Nicaragua:Ein Toter ist Parlamentspräsident in Nicaragua

Nicaragua: Staatsschef Daniel Ortega (2. v.r.) trauert um seinen engen Freund René Núñez. Kurz darauf wird der im Amt bestätigt.

Staatsschef Daniel Ortega (2. v.r.) trauert um seinen engen Freund René Núñez. Kurz darauf wird der im Amt bestätigt.

(Foto: AFP)

René Núñez verstarb vor zwei Wochen an einer Lungenkrankheit. Im Amt bleibt er trotzdem.

Von Benedikt Peters

Am 12. September hat René Núñez seinen vermeintlich letzten Auftritt in der Nationalversammlung Nicaraguas. Soldaten tragen den Sarg des verstorbenen Parlamentspräsidenten in den Saal, vorbei an Staatschef Daniel Ortega, dem die Trauer ins Gesicht geschrieben steht. Doch anders, als man an diesem Tag denken kann, ist es nicht die letzte Ehre, die die Abgeordneten Núñez erweisen. Wie das Parlament in dieser Woche bekannt gab, darf er seinem Tod zum Trotz im Amt bleiben.

Der skurrile Einzelfall wirft ein Schlaglicht auf die politische Lage in dem lateinamerikanischen Land. Denn aus demokratischer Sicht laufen die Dinge in Nicaragua selten einwandfrei. Vier Jahrzehnte lang litt das Land unter der blutigen Herrschaft des Somoza-Clans, der Wahlen fälschen und politische Widersacher in den Rücken schießen ließ. Als die Somozas schließlich von sandinistischen Revolutionären vertrieben wurden, fürchtete der damalige US-Präsident Ronald Reagan deren linke Umtriebe und überzog das Land mit dem Contra-Krieg. Die Contras töteten Bauern, sie stahlen Vieh und verbrannten die Ernte. Reagan nannte sie "Freiheitskämpfer".

Heute marodieren die Contras nicht mehr, die Demokratie aber leidet weiter. Unter Staatschef Ortega werden kritische Journalisten eingeschüchtert, die Opposition drangsaliert, es gibt Vorwürfe von Wahlfälschungen. 2007, zu Ortegas Amtsantritt, strich das deutsche Bundesentwicklungsministerium dem mittelamerikanischen Land die Budgethilfe - unter anderem wegen der mangelhaften Gewaltenteilung. Das Parlament, hieß es unter anderem in der Begründung, sei von der Regierung abhängig und weitgehend machtlos.

Umstrittene Gesetze unter Núñez' Ägide

Neun Jahre später hat sich das kaum geändert, wie der Fall Núñez zeigt. Der gelernte Ingenieur gehörte zum engsten Zirkel um Staatschef Ortega, was wohl die Ursache für seinen Amtsverbleib sein dürfte. Offiziell heißt es von den Abgeordneten der Regierungspartei, Núñez werde mit der Entscheidung geehrt für seine "große Dialogbereitschaft und Konsensfähigkeit". Aus Sicht der Opposition hingegen hat Núñez sich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er Ortegas Anliegen stets brav durch die Volksversammlung gewunken hat.

Unter Núñez Ägide verabschiedete das Parlament etwa Gesetze, welche die Kontrolle der Regierung über die Armee ausweiten und es ihr einfacher machen, Regierungskritiker zu unterdrücken. Zudem stimmten die Abgeordneten wie gewünscht für ein umstrittenes Bauprojekt.

Sie vergaben die Konzession für den Bau des interozeanischen Nicaraguakanals an einen dubiosen chinesischen Geschäftsmann namens Wang Jing, der bisher allerdings kaum in Erscheinung getreten ist. Beratungen zur Konzessionsvergabe fanden im Parlament kaum statt. Die Rechte für den Kanalbau, die Wang Jing erhielt, sind für die nächsten 100 Jahre gültig.

Núñez soll Parlamentspräsident bleiben, bis sich nach den nächsten Wahlen im November ein neues Parlament konstituiert hat. Dies, so teilt die Regierungspartei mit, wird voraussichtlich bis Januar dauern. Wie Núñez allerdings als Toter seinen verfassungsgemäßen Aufgaben nachkommen soll - etwa dem Bestätigen von Gesetzen und dem Organisieren parlamentarischer Debatten - das sagen die Abgeordneten nicht. Berichten zufolge soll es einen Vertreter geben, der sich allerdings nicht Parlamentspräsident nennen darf.

Nicaraguas Verfassung besagt, dass mit dem Tod eines Abgeordneten automatisch sein Mandat endet. Für die Freunde des Machthabers Ortega aber gilt dies offenbar nicht.

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