Neues Jahr 2015:Tugend der Zuversicht

In dem Jahr, das nun zu Ende geht, sind die Konflikte der Welt in den Vorgarten der Deutschen eingedrungen. Das Wohnzimmer ist vorerst heil geblieben. Nun gilt es Hoffnung in die Zukunft zu setzen.

Von Matthias Drobinski

Was es an guten Nachrichten gab dieses Jahr? Die Fußball-Nationalmannschaft ist Weltmeister geworden, das Land feierte ohne Überheblichkeit und steckte das Sieben zu eins über Brasilien ins Schatzkästlein der kollektiven Erinnerung.

Was sonst an Nachrichten ins Bewusstsein drang, machte selten froh. Russland besetzte die Krim und schürte den Sezessionskrieg in der Ostukraine. Die Hamas schoss Raketen auf Israel, Israel bombardierte Gaza. Ebola, die unheimliche Krankheit, breitete sich aus, eine Kopfabschneidertruppe namens Islamischer Staat errichtete in Teilen Syriens und des Irak eine Schreckensherrschaft.

200 000 Menschen flohen vor Not und Krieg nach Deutschland, eine ferne Ahnung des weltweiten Elends, und doch genügte sie, den Fremdenfeinden im Land Auftrieb zu geben. Nimmt man Erderwärmung und Eurokrise hinzu, vergessene Krankheiten, Kriege und Bürgerkriege, dann sind die Aussichten für 2015 trübe und die Zeiten für Optimisten schlecht.

Das Fundament des Friedens, Wohlstands und der Demokratie ist brüchig geworden

Die Konflikte, Nöte und Ungerechtigkeit der Welt sind 2014 den Deutschen nähergerückt. Sie sind in den Vorgarten des wohlgeordneten Lebens eingedrungen, als unbefugte Besucher haben sie dort die Blumenrabatte der Selbstgewissheit zertreten. Der Boden ist schwankend, auf dem sich Frieden, Wohlstand und Demokratie gründen - in manchen Jahren spürt man das stärker als in anderen.

Es sind Jahre, in denen sich die Leute häufiger als sonst nicht beeinflussbaren und anonymen Mächten ausgeliefert sehen; in denen sie spüren, dass sie ihren Kindern nicht mehr einfach versprechen können, sie würden es einmal besser haben als die Eltern. In solchen Zeiten wachsen Sorgen und diffuse Ängste. Verglichen mit den europaweiten Erfolgen rechter Parteien und Bewegungen, die Fremdenfeinde, Autoritätsbedürftige, Verunsicherte und Selbstgerechte versammeln, sind die AfD-Erfolge und Pegida-Demos ein schwaches Echo des Trends.

Da überrascht es, wie viele Deutsche den immer am Jahresende veröffentlichten Umfragen zufolge zuversichtlich sind. 45 Prozent Optimisten gegen 27 Prozent Pessimisten sind es beim Zukunftsforscher Horst Opaschowski, der das persönliche Wohlergehen der Deutschen auf Rekordniveau sieht.

Das Niveau ist nur hoch für diejenigen, die stark sind

Schaut man sich die Umfrage näher an, fällt auf: Es ist der Optimismus jener, die Arbeit haben und in Wohlstand leben - und stärker als der Anteil der Optimisten ist jener der Pessimisten gestiegen, auf Kosten der Unentschiedenen. Es ist ein rissiger Optimismus, den Opaschowski da präsentiert.

Es stimmt ja: Den Deutschen geht es im Durchschnitt materiell so gut wie nie. Wen kein persönlicher Schicksalsschlag ereilt, der kann annehmen, dass es ihm im kommenden Jahr nicht wesentlich schlechter gehen wird als 2014, egal, ob die Zahl der Flüchtlinge steigt und die der Ebola-Toten, ob der Kalte Krieg zurückkehrt oder die Wirtschaft kriselt.

Das Niveau ist hoch für den, der stark ist. Es senkte sich nicht im Jahr der Finanzkrise 2009, es wird sich nicht 2015 senken. Trotz aller Politikverdrossenheit wird die Demokratie noch ein Weilchen funktionieren, und egal, welche Macht mit wie viel Eifer die Bürger ausspähen möchte: Die meisten erwischt sie nicht.

Ein Gegenbild zu Angst und Optimismus

Es ist ein eigentümlich verdrängender Optimismus, der sich da zeigt: Mir wird es schon noch gutgehen, wir werden schon noch durchkommen, die Sintflut ist verschoben; mögen auch die Katastrophen der Welt durch den Vorgarten getrampelt sein - das Wohnzimmer haben sie heil gelassen. Es ist ein Optimismus, der Stärke demonstrieren muss und keine Unsicherheit zugeben darf.

Er hat seine Quelle in einem positiven Denken, für das auch Krebs kein Unglück sein darf, sondern eine Herausforderung sein muss. Der verdrängende Optimismus ist das Gegenstück zur diffusen Angst der Pessimisten. Beide haben ein statisches Weltbild. Nur glauben die einen, dass alles so bleibt, und die anderen, dass alles zerbricht.

Was das Gegenbild zur namenlosen Angst und zum verdrängenden Optimismus wäre? Die Zuversicht. Sie ist realistisch und leugnet die Abgründe, Gefährdungen und Grenzen nicht. Sie weiß, wie dünn der Boden des Friedens und des Zivilen ist. Sie weiß, dass der Wohlstand in den reichen Ländern auf diesem Niveau nur um den Preis der Zerstörung der globalen Grundlagen zu halten sein wird.

Zuversicht ist an keine Religion gebunden

Anders als der Pessimismus aber leugnet die Zuversicht nicht das Potenzial, das in dieser Realität steckt. Die Welt ist schwierig, aber wandelbar. Es lohnt sich, geduldig zu sein und beharrlich, auch wenn 2015 nicht das große Jahr der Problemlösungen wird. Es geht auch nicht das Abendland unter, wenn nicht alles so weitergeht wie bisher, wenn Wohlstand und Ressourcen neu geteilt werden müssen.

Zuversicht ist eine Tugend. Kurz vor Weihnachten 1944 dichtete der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag" - da hatte er noch drei Monate zu leben. Es gibt eine Macht über alle Prognosesicherheit hinaus, diese Gewissheit ist an keine Konfession oder Religion gebunden.

Sie weiß über die Vielfalt der Möglichkeiten

Ohne sie helfen die schönsten Kinderkrippen samt Elterngeld nichts - ein Paar braucht eine unverschämte Portion Zuversicht, um Ja zu einem Kind zu sagen. Ohne sie gehen die Firmengründer und Erfinder aus, ohne sie fehlen die ungewöhnlichen Lebensläufe, die Männer, die Elternzeit nehmen und die Frauen, die Chefin werden wollen; es fehlten die Pioniere neuer Lebensstile. Die Welt wäre furchtbar öde, ein Ort der ängstlichen Vorsorge. Und nicht einmal Lotto-Annahmestellen gäbe es mehr.

Die Zuversicht ist auch eine politische Tugend. Sie leugnet nicht, dass dicke Bretter zu bohren sind, sie wiegt die Bürger nicht in falschen Sicherheiten, in der Russlandkrise so wenig wie bei der Rentenreform oder der Frage, wie 200 000 Flüchtlinge gut unterzubringen sind. Sie weiß aber, dass es Bohrer gibt. Und sie zieht in Betracht, dass es mehr Möglichkeiten gibt als vielleicht gedacht: Es gibt ja nicht nur die fremdenfeindlichen Demonstranten in Deutschland.

Als im Herbst immer mehr Flüchtlinge kamen, da spendeten die Menschen auch immer mehr Kleider, bis es zu viele davon gab. Und als Weihnachten kam, da wollten so viele mit den Geflohenen das Fest feiern, dass in den Aufnahme-Einrichtungen Gutwillige, die sich zu spät meldeten, abgewiesen werden mussten. Es gibt in diesen Wochen nicht nur die erwartbar wachsende Angst vor dem Fremden. Es gibt, gegen jede Prognose, eine Willkommensbewegung voller Bürgersinn und Menschlichkeit.

Diese Zuversicht üben: Das wäre eine schöne Aufgabe für 2015.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: