Süddeutsche Zeitung

Rüstungskontrolle:Was kommt nach dem Ende von New Start?

Russland will den Abrüstungsvertrag mit den USA aussetzen. Außenministerin Annalena Baerbock nennt das bei den Vereinten Nationen in Genf "Unverantwortlich". Und die Aussichten für einen Nachfolgevertrag sind schlecht.

Von Paul-Anton Krüger, Genf

Es ist der dritte Tag in Folge bei den Vereinten Nationen für die Bundesaußenministerin. Nachdem Annalena Baerbock am Donnerstag an der Generalversammlung in New York und am Freitag an der Sondersitzung des Sicherheitsrates zum Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine teilgenommen hat, spricht sie am Montag im Palais des Nations in Genf vor der Abrüstungskonferenz und später noch vor dem Menschenrechtsrat und einer Geberkonferenz für Jemen. Sie macht damit die Bedeutung deutlich, die Deutschland dem Multilateralismus und insbesondere den UN beimessen: "Die Vereinten Nationen sind weit mehr als der blockierte Sicherheitsrat", sagt Baerbock mit Blick auf das Vetorecht Russlands und in einigen Fällen auch Chinas.

Allerdings sieht es bei der Rüstungskontrolle auch nicht rosig aus. Im Kalten Krieg war sie ein zentrales Mittel, um das Risiko einer nuklearen Eskalation zwischen den verfeindeten Supermächten mit einem auf Kooperation basierenden Ansatz zu verringern und dem Wettrüsten bei Atomwaffen und deren Trägersystemen Einhalt zu gebieten.

Moskau verweigert den USA neue Beratungen und den Zugang zu seinen Stützpunkten

Die Abrüstungskonferenz, 1978 gegründet, hat als einziges ständiges multilaterales Verhandlungsforum für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung wichtige Abkommen wie die Übereinkommen zum Verbot chemischer und biologischer Waffen ausgehandelt. Seit 1998 aber hat sich die im Konsens entscheidende Konferenz nicht mehr auf ein Arbeitsprogramm oder gar die Aufnahme substanzieller Verhandlungen einigen können.

Es dauert nicht lange, bis Baerbock im kreisrunden Saal XVII vor den Delegierten die Entscheidung von Russlands Präsident Wladimir Putin als "unverantwortlich" geißelt, der erklärt hat, die Beteiligung seines Landes am New-Start-Vertrag auszusetzen. Es ist das letzte noch geltende Abkommen, das den Nukleararsenalen der USA und Russlands Grenzen setzt, zumindest was die strategischen Atomwaffen angeht, also Interkontinentalraketen, auf U-Booten stationierten ballistischen Raketen und schweren Bombern.

Eine "Aussetzung" des Vertrages ist freilich nicht vorgesehen. Vielmehr verpflichtet das Abkommen die Parteien, gegenseitige Inspektionen zuzulassen, damit die Einhaltung kontrolliert werden kann. Doch Russland verweigert den USA den Zugang zu seinen Stützpunkten und nimmt auch an den bilateralen Beratungen nicht mehr teil, die das Abkommen flankieren - und auf die sich Hoffnungen auf eine Nachfolgevereinbarung richteten.

Die Begrenzungen des New-Start-Vertrages, im Jahr 2010 in Prag vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama und seinem russischen Kollegen Dmitrij Medwejew unterzeichnet, laufen im Februar 2026 aus, sollte bis dahin kein neues Abkommen ausgehandelt sein. Die einmalige Option zur unveränderten Verlängerung hatten Putin und US-Präsident Joe Biden bereits kurz nach dessen Amtsantritt genutzt.

Nach dem New-Start-Vertrag dürfen die USA und Russland jeweils bis zu 1550 Sprengköpfe einsatzbereit stationiert haben. Insgesamt dürfen sie dafür je 700 der zulässigen 800 Trägersysteme einsatzbereit halten. Das Außenministerium in Moskau hat angekündigt, dass Russland diese Limits nicht überschreiten und die USA weiter über Tests ballistischer Raketen notifizieren werde.

In weiter Ferne: ein multilateraler Vertrag unter Einschluss von China

Allerdings sind die Aussichten für einen Nachfolgevertrag schlecht. Russland hat deutlich gemacht, ein neues Abkommen sei nur möglich, wenn auf der Seite des Westes die Atomarsenale Frankreichs und Großbritanniens einbezogen werden. In den USA wiederum gibt es starke Stimmen, China müsse Partei eines künftigen Abkommens sein; nach Einschätzung der US-Regierung baut Peking sein Atom-Arsenal drastisch aus - mit dem Ziel, binnen zehn Jahren annähernd gleichzuziehen mit Russland und den USA.

Ein multilateraler Vertrag zur Begrenzung der Atomwaffen aber bräuchte nicht nur jahrelange Vorbereitung, sondern auch ein Mindestmaß an Stabilität und Vertrauen in den Beziehungen zwischen den Mächten - und danach sieht es seit Russlands Überfall auf die Ukraine noch weniger aus als schon zuvor. Bereits im Jahr 2019 hatten die USA den Vertrag zur Begrenzung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen (INF) mit Reichweiten zwischen 1500 und 5500 Kilometern gekündigt, nachdem Russland im Geheimen einen Marschflugkörper entwickelt hatte, der gegen die Bestimmungen verstößt.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert, Europa müsse einen Platz am Tisch haben bei künftigen Verhandlungen. Der Wegfall des INF betreffe vor allem die Sicherheit der Europäer. Wenn diese nun, wie von Kanzler Olaf Scholz vorgeschlagen, eine gemeinsame Luftverteidigung aufbauten, müsse die "Frage der Abschreckung und der Schläge in die Tiefe" berücksichtigt werden - gemeint waren mit Atomwaffen bestückte Marschflugkörper und ballistische Raketen mittlerer Reichweiten. Von diesen besitzt wiederum China, das ebenfalls nicht Partei des INF war, ein großes Arsenal, das die USA in jegliche denkbaren Verhandlungen einbezogen sehen wollen.

Hoffnung hatte in Genf zuletzt gemacht, dass die Abrüstungskonferenz Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen eingerichtet hatte, etwa zu autonomen Waffensystemen. Dafür brauche es klare Regeln, mahnt Baerbock. Künstliche Intelligenz könne zur Entwicklung von Killerrobotern beitragen, warnt sie. Waffen müssten aber immer von Menschen kontrolliert werden. Doch angesichts des Kriegs in der Ukraine und der sich verschärfenden Konkurrenz zwischen Russland, China und den USA dürfte es schwierig werden, die führenden Militärmächte dafür zu gewinnen, sich bei derlei zukunftsweisenden Fähigkeiten zu beschränken.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung enthielt die Jahresangabe der Kündigung des INF-Abkommens durch die USA einen Tippfehler: Die USA hatten den Vertrag zur Begrenzung landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen (INF) aber nicht "2009" gekündigt, sondern im Jahr 2019. Wir haben das im Text korrigiert.

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