Niederlande:Kaum noch anders als mit dem F-Wort zu beschreiben

Lesezeit: 3 Min.

Das Coronavirus hält er für völlig ungefährlich, in Wladimir Putin sieht er den "einzigen global player", der sich einer "globalen Verschwörung bösartiger Echsen" widersetze: Thierry Baudet hat ein eher instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit. (Foto: Sem van der Wal/IMAGO/ANP)

Echsen und Hundepfeifen: Thierry Baudet und sein Forum für Demokratie radikalisieren sich zusehends. Experten halten die niederländische Partei inzwischen für eindeutig faschistisch. Doch das Land fragt sich, ob man ihr Einhalt gebieten sollte.

Von Thomas Kirchner

Während europaweit über die faschistischen oder neonazistischen Wurzeln von Parteien wie den Fratelli d'Italia oder den Schwedendemokraten debattiert wird, ist im niederländischen Parlament längst eine echte faschistische Partei vertreten: das Forum für Demokratie mit seinem Gründer Thierry Baudet an der Spitze. Was von Baudet und seinen Leuten besonders in jüngster Zeit zu hören war, lässt sich kaum noch anders als mit dem F-Wort beschreiben.

Das zumindest denkt ein in den Niederlanden großer Teil der linken bis liberalen politischen Öffentlichkeit. Aber stimmt der Befund überhaupt? Oder nur ein bisschen? Ist es sinnvoll, mit dem Faschismus-Begriff heute noch zu hantieren? Und soll man sich das Treiben des Forums gefallen lassen oder etwas tun dagegen? Darüber wird heftig diskutiert, und auch wenn die Partei derzeit nur fünf Abgeordnete stellt und giert nach solcher Aufmerksamkeit, sind das essenzielle Fragen, denn sie berühren grundsätzliche Aspekte der politischen Kultur und der wehrbaren Demokratie.

Baudet selbst bietet Anlässe en masse für eine entsprechende Charakterisierung. Erst seit 2016 in der Politik, hat der Ultranationalist sich über die Jahre radikalisiert und weit entfernt vom demokratischen Konsens. Wobei viel dafür spricht, dass er schon immer so dachte und erst jetzt sein wahres Gesicht zeigt. Seine Auslassungen sind schon länger gespickt mit rassistischen und antisemitischen Topoi, die auf der Grundidee fußen, dass es ein von Juden befördertes oder gar organisiertes Komplott westlicher Eliten zur Beherrschung der Welt gebe.

Baudet bekennt sich als "Fan" des russischen Präsidenten

Wenn Baudet vor angeblichen Plänen einer "homöopathischen Verdünnung" der niederländischen Bevölkerung warnt oder die "boreale" (nördliche) Welt in Gefahr wähnt, ist das klassisches Dogwhistling: Hundepfeifentöne, die Identitäre und andere Rechtsextremisten hören können. Sein Verhältnis zur Wahrheit scheint rein instrumentell zu sein, er bestreitet die vielfach dokumentierte russische Schuld am Absturz des Flugs MH17, den menschengemachten Klimawandel und viele weitere Fakten.

Seit der Corona-Pandemie und nun dem Krieg in der Ukraine dreht sich das Baudet-Karussell in wahnwitziger Geschwindigkeit. Das Virus hält der 39-Jährige für völlig ungefährlich, in den Schutzmaßnahmen sieht er den Versuch, eine digitale "Diktatur" zu errichten. Seine große Sympathie für Wladimir Putin, die er schon oft bekundet hat (er wird enger Bande nach Moskau verdächtigt), spitzte er in einem Interview kürzlich zu: Er sei ein "Fan" des russischen Präsidenten, "wir müssen tun, was immer wir können, um ihn zu unterstützen". Ja, er glaube an "Verschwörungstheorien", sagte er, "ich glaube, wir werden von einer globalen Verschwörung bösartiger Echsen regiert", und Putin sei "der einzige global player, der dagegenhält". Die Reptilien-Theorie, eine antisemitische Erzählung, stammt von dem britischen Rechtsextremisten David Icke.

Manche Parlamentarier, aber auch alte Weggefährten halten Baudet inzwischen für völlig abgedreht, zweifeln gar an seiner Zurechnungsfähigkeit. Andere meinen, der Mann wisse exakt, was er tue. Tatsächlich forderte Baudet vor Jahren in einer Art Manifest zu genau solchen Provokationen auf, um die neue Partei nach oben zu bringen. Seine Mitstreiter im Forum haben das verinnerlicht. Pepijn van Houwelingen, ein Hardcore-Identitärer, kündigte im Parlament "Tribunale" an, die auf politische Gegner warteten. Noch perfider agierte kürzlich Gideon van Meijeren, der mit der Kamera ins Büro einer renommierten Berichterstatterin zog und sie als "lügnerische Kanalratte" beschimpfte. Weitere "Demaskierungen", sprich: Einschüchterungen von Journalisten, würden folgen. Neben dem Journalistenverband empörte sich auch Ministerpräsident Mark Rutte, der von einem "neuen Tiefpunkt" sprach.

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Wie immer spielen Baudet und seine Truppe hinterher die verfolgte Unschuld. Das mit den Echsen sei doch nur im übertragenen Sinne gemeint, sagte Baudet und verwies auf den Eintrag im Lexikon. Van Meijeren rechtfertigte sich mit dem Hinweis, im Fernsehen habe jemand zur "Liquidierung" Baudets aufgefordert. Hinter der sprachlichen Mimikry erkennen Experten in solchen Äußerungen und Verhaltensmustern eindeutige Merkmale faschistischer Bewegungen: der Glaube an die genetisch bedingte Überlegenheit mancher Menschen, die These von der jüdischen Weltverschwörung, das Freund-Feind-Denken, die Gewalt-Affinität, der Verweis auf eine "existenzielle Krise" unserer Zeit, der Wunsch nach einer nationalen "Wiedergeburt", der Hass auf die Moderne. Auch wenn die Begleitumstände natürlich völlig anders seien als in den 1920er- und 1930er-Jahren, müsse man die Similaritäten zur Kenntnis nehmen und daraus lernen. Was Baudet mache, sei nicht lustig.

Was daraus folgt? Am weitesten ging Geerten Waling, ein früherer Kumpel Baudets: " Zeit für ein Parteiverbot wegen Landesverrats und antidemokratischer Drohungen." Es sei auch zu erwägen, Baudet aus dem Parlament zu werfen. Andere warnen davor, dem Politiker das Wort zu verbieten, schließlich spreche er für einen gewichtigen Teil der Bevölkerung, der sich von Staat und Politik abgewandt habe. Geschehen ist bisher fast nichts. Ein paar Mal wurde ihm im Parlament das Mikrofon abgedreht nach allzu krassen Sätzen; soeben hatte er eine Woche Redeverbot, weil er sich weigerte, Auskunft über Nebeneinkünfte zu geben.

Eine Strategie, wie man Baudet und seinen Leuten, die am demokratischen Fundament nagen, Einhalt gebieten könnte, ist nicht zu erkennen. Die Meinungsfreiheit wird in dem Land, das stolz ist auf seine Kultur der Toleranz, extrem hoch gehalten. In wenigen Tagen wird David Icke, der Reptilien-Mann, auf einer Veranstaltung in Amsterdam auftreten. Was er sagen wird, ist absehbar.

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