Niederlande:Die Wut der Bauern

Niederlande: Die Zahl der Tiere senken? Dann müssten sie das Problem alleine ausbaden, sagen die Bauern - und protestieren auf der Autobahn A37 bei Emmen.

Die Zahl der Tiere senken? Dann müssten sie das Problem alleine ausbaden, sagen die Bauern - und protestieren auf der Autobahn A37 bei Emmen.

(Foto: Vincent Jannink/AFP)

In der Agrarnation Niederlande verseuchen Nitrat und Ammoniak Boden und Luft. Deshalb sollen Landwirte nun einen großen Teil ihres Tierbestands aufgeben. Das lassen sie sich nicht gefallen - und werden immer radikaler.

Von Thomas Kirchner

Die bösen Bauern kamen spät am Abend. Vor dem Haus der niederländischen Ministerin Christianne van der Wal durchbrachen sie am Dienstag eine Sperre, beschädigten Polizeiautos, versprühten einen Tank voll Gülle. Die rechtsliberale Politikerin war nicht anwesend, wohl aber ihre Familie. Zur selben Zeit zogen andere vor das Haus des Abgeordneten Derk Boswijk. Seine zwei kleinen Kinder fühlten sich bedroht, der Christdemokrat wird vorerst bei ihnen bleiben und nicht nach Den Haag zur Arbeit fahren.

Seit Tagen protestieren militante Landwirte gegen neue Umweltauflagen. Sie blockieren mit ihren Traktoren die Autobahnen, verursachen lange Staus, zünden Heuballen am Rand der Straßen an, ziehen zu Hunderten vor Regierungsgebäude in den Provinzen und auch in Den Haag. Die Politik verfolgt das Geschehen mit wachsender Empörung. Er habe entsetzliche Bilder gesehen, sagte Ministerpräsident Mark Rutte am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels in Madrid. "Dieses Verhalten sprengt alle Grenzen."

Drei Wochen ist es her, dass Van der Wal, die den erst im Januar eigens geschaffenen Posten "Ministerin für Natur und Stickstoff" bekleidet, ihren Plan veröffentlichte, wie man endlich dem Nitrat-Problem beikommen wolle. Es gibt zu viel davon, und das schadet der Umwelt.

In manchen Gegenden ist die Schweinedichte die höchste der Welt

Naturschutzgebiete und besonders Moorlandschaften leiden, die Biodiversität sinkt, seit Jahrzehnten schon. Und das liegt vor allem an der intensiven Viehzucht in den Niederlanden, die für etwa 70 Prozent der vom Menschen verursachten Einträge von Stickstoffverbindungen verantwortlich ist. In einigen südlichen Gebieten leben mehr Schweine pro Quadratmeter als irgendwo anders in der Welt.

Die Lösung - weniger Tiere - liegt auf der Hand. Seit Jahren wird sie erwogen, nun will und muss die Ministerin endlich Ernst machen. Bis 2030 sollen die Stickstoffemissionen in 74 Prozent der Naturschutzgebiete unter die von der EU vorgegebenen Grenzwerte gesenkt werden, bisher sind es 24. Den zwölf Provinzen gab Van der Wal Reduktionsziele von bis zu 70 Prozent vor; wer nicht spurt, kann gezwungen werden. Für die Landwirte bedeutet das laut Experten, dass sie ihre Emissionen um etwa die Hälfte senken müssen.

Wie das erreicht werden soll, lässt die Regierung offen. Man könnte den Bauern Geld zahlen, damit sie ihre Betriebe aufgeben. Das geschieht, allerdings nicht oft genug, und kostet viel. Denkbar ist auch, sehr viel weniger Tiere auf größerer Fläche zu halten - was sich für viele Bauern nicht lohnt. Am besten gefällt ihnen daher die Idee, die Emissionen durch Innovationen etwa bei der Stall- und Abgastechnik zu begrenzen. Wissenschaftler mahnen jedoch, dass das nicht ausreichen und das Geld am Ende umsonst investiert sein könnte.

"Ich weiß, dass dies enorme Folgen für die Landwirte hat, die seit Langem in Unsicherheit leben", rechtfertigte Van der Wal im Parlament ihren Plan. "Das ist schrecklich. Gleichzeitig haben wir keine andere Wahl. Die Natur kann nicht warten." Die Bauern aber wollen keinesfalls einlenken.

Dass der Konflikt unausweichlich ist, wird seit Jahren immer deutlicher. Auf der einen Seite steht die Landwirtschaft, der Stolz der niederländischen Wirtschaft, nicht nur technisch an der Weltspitze, sondern auch quantitativ: Die Niederlande, kleiner als Niedersachsen und dicht bevölkert, sind nach den USA der zweitgrößte Agrarexporteur der Welt.

Die Bauern finden, es seien auch andere schuld: Konsumenten, Schlachthöfe, Banken

Auf der anderen Seite steht die Umwelt, auf deren Kosten diese Produktion geht. Knapp die Hälfte des Bodens wird für Landwirtschaft genutzt, und weil er knapp ist, musste der Anbau immer effizienter und intensiver werden, um aus jedem Quadratmeter das Maximum herauszuholen. Was die Massentierhaltung hervorbringt, gestützt auf importiertes Kraftfutter, übersteigt den einheimischen Bedarf um ein Vielfaches. Was sich kaum exportieren lässt, sind die Abfallprodukte: Ammoniak aus der Gülle, das die Luft verschmutzt, sowie, in Form von Nitrat, Böden und Wasser.

Jahrzehntelang wurde das Problem ignoriert, unter Mithilfe der Bauernlobby und vor allem christdemokratischer Regierender. 2019 war es schließlich die Justiz, die dem ein Ende bereitete. Der Raad van State, oberste Verwaltungsgerichtsinstanz, verwarf das geltende, aber unwirksame System zur Vergabe von Stickstoff-Lizenzen und verpflichtete die Behörden, künftig tatsächlich zu tun, was sie bis dahin nur vorgaben zu tun: die Grenzwerte der EU-Naturschutzrichtlinie einzuhalten.

Das Urteil hatte gravierende Folgen, die "Nitratkrise" brach aus. Nachdem ein Politiker eine radikale Reduktion des Viehbestands gefordert hatte, gingen Bauern Ende 2019 erstmals auf die Barrikaden. Schlagartig kam der Wohnungsbau zum Erliegen, weil er ebenfalls für Stickstoffeinträge sorgt. Als Sofortmaßnahme wurde Tempo 100 auf Autobahnen verfügt, das Problem aber blieb und wurde während der Corona-Krise nur vertagt.

Die Bauern sehen durch Van der Wals Äußerungen ihr Gefühl bestätigt, sie allein seien die Sündenböcke. Was ist mit den Verbrauchern, fragen sie, die immer günstiges Fleisch kaufen konnten? Was ist mit den Futterhändlern, den Herstellern von Düngern und Pestiziden, den Schlachthöfen, den Banken, die alle mitverdienen an dem System?

In den Medien finden solche Gedanken Resonanz, in Kommentaren wird gewarnt, die Gesellschaft dürfe es sich bei der Lösung des Problems nicht zu leicht machen. Die Politik aber will hart bleiben. Das Parlament steht mehrheitlich hinter dem Plan der Ministerin.

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