäuerlichen Betriebe bedeuten. Möglichst viele sollen zu einer freiwilligen Senkung ihrer Viehbestände oder mit einer Geldzahlung zur Aufgabe bewegt werden. Parallel dazu will man Bauern ermutigen, die Produktion von Ammoniak durch stalltechnische Innovationen und Änderung beim Futtermittel zu senken.
Remkes sagte, im Vordergrund müssten Maßnahmen stehen, die den Stickstoffeintrag so schnell wie möglich senkten. Dazu sollten 500 bis 600 "Spitzenverursacher" aus der Landwirtschaft innerhalb eines Jahres ausgekauft werden. Weil sie in direkter Nähe zu Schutzgebieten lägen, habe das einen großen Effekt, betroffen sei aber nur etwa ein Prozent der Betriebe.
Wenn es nicht anders gehe, müssten die Bauern zur Aufgabe gezwungen werden. Insgesamt empfiehlt er mehr Flexibilität als die Regierung: Befinde sich eine Provinz schon auf dem richtigen Weg, solle es möglich sein, bei einzelnen Betrieben nachsichtiger zu sein bei den Grenzwerten. Forderungen nach einer "Halbierung" des Viehbestands, die linksliberale und grüne Politiker erhoben hatten, wies Remkes zurück.
Die besonders umstrittene "Stickstoff-Karte" der Regierung müsse gekippt werden, sagte Remkes. Mit der Karte hatte die zuständige Ministerin im Juni detaillierte Ziele für alle Provinzen vorgegeben, die in einigen Gebieten Stickstoff-Reduktionen um bis zu 90 Prozent nötig gemacht hätten. Danach hatten die Bauern ihre Proteste verschärft. Sie mischen sich mit einer verbreiteten Unzufriedenheit im Land über die Regierung im Allgemeinen und Ministerpräsident Mark Rutte im Besonderen, dem viele Bürger Unehrlichkeit und andere Charakterschwächen vorwerfen. Als Zeichen des Unmuts wurde die niederländische Flagge in ländlichen Gebieten vielerorts falsch herum aufgehängt. Populistische Politiker fachten die Proteste an, um die Mitte-Parteien zu diskreditieren.
Die Regierung muss tun, was vielen Bürgern nicht gefällt
Die Regierung steckt im Dilemma. Sie ist durch ein höchstrichterliches Urteil und europäische Gesetze zum Handeln gezwungen, macht sich damit aber bei einem größeren Teil der Bevölkerung unbeliebt. Unternimmt sie nichts, könnte das im Gegenzug den an Stickstoffausstoß intensiven Wohnungsbau zum Stillstand bringen und weitere juristische Zwangsmaßnahmen nach sich ziehen. 2020 wurde als Schnellmaßnahme die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 100 Stundenkilometer gesenkt. Einschneidende Maßnahmen in der Landwirtschaft sind aber laut Experten unausweichlich.
Die Bauern hatten Remkes als Vermittler zunächst abgelehnt, weil dieser schon vor zwei Jahren als Chef einer Expertengruppe relativ harte Einschnitte befürwortet hatte. Nach langen Verhandlungen haben sich viele Verbände nun doch auf den erfahrenen Liberalen eingelassen. Ein gemäßigter Bauernverband äußerte sich am Mittwoch verhalten positiv zu Remkes Plan. Es seien gute Ansätze zu erkennen, der Teufel liege im Detail. Nach Ansicht von Greenpeace geht Remkes nicht weit genug; zu loben sei nur, dass er am Zieljahr 2030 festhalte.