Nicaragua:Die Very First Lady

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Der einstige Guerillero Daniel Ortega hat seine Präsidentschaft gefestigt, doch seine Frau Rosario Murillo wirkt schon lange wie die eigentliche Herrscherin des Landes. Jetzt wird sie Vizepräsidentin und ist so mächtig wie nie.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Nicaraguas Präsident Daniel Ortega, 70, hat sich in einer Wahl, die keine war, seine vierte Amtszeit gesichert. Damit scheint die Verwandlung vom einstmals linken Guerillero zum allmächtigen Caudillo endgültig abgeschlossen zu sein. Beobachter glauben allerdings, dass es sich bei diesem Caudillo in Wahrheit um eine Marionette handelt, um einen fast schon bemitleidenswerten Kerl, der nicht einmal zu Hause das letzte Wort hat.

Vieles deutet darauf hin, dass Nicaragua seit Jahren von Ortegas Ehefrau Rosario Murillo beherrscht wird. Nichts geschieht in der Hauptstadt Managua ohne ihr Einverständnis. Als First Lady führt sie wie selbstverständlich die Regierungsgeschäfte, leitet die Kabinettssitzungen und vertritt ihr Land als Regierungssprecherin. Laut einem anonymen Insiderbericht aus dem regierungskritischen Magazin Confidencial kann es passieren, dass ihr nachts um zwei Uhr eine Idee kommt und sie die gesamte Ministerriege wecken lässt. Es ist deshalb nur konsequent, dass Murillo nun offiziell das Amt der Vizepräsidentin übernimmt. Und es wäre alles andere als eine Überraschung, wenn sie ihren offenbar herzkranken Gatten früher oder später komplett beerben würde.

Ortega und Murillo haben sieben gemeinsame Kinder, die allesamt Spitzenämter in Politik und Wirtschaft bekleiden und damit zum Machterhalt und Wohlstand der Dynastie beitragen. Das Paar heiratete 1978, ein Jahr bevor die sandinistische Revolution den Diktator Anastasio Somoza stürzte. Während Ortega in der Guerilla kämpfte, leistete Murillo als Dichterin Widerstand. In den 1980er-Jahren führte sie den sandinistischen Künstlerverband. Selbst ihre härtesten Kritiker beschreiben sie als intellektuell und fleißig (im Gegensatz zu ihrem Ehemann), vor allem gilt sie als machtbesessen und kaltblütig. Beispielhaft steht der Fall von Zoilamérica Narváez, ihrer Tochter aus erster Ehe. Diese hatte ihren Stiefvater Daniel Ortega Ende der Neunziger öffentlich beschuldigt, sie jahrelang sexuell missbraucht zu haben. Die Sache wurde nie abschließend geklärt, Murillo aber stellte sich in dem Aufsehen erregenden Verfahren gegen ihr eigenes Kind. Seither, so meinen viele, gehört auch ihr Mann, der Staatspräsident, zum Kreis ihrer treu ergebenen Anhänger.

Was die Menschen von ihrer Regierung halten, erkennt man am Spitznamen der First Lady. Die einen sagen: "Die Hexe", die anderen "Compañera Rosario". Murillos Ideologie ist eine bizarre Mischung aus sozialistischen, christlichen und esoterischen Einflüssen. Sie kleidet sich auch mit 65 Jahren wie ein Hippie-Mädchen. Täglich um 12.30 Uhr hält sie eine Fernsehansprache, in der sie von den Segnungen der Revolution berichtet, aber auch die Wettervorhersage übernimmt. Sie kümmert sich um fast alles, die ungekrönte Königin von Nicaragua.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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