Süddeutsche Zeitung

Neuwahlen in Island:Isländischer Sumpf

  • Der Vater von Islands Regierungschef Benediktsson, Benedikt Sveinsson, hat ein Empfehlungsschreiben für einen Mann unterzeichnet, der 2004 wegen Missbrauchs seiner Stieftochter zu mehrjähriger Haft verurteilt worden war.
  • In Island können Straftäter nach der Verbüßung ihrer Strafe den Eintrag ihrer Verurteilung löschen lassen, wenn Menschen mit gutem Leumund sich schriftlich für sie verbürgen.

Von Oliver Das Gupta

Der kurze isländische Sommer endet mit innenpolitischem Chaos. Die Regierungskoalition ist zerbrochen, wohl Anfang November gibt es vorgezogene Parlamentswahlen, zum zweiten Mal nach 2016. Für die Isländer ist es ein Déjà-vu der unschönen Art, ging es doch in beiden Fällen mächtig skandalös zu.

2016 hatten die von der Süddeutschen Zeitung offengelegten Panama Papers zum Rücktritt von Premierminister Sigmundur Davíð Gunnlaugsson geführt - er hatte seine Beteiligung an einer Briefkastenfirma seiner Frau verschwiegen (hier mehr dazu).

Eine anders gelagerte Affäre lässt nun die erst seit Januar regierende Koalition kollabieren. Es geht um einen Skandal, der sich wegen seiner Vertuschung besonders mächtig auswächst. Im Zentrum: ein verheimlichter Brief, der mit einer archaisch anmutenden Eigenart des isländischen Rechts zu tun hat.

In dem Inselstaat können Straftäter den Eintrag ihrer Verurteilung löschen lassen, was landläufig als "Wiederherstellung der Ehre" bezeichnet wird und den Weg in bestimmte Berufe wie im juristischen Bereich erst wieder ermöglicht. Voraussetzung ist die Verbüßung ihrer Strafe, außerdem müssen sich Menschen mit gutem Leumund schriftlich für sie verbürgen. Diese besondere Resozialisierung wurde auch Hjalti Sigurjón H. zuteil, der jahrelang seine damals minderjährige Stieftochter vergewaltigt hatte. H. wurde dafür verurteilt und saß im Gefängnis.

Die beiden "Ehr-Wiederherstellungen" sorgten in Island für Aufregung

Fünf Jahre nach seiner Entlassung wurde im August sein Strafregister gereinigt. Vorausgegangen war ein Empfehlungsschreiben, das ein alter Freund von H. an die Justizbehörden geschickt hatte. Ebenso wurde im Fall eines prominenten Juristen verfahren, der sich an mehreren Kindern vergangen hatte und nun wieder als Anwalt arbeiten kann.

Die beiden "Ehr-Wiederherstellungen" sorgten auf der Insel, auf der halb so viele Menschen leben wie in Frankfurt, für Aufregung. Einheimische Journalisten schrieben von "besonders notorischen Kinderschändern". Die Presse bohrte nach, wer sich als Briefeschreiber für die beiden Männer eingesetzt hatte - doch die Regierung mauerte. Erst als ein Parlamentskomitee unter Verweis auf das Informationsfreiheitsrecht Druck machte, lenkte das Justizministerium ein.

So wurde publik, wer für Hjalti Sigurjón H. bürgt: Benedikt Sveinsson, einer der reichsten Männer des Landes, Strippenzieher der konservativen Unabhängigkeitspartei und Vater von Premierminister Bjarni Benediktsson. Das Fass zum Überlaufen brachte allerdings Benediktssons liberal-konservative Parteifreundin Sigríður Andersen. Die Justizministerin erklärte, sie habe den Premier schon im Juli über den Brief seines Vaters informiert.

Briefeschreiber Sveinsson versuchte die Flucht nach vorne: H. habe den Brief ihm vorgeschrieben vorgelegt, versicherte er. Außerdem nehme er dem Vergewaltiger ab, dass ihm seine Taten leid täten. Doch die Beschwichtigungsversuche blieben fruchtlos.

Inzwischen sind die Neuwahlen fix

Der Brief, die Mitwisserschaft und das Vertuschen - den politischen Partnern des Premiers wurde es zu sumpfig: Die liberale Partei "Helle Zukunft" warf Benediktsson Vertrauensbruch vor und scherte aus der Dreier-Koalition aus. "Korruption und Unehrlichkeit sind einfach unglaublich", heißt es aus den Reihen der "Hellen Zukunft" mit Blick auf die Fortschrittspartei. Die Regierung, die im Einkammerparlament, dem Alþingi, ohnehin nur über eine Stimme Mehrheit verfügt hatte, ist damit am Ende.

Mittlerweile sind die Neuwahlen fix: Der Präsident habe seinen Antrag auf Ansetzung einer vorgezogenen Parlamentswahl akzeptiert, sagte Ministerpräsident Benediktsson. Als Wahltag stehe der 4. November zur Debatte. Seine Chancen, nach dem Urnengang erneut als Premier zu amtieren sind mau: Auch sein Name tauchte in den Panama Papers auf, seine Regierung war unbeliebt wie kaum eine andere in der Geschichte des Landes. Und nun auch noch der Skandal um den Sexualstraftäter.

Inzwischen hat sich auch die Stieftochter von Hjalti Sigurjón H. in isländischen Medien zu Wort gemeldet. "Surreal", so empfinde sie diese Form der Resozialisierung des Mannes, der sie zwölf Jahre fast täglich sexuell missbraucht habe. Noch immer dringt er auf Kontakt zu seinem Opfer. H. versuche, sie anzurufen und schicke ihr Mitteilungen, sagt seine Stieftochter. Einmal habe er sich sogar ihrer sechsjährigen Tochter genähert.

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