Süddeutsche Zeitung

Niederlande:Sensationssieg für die Protest-Bauern

Bei den Provinzwahlen setzt sich die neue Bauer-Bürger-Bewegung auf Anhieb an die Spitze. Das ist ein harter Schlag für die Regierung von Mark Rutte.

Von Thomas Kirchner, Amsterdam

Bei den Provinzwahlen in den Niederlanden hat die konservativ-populistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) einen in dieser Höhe unerwarteten Sieg davongetragen. Vor allem in ländlichen Regionen im Osten und Nordosten des Landes schnitt der erst 2019 gegründete Newcomer stark ab. Grüne und Sozialdemokraten, die erstmals zusammen antraten, sind nach vorläufigen Ergebnissen gleichauf und legten leicht zu. Die meisten Parteien der Viererkoalition des rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte verloren Sitze, die Christdemokraten, eine wichtige Stütze, sogar drastisch.

Das hat Folgen für die Machtarithmetik in Den Haag. Die Mitglieder der Provinzparlamente befinden im Mai über die Senatoren der Ersten Kammer des Parlaments. Dieses Oberhaus entspricht etwa dem Bundesrat in Deutschland. Es hat kaum eigene Befugnisse, kann aber Gesetze in toto blockieren. Die Regierung hat in der Ersten Kammer keine Mehrheit und ist deshalb schon jetzt auf Kompromisse und vor allem auf die Kooperation der Grünen und der Sozialdemokraten angewiesen.

In den Medien war von einem historischen Denkzettel, einer "Erdverschiebung" und einer "Abrechnung mit der Regierung Rutte" die Rede, die den Preis für viele Skandale und Verfehlungen zahle, vom Versagen bei der "Kinderzuschlagaffäre" über die mangelhafte Hilfe für die Opfer der Erdbeben in der Provinz Groningen bis hin zum Streit über die Stickstoff-Politik. Hinzu kommen charakterliche Defizite, die Rutte etwa bei einer Lügenaffäre vor zwei Jahren vorgeworfen wurden.

"Wir werden mitregieren", sagt die Parteiführerin

Die Zeitung NRC Handelsblad analysierte das Ergebnis als Wettstreit zweier grundsätzlicher Ansätze in der niederländischen Politik. Die politische Mitte, der es überwiegend gutgehe und die an die Kraft des Kompromisses glaube, habe einen schweren Abend erlebt. Gesiegt hätten all jene, die ein grundsätzliches Problem mit den etablierten Parteien und das Gefühl hätten, "das alles anders werden müsse". Die BBB sei "das Sprachrohr dieses Unmuts", so die Zeitung. Hinzu kommt, dass die Bewegung als Stimme der Provinz gilt, die sich seit Jahren benachteiligt fühlt. "Wir können nicht länger ignoriert werden", sagte Parteiführerin Caroline van der Plas am Wahlabend. "Wir werden mitregieren." Die 55-Jährige gilt als authentisch und bodenständig, Eigenschaften, die in Den Haag derzeit als eher selten gelten.

Die BBB profitiert auch von der anhaltenden "Stickstoffkrise". Die Einträge sind im internationalen Vergleich deutlich zu hoch, was gegen EU-Regeln verstößt und empfindliche Naturgebiete bedroht. Die Regierung sieht sich auch durch die Justiz gezwungen, die Viehhaltung drastisch zu beschränken. Das könnte etwa jeden dritten Bauernhof zur Aufgabe zwingen, sogar Enteignungen drohen. Gegen diese Pläne protestieren die Bauern seit mehr als drei Jahren, zum Teil mit Gewalt. Sie argumentieren, die Zeit dränge nicht, und verweisen auf mögliche technische Lösungen, etwa durch modernisierte Ställe. Nach Ansicht der meisten Experten kommt das Land, zweitgrößter Agrarexporteur der Welt, um eine deutliche Verkleinerung seines Viehbestands nicht herum.

Die Regierung wird ihre eigentlich unumgänglichen und zuletzt von einer unabhängigen Kommission bestätigten Pläne nun wohl kaum umsetzen können. Das wiederum könnte dazu führen, dass nicht genügend Wohnungen gebaut werden, auch einige Infrastrukturprojekte sind bedroht. Eine Totalblockade des Landes ist möglich, ohne dass sich eine praktikable Lösung abzeichnet.

Mit dem Sensationserfolg der Bauer-Bürger-Bewegung setzt sich in den Niederlanden ein Trend fort, der schon vor 20 Jahren begann und immer neue rechte Bewegungen nach oben gespült hat, die auf die Wut der Bürger eingehen, sie gleichzeitig aber auch schüren. Rechts von den Rechtsliberalen existieren inzwischen fünf Parteien, die zusammen ein Drittel der Wähler repräsentieren und das stärkste politische Lager bilden.

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