Neujahrsempfang:Stresstest fürs Staatsoberhaupt

New Year's reception at the presidential Bellevue Palace in Berlin

Ausgedünnte Kabinettsriege: Zahlreiche Bundesminister fehlten beim Neujahrsempfang in Schloss Bellevue.

(Foto: Hannibal Hanschke/Reuteres)

Frank-Walter Steinmeier und Gattin schütteln in Schloss Bellevue 250 Hände - viele mit Wohlwollen, eine nur ganz kurz. Und einige Bundesminister fehlen.

Von Nico Fried, Berlin

Angela Merkel kennt das schon: Wenn sie nicht aufpasst, laufen ihr die Minister davon. Seit 14 Jahren geht das so. Diesmal ist Olaf Scholz fast schon draußen, als er doch noch den energischen Ruf der Kanzlerin vernimmt, die ihn schließlich auf seinen Platz an ihrer Seite zurückwinkt. Die Regierung muss beisammen bleiben, so verlangt es das Protokoll. Aber irgendeiner tanzt immer aus der Reihe, jeden Januar wieder im Schloss Bellevue.

Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Rund 250 Gäste sind eingeladen zum Defilee bei Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender: Politiker, Verbandsvertreter, Richter und Behördenchefs, aber auch 75 Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren: ein Landesschülervertreter aus dem Saarland, der Schiedsrichterobmann des Berliner Fußballverbandes, eine Notfallseelsorgerin aus Brandenburg oder eine Medizinstudentin aus Rheinland-Pfalz, die Menschen ohne Krankenversicherung behandelt.

Zweieinhalb Stunden sind veranschlagt, die das Staatsoberhaupt und seine Frau im Stehen absolvieren, unterbrochen nur von kurzen Erholungspausen. Pro Gast also knapp eine Minute: Auftritt des Eingeladenen, Verlesung von Name und Funktion, Händedruck des Bundespräsidenten, dann seiner Frau, kurzes Plaudern, gemeinsames Foto, Abgang. Die Ehrenamtlichen essen später noch mit dem Staatsoberhaupt zu Mittag. Für den Rest gibt's Butterbrezen.

Wenn Merkel erscheint, ist das Ende nah. Denn nach der Bundesregierung kommen nur noch die Vertreter des protokollarisch höher stehenden Bundestags, angeführt von Wolfgang Schäuble, und bilden den Abschluss des Defilees. Es fällt allerdings auf, dass beide Verfassungsorgane zahlenmäßig in der Vergangenheit schon stärker vertreten waren als in diesem Jahr. Aus dem Bundestagspräsidium fehlen Hans-Peter Friedrich (CSU) und Wolfgang Kubicki (FDP), was bei letzterem besonders auffällt, nachdem er sich jüngst als erster prominenter Politiker für eine zweite Amtszeit Steinmeiers ausgesprochen hat. Aber auch das Kabinett weist Lücken auf: Annegret Kramp-Karrenbauer und Heiko Maas sind verhindert, weil sie die Bundestagsausschüsse für Äußeres und Verteidigung über die Lage in der Golf-Region unterrichten, Hubertus Heil fehlt, obwohl er auf der Teilnehmerliste steht. Besonders interessant: Peter Altmaier und Horst Seehofer sind auch nicht da, was die Frage aufwirft, ob die von CSU-Chef Markus Söder geforderte Kabinettsumbildung womöglich doch schon begonnen hat.

Es sind kleine Momente, die den Neujahrsempfang für Beobachter gelegentlich interessant, hie und da auch kurzweilig machen. Zum ersten Mal ist ein Vorsitzender der AfD der Einladung zum Defilee gefolgt: Tino Chrupalla bekommt einen äußerst knappen Händedruck des Bundespräsidenten. Auf dem gemeinsamen Foto lächelt nur der Parteichef, und wenn Steinmeier ihm überhaupt ein gutes neues Jahr gewünscht hat, dann nur mit zusammengebissenen Zähnen.

Langjährige Vertraute wie Franz Müntefering, aber auch alte Bekannte wie Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch ehrt Steinmeier mit fröhlichem Gesicht und zusätzlich einem Klaps auf die Schulter. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich wirkt bei seiner Premiere im Schloss Bellevue ein wenig aufgeregt und bekommt nur mit Mühe in letzter Sekunde seinen Sakkoknopf zugenestelt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke bricht mit den Regeln und begrüßt zuerst die Dame. Regierungssprecher Steffen Seibert muss so schnell wieder mit seiner Kanzlerin aufbrechen, dass er die Butterbreze nur als Wegzehrung mitnehmen kann.

Und wer kurz zuvor den mehrere Sekunden langen, von nachdenklichem Interesse dominierten Blick Merkels gesehen hat, mit dem sie das Outfit ihrer Umweltministerin Svenja Schulze begutachtete, der weiß, dass auch bei der Kanzlerin nicht nur die inneren Werte zählen.

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