Am Freitag hat sich Bundeswahlleiterin Ruth Brand in die Debatte über den Neuwahltermin eingeschaltet. In einem Brief an die Spitzen des Staates, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, schreibt Brand, „basierend auf den aktuellen politischen Entwicklungen und den Überlegungen zur Durchführbarkeit einer vorgezogenen Neuwahl Anfang des Jahres 2025“ möchte sie Informationen zu Kenntnisnahme übermitteln. Diese „Informationen“ lesen sich dann wie eine Warnung vor zu großer Eile.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Mittwoch mitgeteilt, erst Mitte Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen zu wollen – dies ist die Voraussetzung dafür, dass es zu Neuwahlen kommen kann. Die Union hat den Kanzler dagegen aufgefordert, schon in der kommenden Woche die Vertrauensfrage zu stellen. In den Meinungsumfragen spricht sich auch der Großteil der Befragten für schnelle Neuwahlen aus. Am Freitagnachmittag hat der Kanzler – vermutlich auch deshalb – angedeutet, die Vertrauensfrage auch früher stellen zu können.
Es sei erforderlich, den Zeitraum von 60 Tagen ab der Parlamentsauflösung auszuschöpfen
Die Bundeswahlleiterin schreibt jetzt, „für die beteiligten Stellen, wie Wahlorgane, Länder und Gemeinden“ stelle eine vorgezogene Neuwahl des Bundestags eine große organisatorische Herausforderung dar. „Da die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie ist“, sei „es erforderlich, den Zeitraum der 60 Tage ab Auflösung des Deutschen Bundestages voll ausschöpfen zu können, um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können“.
Dies umfasse unter anderem, „die Bereitstellung der notwendigen IT-Infrastruktur auf Ebene der Kommunen, der Länder und des Bundes“. Dabei sei in der gegenwärtigen Situation ganz besonderes Augenmerk auf die zunehmenden hybriden Bedrohungen zu richten. Überdies seien „die Aufwände der Beschaffung der Wahlunterlagen aufgrund der aktuellen Marktlage nicht zu vernachlässigen“. Hierbei sei „insbesondere in den letzten Jahren die Beschaffung von Papier und die Beauftragung geeigneter Druckdienstleister zunehmend erschwert und mit längerem Vorlauf verbunden“ gewesen.
Außerdem müssten „Wahlausschüsse, wie Kreis- und Landeswahlausschüsse berufen werden und tagen, Wahlhelfende berufen und hinreichend geschult werden, geeignete Wahlräume organisiert und ausgestattet werden“. Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, „wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt“. Dies könnte „zu unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen“.
Ein konkretes Datum nennt der Brief nicht
Insgesamt bestünde bei Nichtbeachtung dieser Herausforderungen die Gefahr, dass sich insbesondere fünf „Risiken realisieren“, schreibt Brand.
Erstens könnte ein überstürztes Handeln von Wahlvorschlagsträgern zu einer vermehrten Nichtzulassung von Wahlvorschlägen führen, „beispielsweise aufgrund nicht ordnungsgemäß durchgeführter Aufstellungsversammlungen (Ladungsfristen sind zu beachten) oder fehlerhaft eingereichter Wahlvorschläge“.
Zweitens stünden insbesondere „nicht etablierte Parteien mit dem Erfordernis zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften“ unter zusätzlichem Zeitdruck.
Drittens könnten die Gemeindebehörden „über ihre Kapazitätsgrenzen hinaus in gesteigertem Maße belastet werden“. Dies könnte dazu führen, dass die für die Einreichung von Wahlvorschlägen erforderlichen Bescheinigungen nicht rechtzeitig an Wahlvorschlagsträger herausgegeben werden können.
Viertens könne eine Überlastung der Wahlämter insgesamt auch eine ordnungsgemäße Briefwahlvorbereitung gefährden und insbesondere zu Verzögerungen beim Versand führen, was vor allem für Auslandsdeutsche „zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Wahlteilnahme führen könnte“.
Fünftens sei „zu befürchten, dass nicht nur in einzelnen Wahlbezirken, sondern in größerem Ausmaß, durch fehlende Wahlunterlagen oder unzureichend geschulte Wahlvorstände eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl gegebenenfalls nicht hinreichend gewährleistet werden kann“.
Insgesamt sehe sie in diesem Fall „eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte“. Sie bitte deshalb, die von ihr aufgezeigten Risiken „bei einer Bestimmung des Wahltermins zu berücksichtigen“. Ein konkretes Datum, zu dem eine vorgezogene Bundestagswahl frühestens risikolos durchgeführt werden könnte, nennt sie aber nicht.
Erstaunlich ist allerdings, dass die Deutsche Presseagentur noch am Donnerstag berichtet hat, dass eine kurzfristige Neuwahl aus Sicht der Bundeswahlleiterin kein Problem wäre. Ein Sprecher der Behörde habe gesagt, man sehe keine besondere Herausforderung, auch wenn das nun kurzfristig passieren würde. Er habe darauf verwiesen, dass ja dieselben Voraussetzungen wie auch für andere Bundestagswahlen gelten würden. Die Fristen dazu seien alle gesetzlich geregelt.
Ganz unabhängig von den jetzt bekannt gewordenen Hinweisen der Bundeswahlleiterin gilt aber: Es wäre ein Armutszeugnis für alle Beteiligten, wenn sie nicht in der Lage wären, innerhalb der seit langem im Grundgesetz für so einen Fall festgelegten Fristen eine vorgezogene Bundestagswahl zu organisieren.