Süddeutsche Zeitung

Nicaragua:Der Präsident ist zurück - nach 34 Tagen

  • 34 Tage lang war Nicaraguas Präsident Ortega verschwunden, mitten in der Corona-Krise.
  • Nun wandte er sich in einer Fernsehansprache ans Volk und bekräftigte, dass das Land seinen Sonderweg im Umgang mit der Pandemie weitergehen wolle.
  • Konzerte, Gottesdienste, Fußballspiele finden weiter statt, es gibt kaum Vorsorgemaßnahmen. Viele halten das für gefährlich.

Von Benedikt Peters

Am Mittwochabend bot sich den Nicaraguanern ein überraschender Anblick. Der Mann, der gegen 17:40 Uhr Ortszeit auf den Fernsehbildschirmen erschien, war tatsächlich ihr Präsident. Zuletzt hatten sie Daniel Ortega am 12. März gesichtet, bei einer Videokonferenz mit anderen zentralamerikanischen Staatschefs, über die auch die Medien berichtet hatten. Dann war Ortega verschwunden, für ganze 34 Tage, und das mitten in der Corona-Krise.

Manch einer spekulierte schon, der ehemalige linke Revolutionär könne womöglich dem Virus erlegen sein; immerhin zählt er mit seinen 74 Jahren zu einer Risikogruppe.

Bei seinem Auftritt im Staatsfernsehen verlor Ortega dann aber kein Wort über seine lange Abwesenheit. Er schüttelte die Hände seiner Minister und weiterer Getreuer, die an einer blumenbedeckten Tafel Platz genommen hatten. Dann ließ er sich zur Linken seiner Ehefrau Rosario Murillo nieder, die auch seine Vizepräsidentin ist und der nachgesagt wird, die eigentliche Machthaberin in Nicaragua zu sein.

Was folgte, war eine 25-minütige Ansprache an das Volk, während der Ortega müde wirkte, manchmal auch etwas kurzatmig. Streckenweise aber redete er sich durchaus in Rage. Das Coronavirus sei ein Zeichen Gottes, behauptete er, es gelte vor allem Staaten wie den USA, die zu wenig Geld für Gesundheitsvorsorge ausgäben und zu viel für Aufrüstung. "Ihr seid auf dem falschen Weg", sprach Ortega ins Mikrofon. In Nicaragua hingegen werde das öffentliche Leben weitergehen wie gehabt.

Möglich ist, dass das Land nur deshalb so wenig Fälle ausweist, weil kaum getestet wird

Das bedeutet, dass das mittelamerikanische Land seinen Sonderweg fortsetzen wird, den viele Beobachter zunehmend gefährlich finden. Schulen und Geschäfte sind nach wie vor geöffnet. Sogar Massenveranstaltungen finden statt, nicht selten werden sie sogar von der Regierung organisiert. Unter der Schirmherrschaft der Vizepräsidentin Murillo veranstaltete das Land zuletzt ein umfangreiches Programm, dazu zählten Konzerte, Gottesdienste unter freiem Himmel und Marathons. Mitte März organisierte Murillo zudem eine Großkundgebung, deren Motto an den kolumbianischen Literaten Gabriel García Marquez erinnern sollte: "Liebe in Zeiten von Covid-19." Berichten zufolge ist Nicaragua außerdem eines von drei Ländern auf der Welt, das den Spielbetrieb seiner Fußballligen unbeirrt weiterlaufen lässt, neben Weißrussland und Burundi.

Die Regierung begründet ihren Sonderweg damit, dass das Gesundheitssystem gut vorbereitet und die Zahl der Infizierten nach wie vor niedrig sei. So machte es auch Ortega, der in seiner Ansprache die "hochspezialisierten Mediziner" lobte und davon sprach, dass seit dem 11. März nur ein Nicaraguaner an Covid-19 gestorben und insgesamt nur neun Menschen infiziert seien. Doch an diesen Zahlen gibt es erhebliche Zweifel. Möglich ist, dass Nicaragua nur deshalb so wenige bekannte Fälle hat, weil kaum getestet wird. Anfangs wurden zehn Menschen täglich auf das Virus untersucht, nun hat das Gesundheitsministerium 50 Untersuchungen pro Tag vorgegeben. Nach Ansicht von Experten ist das viel zu wenig, um das Ausmaß der Pandemie abschätzen zu können.

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Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation hat sich angesichts dieses Vorgehens besorgt gezeigt; sie rief Nicaragua auf, endlich die internationalen Empfehlungen einzuhalten, etwa zum Abstand der Menschen untereinander. Die Regierung hingegen schickt - besonders in Armenvierteln - Helfer von Haus zu Haus, um die Menschen über Hygienevorschriften aufzuklären. Befürchtet wird, das sich das Virus so besonders schnell übertragen könnte.

Amnesty International wirft der Regierung vor, mit ihrem Verhalten das Leben Tausender Menschen zu riskieren. In dieser Hinsicht hat sich Ortega aber auch in der Vergangenheit nicht zimperlich gezeigt. Proteste der Bevölkerung ließ er 2018 blutig niederknüppeln, mehr als 300 zumeist junge Demonstranten kamen ums Leben.

Am Ende seiner Ansprache verabschiedete sich Ortega nun mit militärischem Gruß, das Kabinett um ihn herum sang dazu die Nationalhymne. Viele Nicaraguaner werden sich wohl fragen, wann sie ihren Präsidenten das nächste Mal zu Gesicht bekommen.

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