Neuseeland:Neuer Premier, neue Probleme

Neuseeland: Gibt sich gern als Krisenmanager: der neue neuseeländische Premierminister Chris Hipkins mit Betroffenen einer Überflutung in Auckland.

Gibt sich gern als Krisenmanager: der neue neuseeländische Premierminister Chris Hipkins mit Betroffenen einer Überflutung in Auckland.

(Foto: Dean Purcell/AP)

Am Nationalfeiertag gibt Chris Hipkins sein Debüt. Der Nachfolger von Jacinda Ardern bekommt es mit einer Kostenexplosion und einer drohenden Spaltung zwischen Weißen und Maori zu tun.

Von Felix Haselsteiner, Wellington

Wer in Waitangi nach Kontroversen sucht, wird stets welche finden. 182 Jahre nach Unterzeichnung von Te Tiriti o Waitangi, dem Abkommen zwischen den Ureinwohnern Aotearoas und der britischen Krone trafen am Sonntag Politiker aller neuseeländischen Parteien auf die Maori-Stammesführer. Zu einer Zeit, in der sich das politische Neuseeland nach dem Abschied von Jacinda Ardern als Premierministerin noch in einer Art Findungsphase befindet - weshalb jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird, insbesondere, wenn es um Neuseelands Historie geht.

"Ein kleines Experiment" sei das Abkommen im 19. Jahrhundert gewesen, sagte Christopher Luxon, Spitzenkandidat der derzeitig oppositionellen National-Partei, was kurzzeitig für Aufregung sorgte, weshalb er umgehend anfügte, heute sei das Land dafür zu einer "Erfolgsgeschichte" geworden. Luxon verzichtete zudem darauf, seine gesamte Rede in te reo Maori zu halten, sondern blieb beim Englischen - genauso wie der Mann, dessen Auftritt mit der größten Spannung erwartet wurde. Chris Hipkins, Arderns Nachfolger als Premierminister, sah sich in Waitangi zum ersten Mal dem öffentlichen politischen Wettbewerb ausgesetzt, der ihn bis zur Wahl im Oktober begleiten wird.

Einen beachtlichen Sprung von fünf beziehungsweise 5,8 Prozentpunkten bescheinigten die zwei größten Umfrageinstitute des Landes der Labour-Partei seit Hipkins Amtsübernahme. Arderns monatelangen Abwärtstrend hat der 44-Jährige damit innerhalb weniger Tage umgekehrt, in Neuseeland nennt man das lieblich den honeymoon bump, die kurze Welle an Aufbruchsgefühlen, die neue Staatschefs auslösen. Bei manch einem weckt ein derartiger bump Erinnerungen: Auch Ardern übernahm einst wenige Monate vor der Wahl 2017 das Ruder und schaffte einen spektakulären Turnaround, der ihr das Amt einbrachte, das sie bis vor kurzem bekleidete.

Neuseelands Inflationsrate lag zuletzt bei 7,2 Prozent

Hipkins soll nun im Duell mit Luxons National-Partei dasselbe schaffen - und setzt dazu augenscheinlich auf mehr Pragmatismus als seine Vorgängerin. Das Hauptziel seiner Regierung sei, in den kommenden Monaten die Krise durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen. Neuseelands Inflationsrate lag zuletzt bei 7,2 Prozent, die Preise für Lebensmittels, Mieten und Baukosten sind auf Rekordhöhen angestiegen. Hipkins will unter anderem mit der Verlängerung eines Tankrabatts von 25 Cent pro Liter bis Ende Juni die Kosten bremsen, weitere Maßnahmen sind allerdings noch zu verkünden - bisher gibt es nur ein Versprechen: "Wir werden uns beeilen", sagte Hipkins, dessen Prioritäten allerdings klar sind.

Seine erste Reise führte ihn zu einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern in Auckland, wo er kurz darauf auch seine erste Naturkatastrophe im Amt erlebte: Die Überflutungen nach Starkregen machten Hipkins umgehend zum Krisenmanager, als solcher hatte er sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht: Die Pandemie hatte Hipkins hauptamtlich gemanagt, was dem Karrierepolitiker aus der Nähe von Wellington einen Ruf als guter Organisator eingebracht hatte.

In Waitangi musste er sich nun allerdings mit übergeordneten Themen beschäftigen, die nicht nur die kommenden Monate Wahlkampf bestimmen werden, sondern das zukünftige Zusammenleben der 17 Prozent Maori in der Bevölkerung mit dem Rest Neuseelands. Das Abkommen nämlich ist nach 182 Jahren wieder aktueller denn je: Vor allem in Arderns zweiter Amtsperiode wurden zahlreiche Schritte in die Wege geleitet, um den Ureinwohnern mehr Mitbestimmung zu geben. Für viele ihrer Vorhaben - wie etwa die paritätische Besetzung der Ministerposten und mehr Sprachförderung in Schulen - hatte Ardern Lob bekommen, längst aber nicht für alle.

Die Forderungen der Maori sind bei der weißen Bevölkerung umstritten

Kritik bekam sie auf der anderen Seite für das Three-Waters-Abkommen, das eine Restrukturierung des neuseeländischen Wassersystems vorsieht und den Maori-Stämmen wesentlich mehr Einfluss geben würde. Three Waters wäre ein weiterer Schritt in Richtung der von Maori-Vertretern schon lange geforderten - und in manchen Bereichen der Landesverwaltung bereits praktizierten - Co-Governance, der gleichmäßigen Aufteilung der Exekutive zwischen neuseeländischer Regierung als Vertretung der britischen Krone und den Ureinwohnern, deren Rechte seit dem Abkommen von Waitangi lange Zeit nicht so eingehalten wurden, wie damals versprochen. Unabhängig von Debatten über historische Schuld sind die Forderungen der Maori bei der weißen Bevölkerung umstritten, das Land ist gespalten: In Neuseeland stehen derzeit viele Werbeschilder sowohl für, als auch gegen das Three-Waters-Abkommen.

Arderns Zustimmungswerte litten zuletzt auch unter ihrem klaren Bekenntnis zum Abkommen, weshalb Hipkins sich zum Beginn seiner Amtszeit noch zu keiner eindeutigen Botschaft durchringen konnte: Polittaktisch gesehen könnte das Thema die Wahl im Herbst für die konservative National-Partei entscheiden, weshalb der Premierminister selbst in Waitangi kein deutliches Zeichen sendete, sondern sich auf Allgemeinplätze verließ: "Ich mag die Phrase mahi tahi - zusammen arbeiten. Genau darum geht es: Zusammenarbeiten, um unsere gemeinsamen Interessen voranzubringen", sagte Hipkins am Freitag nach einem Treffen mit Stammesführern.

Fehlende Klarheit darüber, was Co-Governance tatsächlich bedeuten würde, führt in Neuseeland zu Verbreitung von Fake-News über Maori, die ihr Land "zurückerobern" wollen und zu verstärkten Ressentiments - darin immerhin sind sich alle Parteien einig. Hipkins sieht die Schuld dafür bei National und der liberalen ACT-Partei, die das Three-Waters-Abkommen lautstark hinterfragen. Die Opposition wiederum sieht die Schuld bei Ardern, Hipkins und der Labour-Partei, die zu wenig aufklären würde und damit Ängste schüre.

Unausgesprochene Einigkeit herrschte in Waitangi somit vor allem über eine Tatsache: Dass Hipkins erster Auftritt als Premierminister neben seinen Wettbewerbern nicht nur eine traditionelle Feier des Abkommens war - sondern auch der inoffizielle Beginn des Wahlkampfs.

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FILE PHOTO: New Zealand Prime Minister Ardern addresses the media after a debate in Auckland

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