Neuwahlen in Österreich:Nach oben gepurzelt, nach unten gefallen

Die große Koalition in Österreich ist geplatzt und Alfred Gusenbauer ist gescheitert. Der Bundeskanzler hat viel bewegen wollen und wenig erreicht. Gegnern wie Freunden wurde der Sozialdemokrat schließlich zum Rätsel.

Michael Frank, Wien

Zuletzt wurden über Alfred Gusenbauer nicht einmal mehr Witze gemacht, und wenn er in einem Jokus vorkam, dann meist nur als Nebenfigur, die, zum Beispiel, eine Weinflasche auf den Kopf bekommt, worauf der Kanzler der Republik ins Koma fällt.

Neuwahlen in Österreich: Nach 18 Monaten als Regierungschef am Ende: Alfred Gusenbauer

Nach 18 Monaten als Regierungschef am Ende: Alfred Gusenbauer

(Foto: Foto: dpa)

Die vergangenen anderthalb Jahre, die Gusenbauer als Bundeskanzler Österreich regiert hat, mag gewiss niemand eine Zeit im Koma nennen. Aber selbst Sympathisanten und Freunde des Wiener Regierungschefs haben sie zumindest als eine Phase der Agonie empfunden. Denn ein allseits als gebildet und weltoffen gepriesener Mann hat sich auf das Image eines ewigen Umfallers reduziert, eines Opportunisten und Seelenverkäufers, wenn es der Erhalt der Macht erforderte.

Nun ist die Macht dahin. Noch nie ist in Österreich ein Regierungschef derart kalt abserviert worden. Und beteiligt daran waren Freund und Feind. Die Österreichische Volkspartei und deren Chef, Vizekanzler Wilhelm Molterer, haben verkündet, die Sozialdemokraten seien in ihrer inneren Struktur so erschüttert, dass mit ihnen keine konstruktive Arbeit mehr möglich sei. Als der Koalitionspartner das am Montag öffentlich machte, fiel dem Bundeskanzler auf dem Weg zur Präsidiumssitzung seiner sozialdemokratischen Partei noch nicht mehr ein, als zu sagen: "Wir werden das intensiv beraten."

Was für ein kleinlautes Ende. Dabei war Alfred Gusenbauer zu Beginn für viele eine große Hoffnung. Er purzelte die Parteitreppe hinauf, als Ende der neunziger Jahre der nette, aber schwer überforderte Bundeskanzler Viktor Klima erst eine Wahl und dann die Koalitionsverhandlungen mit der Volkspartei unter dem listigen Wolfgang Schüssel verspielte. Damals hatte Gusenbauer vollmundig erklärt, ein Parteivorsitzender müsse wissen, dass es Zeit sei zu gehen, wenn er der Partei schade. Für sich selbst aber hat er davon nichts wissen wollen.

Vielleicht war der 48-Jährige noch immer so ergriffen von seinem steilen Aufstieg. Der etwas bullige Sozialdemokrat aus Ybbs an der Donau, der früher lange Frisuren wie von Star-Trek-Figuren bevorzugte, hatte eigentlich schon abgeschlossen mit seiner Karriere - und dann wurde er so plötzlich wiederentdeckt. Aus der niederösterreichischen Provinz zauberte man den einstigen Chef der Jungsozialisten hervor. Ein scheinbar unendlich dynamischer Mann stürmte die Karriereleiter hinauf, wurde SPÖ-Bundesgeschäftsführer, geschäftsführender Parteivorsitzender, Parteichef, Kanzlerkandidat und schließlich Bundeskanzler.

Einst ein Spötter

Doch Gusenbauer war schon immer ein Mann der Widersprüche: Als Jungsozialist galt er als origineller Geist mit manchmal anarchistischen Ideen, der zum Beispiel bei einem Besuch in Moskau Anfang der achtziger Jahre auf dem Flughafen nach Art des Papstes den Boden küsste. In seiner Parteiarbeit aber war er immer ein Apparatschik. Auch während seiner Kanzlerschaft konnten sich die Menschen oft keinen Reim auf einen seltsamen Kontrast machen: In den Schilderungen seiner Freunde und Bekannten ist er ein locker und geistreich parlierender Zeitgenosse, dagegen aber steht das Bild eines unbeweglichen und mit Stereotypen argumentierenden Mannes.

Die Boulevard-Zeitungen haben mit der gebotenen Entrüstung immer wieder einmal die Moskau-Bilder aufgefrischt, doch damit konnten sie dem Kanzler nicht schaden. Er hat es sich sogar geleistet, in Österreichs klerikal durchwirkter Gesellschaft als Regierungschef nicht aus Imagegründen vor den Traualtar zu treten, sondern bei der unverheirateten Beziehung zu seiner Lebensgefährtin zu bleiben. Die beiden haben eine Tochter. Die Treue hielt der Kanzler auch einem Umkreis uralter Vasallen, denen er wohl als einzigen wirklich vertraut. Denen hat er, der das gebildete Parlando so liebt, vielleicht sogar manchmal zugehört. Aber geglaubt hat er keinem: Gusenbauer gilt als beratungsresistent. Und das hat ihn wohl die Sympathien und das Amt gekostet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Bilder im Büro des Wein-Liebhabers hängen.

Nach oben gepurzelt, nach unten gefallen

Gusenbauer vertraute nur auf sich selbst. Der Aufstieg aus bescheidensten Verhältnissen mag ein Grund dafür sein, dass er das Bild seiner eigenen Großartigkeit so pflegte. Als Oppositionschef hatte er gerne seine alte Mutter erwähnt. An deren ärmlicher Witwenrente konnte er so schön die Grausamkeiten der Regierung Schüssel vorführen. Den eigenen Werdegang präsentiert er als Ergebnis der Segnungen sozialdemokratischer Bildungspolitik: Ungemein belesen parliert er mit Philosophen, beherrscht einige Sprache, ist eben immens gebildet. Sein Büro am Ballhausplatz in Wien schmückt neben moderner Malerei eine riesige Fotografie von Andreas Gursky, den er verehrt. Gerne redet er über dessen Werk und das Oeuvre anderer zeitgenössischer Künstler. Nur, so merken auch Freunde an, das dürfe man nicht unbedingt mit Intelligenz verwechseln.

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(Foto: Foto: Reuters)

Ruf des Umfallers

Gusenbauer ist überdies ein Wein-Liebhaber, und dabei kann man schon mal ins Schwelgen geraten und das Maß verlieren. So wie er das Maß im Wahlkampf 2006 verloren hat, als er mit derart überzogenen Wahlversprechungen antrat, dass die SPÖ schon eine absolute Mehrheit hätte erringen müssen, um alle zu verwirklichen. Aber die geschlagene ÖVP, die zusammen mit ihrem Ex-Kanzler Schüssel bis heute die Niederlage nicht verwunden hat, handelte dem vorgeblichen Feingeist bei der Regierungsbildung ein Versprechen nach dem anderen wieder ab, so dass schon bei der Vereidigung der Koalitionsregierung mit der ÖVP unter Wilhelm Molterer der Kanzler den Ruf des Umfallers weghatte.

Irgendwie schien nichts richtig vorbereitet zu sein. Heute fliegen Eurofighter über Österreich, deren Beschaffung Gusenbauer als schwerste Sünde zu streichen versprochen hatte. Studenten zahlen immer noch Studiengebühren, die Gusenbauer als Verrat am sozialdemokratischen Bildungsideal verdammt hatte. Und die für einen Sozialdemokraten peinliche Abschaffung von Erbschafts- und Schenkungssteuer gab er am Ende als eine gute Idee aus. Selbst Personalentscheidungen wurden in Sekundenschnelle getroffen.

Gusenbauer bespricht sich nicht mit Gremien und hohen Funktionären. In bester Erinnerung ist die Szene, wie der steirische Landeshauptmann Franz Voves in einer Pressekonferenz fluchend zugestehen musste, dass man ihm eine Landesrätin als Staatssekretärin nach Wien wegholte. Auch andere Parteigranden hat er gegen sich aufgebracht, wenn er Beschlüsse seines Küchenkabinetts auch gegen deren Einspruch durchpauken wollte. Und an der Basis fiel er in Ungnade, weil er nach Ansicht vieler Parteigänger dem Koalitionspartner ständig zu große Konzessionen machte.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass Gusenbauer selbst die Kanzlerschaft genoss. Aber eine gewisse Ziellosigkeit prägte sein Handeln: Während man seinem Vorgänger Schüssel immerhin bescheinigte, tatkräftig den Wandel betrieben zu haben, egal in welche Richtung, so konzentrierte sich Gusenbauer darauf, Bundeskanzler zu sein, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was damit anzufangen wäre. Dass Österreichs Bundeskanzler - anders als in Deutschland - keine Richtlinienkompetenz in der Regierung hat, daran allein kann es nicht gelegen haben. Es gab einfach keine Visionen. Sein einziges Dauerthema war auf nationaler und europäischer Ebene die Ablösung der "sozialen Kälte". Auch als Gusenbauer in der vergangenen Woche zusammen mit seinem präsumptiven Nachfolger Werner Faymann ankündigte, künftig auch in Österreich über neue Europaverträge plebiszitär abstimmen zu lassen, berief er sich auf diese soziale Komponente seiner Politik.

Es interessierte ihn nicht, dass er dabei weitere Fortschritte im Einigungswerk Europas unmittelbar gefährden könnte. Ihn trieb eher die Hoffnung, die Millionen EU-Skeptiker in Österreich wieder auf seine Seite ziehen zu können. Und dass der Koalitionspartner ÖVP da nicht mitkonnte, hat er womöglich bewusst riskiert. Am Montag, in der Stunde seines Scheiterns, warf er der Volkspartei vor, "ein Mühlstein für die gemeinsame Arbeit gewesen zu sein". Die ÖVP habe sich in den vergangenen anderthalb Jahren vor allem "bemüht, die Arbeit der Regierung zu behindern".

Der Koalitionspartner hat ihm nun den Bettel hingeworfen, doch auch viele der eigenen Freunde hatten sich von Gusenbauer abgewendet. Er hätte schon lange wissen müssen, dass seine Zeit als Österreichs mächtigster Mann zu Ende geht. Aber er hat es nicht glauben wollen, so wie er nichts und niemand geglaubt hat.

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