Nicaragua:Der klägliche Rest der Revolution

Nicaragua: Demonstranten in Nicaragua gedenken der Menschen, die bei den Protesten gegen die Regierung ums Leben kamen.

Demonstranten in Nicaragua gedenken der Menschen, die bei den Protesten gegen die Regierung ums Leben kamen.

(Foto: Alfredo Zuniga/AP)

Wie demokratisch ist Nicaragua? Nach den vielen Toten bei Protesten wächst die Kritik.

Von Benedikt Peters

Auf den Straßen Nicaraguas war in den vergangenen Tagen häufig ein Reim zu hören: "Ortega y Somoza - son la misma cosa", riefen die Demonstranten. Unter dem amtierenden Präsidenten Daniel Ortega, so lautet ihr Vorwurf, gehe es zu wie unter Diktator Anastasio Somoza Debayle, der in früheren Jahrzehnten das Land tyrannisierte, ehe ihn die linken Sandinisten vertrieben. Im Führungszirkel der damals noch gefeierten Revolutionäre war eben jener Daniel Ortega, der das Land inzwischen seit elf Jahren regiert.

Demokratisch einwandfrei ist es in Nicaragua auch unter Ortega selten zugegangen. Kritische Journalisten und die Opposition klagten immer wieder über Einschüchterung, Vorwürfe von Wahlfälschungen machten die Runde. Was sich nun aber in dem kleinen Land abspielt, hebt die Vorwürfe auf eine neue Stufe - und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es Ortega am Ende ähnlich geht wie dem vertriebenen Diktator Somoza. Das zumindest fordern die mehr als hunderttausend Demonstranten, die seit mehr als einer Woche ihren Unmut auf die Straße tragen. Geht es nach ihnen, dann soll nicht nur Präsident Ortega zurücktreten, sondern auch seine Ehefrau Rosario Murillo, die gleichzeitig seine Stellvertreterin ist.

Begonnen hat alles mit einem umstrittenen Reformprojekt. Die Regierung Ortega hatte verkündet, die Beiträge in die Sozialversicherung zu erhöhen, geplant war ein Anstieg um bis zu 22,5 Prozent. Gleichzeitig sollten die ohnehin nicht gerade üppigen Renten um fünf Prozent gekürzt werden. So sollte das Defizit im Sozialsystem Nicaraguas, das als zweitärmstes Land Lateinamerikas gilt, verringert werden.

Mitte vergangener Woche formierten sich die ersten Protestzüge, die bald an Zulauf gewannen, obwohl - oder vielleicht auch weil - die Regierung mit Gewalt gegen Demonstranten vorging. Neben der Hauptstadt Managua gingen Menschen auch in zahlreichen weiteren Städten auf die Straße, etwa Estelí, Matagalpa und Léon.

Das Ausmaß der Gewalt zeigen Zahlen des nicaraguanischen Zentrums für Menschenrechte (CENIDH). Es berichtet von inzwischen 34 Toten, die Nichtregierungsorganisation CPDH sprach sogar von mindestens 63 Toten, Dutzende Demonstranten wurden zudem als verschwunden gemeldet. Unter den Getöteten ist mindestens ein Journalist: Dem Video-Reporter Angel Eduardo Gahona war am Sonntag vor laufender Kamera in den Kopf geschossen worden, als er über Proteste in der Stadt Bluefields berichtete. Die nicaraguanische Regierung hatte noch am gleichen Tag den Tod des Journalisten bestätigt und "kriminelle rechte Gruppen" verantwortlich gemacht. Gahona nahestehende Aktivisten hingegen glauben, dass staatliche Sicherheitskräfte oder Schlägertrupps den Journalisten ermordet haben. Belege gibt es weder für die eine noch die andere Version.

Präsident Ortega hat die umstrittene Sozialreform inzwischen zurückgenommen

Als Reaktion auf den wachsenden Protest hat Präsident Ortega die umstrittene Sozialreform inzwischen zurückgenommen. Zudem ließ die Polizei zahlreiche festgenommene Demonstranten wieder frei und beendete die Zensur einiger Medien.

Die Lage hat sich dadurch ein wenig beruhigt. Noch immer aber halten Studenten die Polytechnische Universität in der Hauptstadt Managua besetzt, sie haben dort eine Art Hauptquartier des Protests errichtet. Die Demonstrationen können jederzeit wieder anschwellen. Es hat nicht den Anschein, als sei die Krise in Nicaragua ausgestanden. Eine Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte bezeichnete die gewaltsamen Vorgänge rund um die Kundgebungen als "besonders besorgniserregend". Ein Teil der aus Nicaragua gemeldeten Todesfälle käme dem Anschein nach "illegalen Hinrichtungen" gleich. Es sei nötig, Hinweise auf "übermäßige Gewaltanwendung seitens der Polizei und anderer Sicherheitskräfte" zu untersuchen.

UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Regierung auf, die Menschenrechte aller Bürger sicherzustellen, insbesondere das Recht auf Meinungsfreiheit. Auch die Vereinigten Staaten übten deutliche Kritik. Die "widerliche" Gewalt von Polizei und "regierungstreuen Schlägern" gegen die nicaraguanische Bevölkerung habe die internationale Gemeinschaft schockiert, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses.

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