Neuregelung der Hartz-IV-Sätze:Essen für 2,55 Euro pro Tag

Die Bundesregierung hält ihre Neufestsetzung der Bezüge für verfassungskonform. Allerdings gibt es weiterhin viele kritische Punkte beim Bildungspaket sowie bei der Neuberechnung der Sätze für Kinder und Erwachsene. Eine Übersicht.

Heribert Prantl

Die Bundesregierung hält ihre Neufestsetzung der Hartz-IV-Regelsätze für verfassungsfest. Sie sagt: Man habe sich genau an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten. Seit der Anhörung der Sachverständigen bei der Beratung der neuen Hartz-IV-Gesetze gibt es daran aber Zweifel. Sie sind bei der Berechnung des Bedarfs der Kinder noch zahlreicher als bei der Berechnung des Bedarfs für Erwachsene. Die Zweifel werden Gegenstand des neuen Vermittlungsverfahrens sein.

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Streitfall Hartz IV: Es gibt Zweifel, ob die neue Festsetzung der Regelsätze verfassungskonform ist - vor allem bei der Berechnung des Bedarfs für Kinder.

(Foto: dapd)

Nach den Berechnungen der Regierung soll der Regelsatz für Erwachsene nur um fünf Euro steigen. Für Kinder wären nach diesen Berechnungen sogar geringere Beträge herausgekommen als bisher. Davon war selbst Ministerin Ursula von der Leyen überrascht; sie hat daher keine Absenkung auf die berechneten Zahlen vorgenommen, sondern die alten Regelsätze für Kinder zu den neuen erklärt. Die niedrigeren Beträge bleiben aber weiterhin Berechnungsgrundlage für die jährlichen Anhebungen der Regelsätze parallel zu den Preis- und Lohnsteigerungen.

Das bedeutet: Die Regelsätze für Kinder steigen erst dann wieder, wenn die Fortschreibung der neu errechneten, niedrigeren Beträge die alten, höheren Beträge übersteigt. Das könnte dazu führen, dass in den kommenden Jahren wegen des Preis- und Lohnanstiegs die Hartz-IV-Beträge für Erwachsene angehoben werden, die Beträge für Kinder aber quasi eingefroren bleiben.

Die drei besonders kritischen Punkte bei Hartz IV für Erwachsene

Erstens: Die Statistik, die der Berechnung zugrunde gelegt wurde, führt zu einem Zirkelschluss: Der Bedarf der Bedürftigen wurde nämlich daran bemessen, was diese verbrauchen. Die Referenzgruppe schließt zu viele Arme ein - unter anderem die Aufstocker (1,3 Milllionen). Das Einkommen der Aufstocker liegt aber nicht höher als die Grundsicherung. Um (wie bisher) bei der Berechnung von Hartz IV das untere Fünftel der Bezieher von Einkommen als Bezugsgruppe zugrunde zu legen, hätte man zunächst von den realen untersten 30 Prozent der Einkommensbezieher ausgehen müssen, so dass man dann unter Herausrechnung der Sozialhilfebezieher, der Aufstocker und der verdeckten Armen auf die realen untersten zwanzig Prozent der Einkommensbezieher gekommen wäre.

Zweitens: Es sind bei der Neuberechnung des Hartz-IV-Satzes einzelne Verbrauchspositionen herausgenommen worden - chemische Reinigung, Gartengeräte, Schnittblumen, Benzin, Alkohol, Tabak und mehr. Auf diese Weise wird aber das Statistikmodell ausgehöhlt, das Durchschnittsausgaben erfasst und darauf setzt, dass ein individuell höherer oder niedrigerer Bedarf im Rahmen des Gesamtbudgets ausgeglichen und gedeckt werden kann.

Je mehr Verbrauchspositionen herausgenommen werden, desto weniger ist ein solcher Ausgleich möglich - ganz zu schweigen von der Vorstellung des Gesetzgebers, es könne Geld für einmalige Zusatzausgaben angespart werden. Der niedrige Verbrauchsansatz für den öffentlichen Personennahverkehr (für Erwachsene 22,78 Euro, für Kinder 15,35 Euro) müsste eigentlich mit den nicht benötigten Kosten für Benzin kompensiert werden. Die Benzinkosten sind aber ganz herausgestrichen worden. Schon bei den gescheiterten Spitzengesprächen ist deshalb über eine Mobilitätszulage nachgedacht worden.

Drittens: Das Verfassungsgericht hatte auch bei den Hartz-IV-Sätzen für Erwachsene beanstandet, dass die Kosten für Bildung unberücksichtigt bleiben. Nun sind sie mit ganzen 1,39 Euro im Monat in Ansatz gebracht worden.

Die kritischen Punkte bei der Hartz-IV-Berechnung für Kinder

Auch bei der Berechnung der Hartz-IV-Sätze für Kinder gibt es kritische Punkte. Acht Probleme fallen besonders ins Gewicht.

Erstens: Der Errechnung des neuen Kinderbedarfs liegen zugrunde die Verbrauchsausgaben von Familienhaushalten mit zwei Erwachsenen und einem Kind (der untersten Einkommensschicht). Dabei werden unterschiedliche Schlüssel angewendet, um aus dem Gesamtverbrauch dieser unteren Durchschnittsfamilie den Bedarf des Kindes je nach Altersgruppe zu errechnen - zum Teil werden die Gesamtausgaben einfach gedrittelt, zum Teil wird ein bestimmter Prozentsatz davon in Ansatz gebracht. Nachvollziehbar und transparent, wie von Karlsruhe gefordert, ist das nicht einmal für Spezialisten.

Zweitens: Dieser Schlüssel führt bei Kindern bis zu 14 Jahren zu äußerst geringen Monatsbeträgen für Nahrungsmittel (einschließlich Getränke 68,36 Euro pro Monat). Es wird daher ein "Korrekturbetrag" in Ansatz gebracht, der sich aus den fiktiv berücksichtigten Alkohol- und Tabakausgaben der Erwachsenen errechnet. Auf diese Weise kommt es zu einer Anhebung des Monatsbetrags für Essen und Trinken auf 78,67 Euro - für Kinder bis sechs Jahre und auf 96,55 Euro - für Kinder bis 14 Jahre. Bei den Jugendlichen wird dieses Korrekturverfahren aber nicht praktiziert; als Korrekturbetrag werden hier nur die Ausgaben für Mineralwasser in Höhe von 2,95 Euro in Ansatz gebracht. Anderenfalls hätte der Monatsbetrag für Jugendliche um 15 Euro höher ausfallen müssen.

Drittens: Im Regelsatz für Kinder sind je nach Altersgruppe 0,98 Euro, 1,16 Euro und 0,29 Euro für Bildung ausgewiesen. Diese lächerlich geringe Höhe wird mit dem zusätzlichen Bildungspaket begründet; so wird auch die Streichung der Ausgaben für Zeichenmaterial, Schreibwaren, Hobbykurse und Nachhilfe gerechtfertigt. De facto handelt es sich um Kürzungen. Ausgaben für Schreib- und Malmaterial wurden bisher beim Regelsatz berücksichtigt und der im Bildungspaket enthaltene Schulbedarf wurde auch nach bisherigem Recht durch zusätzliche Leistungen abgedeckt.

Viertens: Es gibt bisher keinen Rechtsanspruch auf den kostenfreien Besuch von Kindergärten und Kinderhorten. Die Betreuungskosten werden vom Bildungspaket nicht abgedeckt - nach dem Motto: Wer arbeitslos ist, kann seine Kinder selbst betreuen. Ob das den Kindern guttut?

Das umstrittene Bildungspaket

Fünftens: Im Bildungspaket wird den Kindern, die eine Tagesstätte besuchen, versprochen, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten "anerkannt" werden. Das heißt aber nicht, dass sie voll bezahlt werden. Es war bisher nur von einem Zuschuss in Höhe von jährlich 30 Euro die Rede.

Sechstens: Das im Bildungspaket enthaltene warme Mittagessen kommt nur denjenigen Kindern zugute, die in eine Schule oder Kindertagesstätte gehen, die diese Mahlzeit auch anbieten. Das sind noch nicht sehr viele. Besser wäre es, den Schulen Mittel zuzuweisen, um allen Kindern ein Essen anbieten zu können.

Siebtens: Weil mit dem Regelbetrag nach Hartz IV schon der gesamte Nahrungsbedarf des Kindes abgedeckt sein soll, muss für das Schulmittagessen ein Euro aus dem Regelsatz zugezahlt werden. Wenn das Kind diesen Eigenanteil drauflegt, verbleiben ihm im Alter von sechs bis 14 Jahren für das gesamte Essen und Trinken im Monat nur noch 76,55 Euro - also 2,55 Euro pro Tag.

Achtens: Für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ist im Bildungspaket bisher ein Betrag von zehn Euro monatlich vorgesehen. Mit diesem Betrag kann zwar der Mitgliedsbeitrag bei Sportvereinen leicht bezahlt werden; aber gewiss nicht, wie von Ministerin von der Leyen angekündigt, ein Unterricht an kommunalen Musikschulen.

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