Neujahrsempfang im Schloss Bellevue:Präsident von Merkels Gnaden

Die Bürger wissen, was sich gehört, und kommen beim Neujahrsempfang gar nicht auf die Idee, Christian Wulff auf seine Affären anzusprechen. Sie trennen Amt und Amtsträger. Der Bundespräsident muss nur aufpassen, dass Angela Merkel nicht auch auf die Idee kommt, das Amt vom Amtsträger zu trennen. Die Kanzlerin präsentiert sich beim Defilee im Schloss Bellevue eher wie die Hauseigentümerin, denn als Gast.

Thorsten Denkler, Berlin

Ausgerechnet der Langhanssaal. Horst Köhler hat diesen Raum im Schloss Bellevue zu einem historischen Ort gemacht. Hier erklärte er am 31. Mai 2010 seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten. Hier nun wird an diesem Donnerstag Bundespräsident Christian Wulff in den kommenden zweieinhalb Stunden Hände schütteln und Smalltalk halten.

German President Wulff and his wife Bettina welcome Chancellor Merkel during a New Year reception for public life representatives in the presidential Bellevue palace in Berlin

Wer gibt wem die Hand? Angela Merkel beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten in Schloss Bellevue.

(Foto: REUTERS)

Es ist der Neujahrsempfang des Bundespräsidenten. Nicht der von Christian Wulff. Das wird im Verlauf der Geschichte noch von Bedeutung sein.

Christian Wulff betritt begleitet von seiner Frau Bettina einige Minuten nach zehn Uhr den Langhanssaal. Vor ihm hat sich eine Wand aus Kameras, Mikrophonen und Pressevertretern aufgebaut - wie wohl nie zuvor bei einem ähnlichen Anlass.

"Guten Morgen", flüstert er den Journalisten zu. Das Lächeln fällt ihm deutlich schwerer als seiner Frau, die ihre Zähne blitzen lässt. Sie nickt den Journalisten zu. Er schluckt, deutlich sichtbar. Dann steht schon Klaus Wowereit vor ihm. Als Regierender Bürgermeister von Berlin hat der das Recht des ersten Handschlages. Er kommt zugleich als stellvertretender SPD-Vorsitzender. Der Rest der SPD-Spitze zieht es vor, der Fraktionsklausur beizuwohnen. Die Grünen haben niemanden geschickt. Terminkollisionen, heißt es.

Schon erstaunlich, wer alles nicht da ist, um die Neujahrswünsche des Bundespräsidenten entgegenzunehmen. David McAllister etwa, Wulffs politischer Ziehsohn und Nachfolger im Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten. Der schickt seinen Justizminister. Auch alle anderen CDU-Ministerpräsidenten fehlen.

Dafür ist Horst Seehofer da. Als Bundesratspräsident wäre er derjenige gewesen, der hier das Defilee der Neujahrsgäste hätte abnehmen müssen, wäre Wulff schon zurückgetreten. Im vergangenen Jahr fehlte Seehofer noch. "Heuer hab ich Wert darauf gelegt hier zu sein", sagt er nach dem Empfang. Andere nicht, wird ihm da entgegnet. Seehofer: "Ich aber!"

Kurt Beck, SPD-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz hat wenig Verständnis für die Wegbleiber. Das "macht man nicht, wenn jemand unten ist", sagt er. Der Satz darf ihm nicht als gehässig ausgelegt werden. Beck hat selbst erfahren, wie weit nach unten es in der Politik gehen kann.

Die Bundeskanzlerin ist selbstredend gekommen. Der Neujahrsempfang ist Pflichttermin. Sie steht mit ihrer Abordnung von Kabinettsmitgliedern ganz am Ende der langen Reihe von Bürgern, Verbandsvertreten und Politikern, die Wulff und seine Frau zu begrüßen haben. Und sie ist die einzige, die nicht das Gefühl zu haben scheint, Gast im Amtssitz des Bundespräsidenten zu sein. Eher wie die Hauseigentümerin verhält sie sich, als sie forsch auf Wulff zutritt. Nicht er reicht ihr die Hand. Sie gibt sie ihm. Merkel ist einen guten Kopf kleiner als Wulff. Aber in dem Moment scheint sie ihn um mehrere Haupteslängen zu überragen.

Sie ist es dann auch, die das Gewitter der Kamerablitze mit einem entschiedenen "So!" und entschlossenem Blick abbricht. Sie ist es, die die Ministerinnen und Minister an die richtige Position dirigiert. Bei Daniel Bahr rümpft sie einmal kräftig die Nase, als der sich rechts von ihr hinstellen will und nicht links von Wulff. Nur Außenminister Westerwelle hat sie mal wieder nicht im Griff. Der drückt als einziger Wulffs Gattin Bettina einen Kuss auf die Wange. Was zu Ahhs und Oohs im Raum führt.

Wulff jedenfalls wirkt in diesem Moment nicht wie der Präsident, der Kraft seiner Autorität im Mittelpunkt steht. Eher wie ein Statist in einem Spiel der Macht, von dem nicht klar ist, ob er noch Mitspieler ist oder längst nur eine Spielfigur der Kanzlerin. Einer Kanzlerin, die sich jederzeit überlegen könnte, diese Figur vom Brett zu nehmen.

Geehrt und anerkannt

Wulff hat das Defilee bis dahin gut überstanden. Es gab rührende Momente, etwa als er und Bettina Anna Mettbach, die Ausschwitz überlebt hat, entgegeneilen, der Frau rechts und links Hand und Arm halten, weil sie ohne Hilfe des Rollators nicht gut gehen kann. Sie hat die Gehhilfe lieber vor der Tür gelassen. Das hat wohl etwas mit der Würde einer alten Dame zu tun, die sie sich niemals nehmen lassen will. Von der Frau könnte Wulff wohl noch etwas lernen.

Für den endgültigen Abstieg ist es noch zu früh.

Ansonsten ziehen verdiente Menschenfreunde vorbei, die helfen wollen und es auch tun. Sei es kranken, alten oder jungen Menschen. Seien es Kämpfer gegen Rechts oder Kulturschaffende. Sie alle eint an diesem Vormittag: Sie fühlen sich geehrt und anerkannt, vom Bundespräsidenten zu diesem Neujahrsempfang geladen worden zu sein.

Da legen viele mit der Einladung Geehrte großen Wert drauf. Dass sie vom Bundespräsidenten eingeladen wurden. Nicht von Christian Wulff.

Corinna Schneider, die sich in Düsseldorf für Lesben und Schwule einsetzt, war sauer auf Wulff. "Dass der mir diesen Tag kaputtmacht", hat sie befürchtet. Jetzt fühlt sie sich dennoch gut. Weil sie Amt und Amtsträger trennt. Für sie hat Christian Wulff an Glaubwürdigkeit verloren in den vergangenen Wochen. Das Amt nicht.

Wer hier fragt, ob es nicht den Impuls gegeben habe, dem Bundespräsidenten mal geradeheraus die Meinung zu sagen über seinen Kredit, die Mailbox-Nachricht, das nicht gehaltene Transparenz-Versprechen, der bekommt die immer gleiche Antwort: "Nein, das gehört nicht hierher." Ein Zeichen wohl, dass das Gespür für Richtig und Falsch bei diesen Menschen noch vorhanden ist.

Hatte Christian Wulff dieses Gespür in den vergangenen Wochen noch? Corinna Schneider hat eine knappe Antwort: "Nein." Muss er dann nicht zurücktreten? Er werde das wohl aussitzen, glaubt sie. Aber: "Das kann man schlucken, wenn er anfängt, an sich zu arbeiten."

Manche sind mit erstaunlich wenig Argwohn angereist. Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Hans-Peter Kröger, ein gestandener Mann, kurzes weißes Haar, gestutzter weißer Bart und mit viel Gold behangene blaue Feuerwehr-Uniform, lobt Wulff ausdrücklich. Die deutschen Feuerwehren hätten ihm viel zu verdanken. Er könne nichts Schlechtes über Wulff sagen. Es gibt keinen Hinweis, dass er nicht genau das meint, was er sagt.

Für Wulff hat der oberste Feuerwehrmann ein besonderes Geschenk mitgebracht: einen Rauchmelder. Kröger erklärt, dass diese Rauchmelder in vielen Ländern schon Pflicht seien. Nur in Deutschland nicht. Und dass sie helfen würden, Brände zu verhindern und Menschenleben zu retten.

Auf die Frage, ob das Geschenk für Wulff nicht etwas zu spät komme, stutzt Kröger erst, als habe er die die Frage nicht verstanden. Dann bricht es aus ihm heraus. "Sie meinen, weil bei ihm die Hütte schon brennt?" Er lacht kurz auf, hält sich aber sofort die Hand vor den Mund. Da ist ihm jetzt was rausgerutscht. "Hab ich jetzt nicht gesagt", sagt er, als hätte er mit dem kleinen Witz irgendetwas schlimmer gemacht. Hat er nicht - er gehört er zu denen, die Wulff überhaupt nichts Böses wollen.

Klaus "Schlappi" Schlappner war mal Trainer in der Fußballbundesliga. Heute ist er hier, weil er für den olympischen Sportbund die Kontakte zu Dritten Welt unterhält. Wenn er mit seinem Glas Sekt in der Hand über Wulff spricht, dann klingt das, als wäre er noch Trainer des SV Waldhof Mannheim, den er mal in die Bundesliga führte.

"Der Wulff", sagt er, der "hat als Cheftrainer jetzt ein paar Spiele vergeigt. Aber die Saison ist noch nicht zu Ende." Er hat sich schon Gedanken gemacht, wie er damit umgeht, dem Bundespräsidenten gegenüberzutreten. "Ich war schon hin und her gerissen." Aber, das sagt auch er, ihm wurde klar, dass das nicht seine Aufgabe ist. Wulff muss damit umgehen, nicht er. Er findet gut, dass er durch die Einladung zum Neujahrsempfang Anerkennung für seine ehrenamtliche Arbeit erfährt.

Die Frage aber muss sein: Wo steht Wulff jetzt in der Tabelle? Mittelfeld oder Abstiegsplatz? "Ach, schwierig zu sagen", sagt Schlappner und wiegt den Kopf hin und her. "Weil jeden Tag irgendwo der Wind woanders her pfeift." Eines aber findet er schon: Für den endgültigen Abstieg ist es noch zu früh.

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