Nicaragua:"Lieber eine Steuerreform als noch mal Revolution"

Ein Gespräch mit Schriftsteller Ramírez, der mit Ortega die Diktatur aus Nicaragua vertrieb und heute einer der schärfsten Kritiker des Präsidenten ist.

S. Schoepp

Vor 30 Jahren triumphierte die sandinistische Revolution in Nicaragua. Am 16. Juni 1979 kündigte eine "Junta des nationalen Wiederaufbaus" unter Führung Daniel Ortegas an, sie übernehme die Regierungsgeschäfte. Kurz darauf dankte der geschlagene Diktator Anastasio Somoza ab, der das kleine mittelamerikanische Land Jahrzehnte lang brutal beherrscht hatte wie ein Feudalherr. Im Juli marschierten die siegreichen Sandinisten in der Hauptstadt Managua ein, und bald erklang in linken Unterstützungskomitees auf der ganzen Welt das Lied: "Kleines Nicaragua, jetzt, da du frei bist, liebe ich Dich noch viel mehr."

Ortega, AP

Daniel Ortega regiert Nicaragua bereits zum zweiten Mal - diesmal als demokratisch gewählter Präsident.

(Foto: Foto: AP)

Der Schriftsteller Sergio Ramírez war Teil der Regierungsjunta des 16. Juni und später Vizepräsident der sandinistischen Regierung unter Daniel Ortega, bis er sich mit dem marxistischen Revolutionsführer überwarf. Heute regiert Ortega wieder - diesmal als demokratisch gewählter Präsident, der jedoch bedenklich diktatorische Züge an den Tag legt. Ramírez ist einer der bekanntesten Publizisten Lateinamerikas, kürzlich hat er seinen neuen Roman "El cielo llora para mi", "Der Himmel weint um mich", veröffentlicht. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt Ramírez, Jahrgang 1942, wohin sein Land und Lateinamerika 30 Jahre nach der sandinistischen Revolution steuern.

SZ: Was empfinden Sie, wenn Sie an 1979 denken und diese Zeit mit dem Nicaragua von heute vergleichen?

Ramírez: Frustration. Das Land sollte an einem ganz anderen Punkt sein. Es sollte starke demokratische Institutionen haben. Doch der Stein rollt wieder auf den Abgrund zu. Man müsste ihn wieder auf den Berg hochschieben.

SZ: Wie konnte es soweit kommen?

Ramírez: Es gab nach der Revolution keine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung. Wir haben jetzt ein autoritäres Regime Daniel Ortegas und seiner Familie. Er hat nahezu alle Macht, die Institutionen werden geschleift. Er greift nach der Justiz, nach der Polizei, nur die persönliche Loyalität zu ihm zählt. Die Ergebnisse der Kommunalwahl im letzten Jahr wurden manipuliert, Protestdemonstrationen erstickt. Nun will Ortega sogar die Verfassung ändern, damit er an der Macht bleiben kann, bis er neunzig ist. Das hat nichts mit Demokratie zu tun. Keine guten Aussichten.

SZ: Wie steht es um die Meinungsfreiheit?

Ramírez: Es gibt noch keine offizielle Zensur, aber Ortega ist schon gegen frühere Weggefährten vorgegangen wie den Dichter Ernesto Cardenal, den Musiker Mejía Godoy und auch gegen mich. Das waren nur Anfänge, aber es sieht so aus, als würde er immer mehr Macht ansammeln, um dann richtig zuzuschlagen.

SZ: Das klingt so, als würde Ortega sich allmählich in die Art Diktator verwandeln, den er damals gestürzt hat, so als sei Somoza zurückgekehrt.

Ramírez: Was hier passiert, ähnelt in der Tat stark der Vergangenheit.

SZ: Braucht das Land eine neue Revolution?

Ramírez: Die bewaffnete Revolution, um die Regierung zu stürzen, wird es hoffentlich nie mehr geben. Man muss den Wandel auf demokratischem Weg erreichen. Es herrschen heute ja auch andere Umstände. Damals galt es, Reichtümer zu verteilen. Wo ist heute der Reichtum, den man verteilen könnte?

SZ: Ist er nicht noch immer oder wieder in den Händen einiger weniger konzentriert?

Ramírez: Ja, aber eine profunde Steuerreform würde genügen. Hier zahlen ja fast nur die Armen, über Konsum- und Verbrauchssteuern. Ortega schwingt gerne antikapitalistische Reden, aber er traut sich nicht, die Interessen des Großkapitals anzugreifen. Für eine Steuerreform muss man kein Blut vergießen.

SZ: Müssen Revolutionen scheitern?

Ramírez: Was heißt scheitern? Revolutionen kann man nicht planen, sie leben von Idealismus und Improvisationsgeist. Fehler sind unvermeidlich. Aber wenn man alle Fehler unterlassen könnte, wäre es keine Revolution. Die kubanische Revolution ist nach 50 Jahren in einem bürokratischen System erstarrt, die russische Revolution hat sich selbst zerstört.

"Die Revolution ist eine Sache der Jugend"

SZ: Ist etwas geblieben von der nicaraguanischen Revolution?

Ramírez: Ja, der Mut der Menschen, ihre Meinung zu sagen. Hier greift jeder Bauer zum Mikrofon, um sehr eloquent seine Interessen zu verteidigen. Das ist ein wichtiges Erbe.

SZ: Was unterscheidet den Sergio Ramírez von heute von dem Revolutionär von damals?

Ramírez: Damals war ich Mitte 30, idealistisch und romantisch. Ich glaubte, Liebe und Freigiebigkeit, Solidarität würden reichen, die Welt zu verändern. Die Revolution ist eine Sache der Jugend. Junge Menschen müssen den Wandel bringen. Das wird auch passieren, ich bin sicher. Leider gibt es derzeit unter der Jugend eine Form der Ermüdung und Selbstaufgabe, das ist ja im Rest der Welt nicht anders.

SZ: Das klingt resigniert. Che Guevara hat mal gesagt, ein echter Revolutionär trete niemals zurück.

Ramírez: Ich glaube, das Alter ist eher dazu da, um Ratschläge zu geben. Jemand, der versucht, einen Moment, der sich vor 30 Jahren abgespielt hat, nochmal zu leben, macht sich lächerlich.

SZ: Jemand wie Daniel Ortega?

Ramírez: Er hält immer noch die selben Reden wie vor 30 Jahren, und es schert ihn nicht, ob er das in einem Armenviertel Managuas tut oder vor dem Lateinamerikagipfel. Die Welt hat sich verändert, aber er hat es nicht mitgekriegt. Das ist Realitätsverlust. Nicht von der Macht lassen zu können, ist ein weitverbreitetes Problem in Lateinamerika.

SZ: Woher kommt dieser lateinamerikanische Hang, sogenannten Caudillos, autoritären Führern zu folgen?

Ramírez: Die lateinamerikanischen Nationen wurden auf dem Papier entworfen, sie gaben sich Verfassungen nach nordamerikanischem und französischem Vorbild, die niemand beachtete. Die Folge waren Anarchie und Bürgerkriege, deshalb haben sich später Diktatoren und Armeen durchgesetzt, die sich außerordentliche Machtbefugnisse gaben. SZ: Der Befreier Lateinamerikas von den spanischen Kolonialherren, Simon Bolívar, hatte also recht, als er europäische Ratschläge mit dem Argument abwehrte: Wir müssen erstmal unser Mittelalter leben?

Ramírez: Ja, und ich hoffe, wir kommen bald im 19. Jahrhundert an. Nein, im Ernst: Es hat sich viel verändert. In Chile, in Brasilien, in Uruguay gibt es demokratische Kontinuität und funktionierende Institutionen. Auch in Venezuela ist die Regierung von Chávez klar das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Sein Vorgehen gegen Oppositionelle allerdings ist gefährlich. In Panama muss gerade Martin Torrijos, der Sohn des Diktators Omar Torrijos, nach der Wahl die Macht an einen Supermarkt-Magnaten abgeben. Ich hätte ihn sicher nicht gewählt, aber es war ein lupenreiner demokratischer Machtwechsel.

"Wie in einer Bananenrepublik"

SZ: Die meisten Länder in Lateinamerika sind also politisch gereift, außerdem ist es reich an Bodenschätzen und Kultur. Warum hat Lateinamerika wirtschaftlich keinen Erfolg?

Ramírez: Das muss man differenziert sehen. Peru etwa hat ein Wachstum von sieben bis acht Prozent, aber die Probleme der fehlenden sozialen Integration sind ungelöst. Die Küstenregion prosperiert, im Landesinneren aber herrschen wirklich noch mittelalterliche Zustände. Staaten wie El Salvador oder Honduras leben von dem, was Auswanderer nach Hause überweisen. Brasilien oder Argentinien hingegen sind regionale Mächte mit gigantischen Naturreserven und auch technisch auf der Höhe.

SZ: Aber gerade Argentinien hat trotz aller Reichtümer kaum etwas aus sich gemacht.

Ramírez: Das liegt am politischen System, das Erbe des Peronismus. Der Ehemann regiert und gibt seine Macht dann an die Frau weiter. Wie in einer Bananenrepublik.

SZ: In den meisten Ländern Lateinamerikas kamen linke Regierungen an die Macht, während in den USA George W. Bush regierte. Sind die nun durch die Wahl Barack Obamas obsolet geworden?

Ramírez: Ich denke nicht, dass das eine Reaktion auf die Ereignisse im Norden war. Die Siege der Linken waren vielmehr eine Reaktion auf die leeren Versprechungen der Vorgängerregierungen, ihre Lügen und Betrügereien, und auf die Diskriminierung der indigenen Bevölkerungsmehrheit wie in Bolivien oder Guatemala. Die Linken werden auch wieder abtreten müssen, wenn sie ihre Sache nicht richtig machen. Man darf nicht wie Ortega an der Macht bleiben wollen, nur, weil man links ist.

SZ: Sind Sie noch links?

Ramírez: Ja, ich bin links, ich war immer ein linker Demokrat. Das heißt: Soziale Gerechtigkeit ist mir wichtig, aber sie darf nicht wichtiger werden als die Demokratie. Das ist wie bei einem Vogel, der kann mit nur einem Flügel auch nicht fliegen. Diesen Fehler haben viele Linke gemacht: Sie haben geglaubt, auf die Demokratie verzichten zu können. Von diesen Anwandlungen des Totalitären, des Messianischen fühle ich mich geheilt.

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