Niederlande:Wann ist eine Krise eine Krise?

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Migrationsministerin Marjolein Faber (PVV) hat jetzt eine Schlüsselrolle. Die Vertraute von Geert Wilders möchte Verschärfungen per Notrecht umsetzen. (Foto: Remko de Waal/IMAGO/ANP)

Die neue Regierung in Den Haag verspricht „das strengste Asylrecht, das es je gab“. Doch das ist leichter gesagt als umgesetzt. Das Kabinett muss dafür an die Grenze des Zulässigen gehen. Mindestens.

Von Thomas Kirchner

Die neue niederländische Regierung steht unter Zugzwang. Sie muss liefern bei der Begrenzung der Migration. Das ist das Paradethema von Geert Wilders, dem starken Mann im Schatten des Kabinetts, es hat seiner Freiheitspartei PVV den sensationellen Wahlsieg im vergangenen Jahr beschert. Das Land leide schwer unter der Einwanderung, sagt der Nationalpopulist, es müsse dringend gehandelt werden, und der parteilose Premier Dick Schoof sekundiert: „Wir können den großen Zustrom von Migranten nicht mehr ertragen.“ Beide senden dieselbe Botschaft: Nur hartes Durchgreifen kann uns retten. Und blitzschnell muss es gehen.

Doch so einfach ist es nicht, das Ruder herumzuwerfen. Es ist vielmehr so kompliziert, dass schon über ein Scheitern der im Juli angetretenen Koalition spekuliert wird. Neben der PVV besteht sie aus zwei Mitte-rechten und einer weiteren rechten Partei.

Die Niederlande wollen von Brüssel eine Ausnahme bekommen wie Dänemark

Zunächst einmal weiß man auch in Den Haag, dass die Asylpolitik vor allem von der EU gelenkt wird. Deshalb hat die Regierung in Brüssel ein sogenanntes Opt-out beantragt, wie es auch Dänemark hat (und Ungarn nun ebenfalls möchte). Doch die Ausnahme von Beschlüssen in dem Politikfeld würde erst nach einer Änderung der europäischen Verträge wirksam, der alle Mitgliedstaaten zustimmen müssten. Es ist höchst unsicher, ob und wann das kommt. Bis dahin wären die Niederlande gehalten, die jüngst vereinbarte Asylreform umzusetzen.

Bleibt die Innenpolitik. Die Regierung betont, sich an die EU- und andere Vorgaben halten zu wollen. Gleichzeitig strebt sie „das strengste Asylregime an, das es je gab“, wie es im Regierungsprogramm heißt. „Die Niederlande müssen zu den Mitgliedstaaten mit den strengsten Zulassungsregeln der EU gehören.“ In einem ersten Schritt wurden die staatlichen Zuschüsse an die Kommunen für den Lebensunterhalt abgelehnter Asylbewerber gekappt. Die Städte können gar nicht anders, als die Bett-Bad-Brot-Leistungen aufrechtzuerhalten, müssen sie nun aber selbst finanzieren.

Ansonsten sollen vor allem Regeln abgeschafft oder eingeschränkt werden, bei denen die Niederlande bisher vergleichsweise großzügig sind. So soll der Familiennachzug für Personen begrenzt werden, die nur subsidiären Schutz erhalten, also nicht selbst verfolgt werden – ein Vorhaben, über das die Vorgängerregierung stürzte. Asyl soll nur auf Zeit gewährt werden, sodass auch Afghanen oder Syrer irgendwann zurückgeführt werden könnten.

Auch Grenzkontrollen sind im Gespräch

Insgesamt sollen die Asylverfahren beschleunigt und Rechtsbehelfe beschränkt werden; Bewerber, die nicht zu Terminen erscheinen, sollen abgelehnt werden können. Daneben will das Kabinett neue Asylanträge vorerst nicht behandeln und die Aufnahmebedingungen verschlechtern. Ein im Februar in Kraft getretenes Gesetz, das eine faire Verteilung von Bewerbern auf das Land ermöglicht, soll gekippt werden. Auch Grenzkontrollen sind im Gespräch.

Eine Schlüsselrolle kommt Migrationsministerin Marjolein Faber (PVV) zu. Die politisch weit rechts stehende Vertraute von Wilders möchte einen Teil der Verschärfungen per Notrecht umsetzen. Das ist nicht nur der schnellste Weg, damit entkäme man auch den Widrigkeiten der regulären Gesetzgebung, etwa der Tatsache, dass die Koalition in der Ersten Kammer, dem Oberhaus, keine Mehrheit hat.

Möglich ist diese Umgehung des Parlaments aber nur, wenn eine „Asylkrise“ ausgerufen wird. Das ist der Begriff, um den sich die Diskussion seit Wochen dreht. Es ist ein politischer Begriff, kein rechtlicher. Konkret hieße das, durch königlichen Beschluss Artikel 111 des Ausländergesetzes zu aktivieren, der bei „außergewöhnlichen Umständen“ Abweichungen vom normalen Prozedere erlaubt.

Die Opposition will sich den Plänen energisch widersetzen

Doch was sind „außergewöhnliche Umstände“? Juristen nennen Gefahren für die territoriale, körperliche, ökonomische, ökologische Sicherheit, oder für die soziale und politische Stabilität. Ein Deichbruch etwa, klar. Aber durchschnittlich 40 000 Asylbewerber jährlich? Und sind die Probleme bei der Unterbringung, etwa im chronisch überfüllten Auffanglager in Ter Apel, nicht eigentlich selbstverschuldet?

Die Opposition will sich den Kabinettsplänen jedenfalls energisch widersetzen. Nicht unbedingt aus inhaltlichen Gründen, Grüne und Sozialdemokraten etwa würden über eine beschleunigte Gesetzgebung zu einzelnen Aspekten mit sich reden lassen. Sie haben prinzipielle Einwände. Ihre Fraktion weiß sich darin einig mit vielen Experten im Land: Die Bedingungen für das Ausrufen einer „Asylkrise“ seien nicht gegeben.

Fatal für die Regierung ist, dass dies auch ihre eigenen Fachleute so sehen. In Gutachten aus mehreren Ministerien sprechen sie das deutlich aus und warnen davor, Grundrechte von Asylbewerbern zu missachten. Bei der jährlichen Generaldebatte wurde Premier Schoof unter peinlichen Umständen gezwungen, die Dokumente zu veröffentlichen.

Noch ist der Kabinettsbeschluss zur „Asylkrise“ nicht gefasst worden. Faber arbeitet an einer handfesten Begründung, die dann dem Staatsrat vorgelegt wird, einem Beratungsgremium der Regierung. Was geschieht, wenn gravierende Einwände kommen, ist offen. Die Koalition selbst ist gespalten. Die Partei Neuer Sozialvertrag, die sich als Beschützerin des Rechtsstaats sieht, lehnt die Krisen-Idee ab.

Schoof und Faber jedoch halten stur daran fest, angefeuert von Geert Wilders, der trotzig sagt, seine PVV habe „kein Rückgrat wie eine Banane“.

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