Neues Buch von US-Politikerin:Hillary Clinton spaltet die Demokraten

Hillary Clinton Signs Copies Of Her New Book 'What Happened' In NYC

Hillary Clinton bei einer Autogrammstunde für ihr neues Buch "What happened" in New York

(Foto: AFP (M))

In ihrem neuen Buch versucht die Ex-Präsidentschaftskandidatin zu ergründen, wie sie gegen Trump verlieren konnte. Die unpopuläre Clinton will sich weiter für die Demokraten engagieren. Damit erschwert sie deren Identitätssuche.

Von Matthias Kolb

Die Möglichkeit, am 8. November 2016 gegen Donald Trump zu verlieren, schien für Hillary Clinton so absurd, dass ihr Team nur eine Rede vorbereitete. Nämlich jene für den historischen Moment, in dem die US-Amerikaner erstmals eine Frau zur Präsidentin gewählt hatten. Sie und Ehemann Bill hatten schon das Nachbarhaus neben ihrem Anwesen in Chappaqua gekauft, um dort die Personenschützer des Secret Service unterzubringen. Es kam anders - und Clinton fiel in ein tiefes Loch.

In ihrem neuen Buch "What happened" beschreibt die 69-Jährige nun, wie sie die damaligen Wochen verbrachte: Sie las die Bücher der "neapolitanischen Saga" von Elena Ferrante, sah viel fern und war oft kurz davor, die Fernbedienung an die Wand zu werfen - etwa als Trump Steve Bannon von Breitbart News ins Weiße Haus holte. Sie schwärmt von Yoga, Wald-Spaziergängen und besonderen Atemtechniken ("sollten Sie mal ausprobieren"). Und sie bekennt: "Ja, ich habe genügend Chardonnay getrunken."

Aber Clinton ist zu arbeitswütig, um sich lange zu verkriechen. Richtigerweise ist "What happened" bei Spiegel Online als "Rechtfertigungsbuch" beschrieben worden: Clinton muss ihren 65 844 610 Wählern erklären, warum sie es nicht vermocht hat, den Frauenfeind Trump vom Weißen Haus fernzuhalten (obwohl dieser weniger Stimmen erhielt). Nichts bedauere sie mehr, sagte sie im Radiosender NPR: "Ich habe gegen jemand verloren, der weder die Erfahrung noch den Charakter besitzt, um US-Präsident zu sein."

Clintons Sicht: Schuld sind vor allem die Anderen

Natürlich trage sie als Kandidatin "voll und ganz" die Verantwortung für die Niederlage, schreibt sie. Durch das Buch zieht sich aber eine andere Botschaft: "Schuld sind vor allem die Anderen." Clinton attackiert FBI-Chef James Comey (der kurz vor der Wahl die E-Mail-Affäre neu untersuchte), die unfairen Medien (sie nennt die New York Times "schizophren"), den Sexismus der Gesellschaft, das Wahlsystem, die Einmischungen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin (Clinton vergleicht ihn mit einem "manspreader" in der U-Bahn, also jenen unangenehmen Machos, die viel Platz einnehmen), Julian Assange von Wikileaks und erneut James Comey.

Selbstverständlich kann man das Agieren des inzwischen entlassenen FBI-Chefs hinterfragen, aber niemand hat Clinton gezwungen, als Außenministerin einen privaten E-Mail-Server zu verwenden und sich in den ersten Monaten der Kandidatur in Widersprüchen zu verwickeln. Ihr eigenes Team nannte Hillary Clintons Umgang mit dem Thema "verrückt": Mit Ehrlichkeit und Offenheit hätte sich die Angelegenheit "abräumen" lassen. Gleiches gilt für die Redehonorare, die sie einstrich: Die Entscheidung, für 30 Minuten eine Viertelmillion Dollar zu kassieren, traf sie allein.

Dass "What happened" sofort auf Platz eins der US-Bestseller-Liste gelandet ist, war ebenso erwartbar wie die Reaktionen. Von Donald Trump einmal abgesehen, polarisiert niemand die USA stärker als Hillary Clinton. Wer die ehemalige First Lady bewundert, der findet auf 512 Seiten genug Belege für ihre Intelligenz, Kampfeslust und Durchhaltevermögen (das Kapitel über Sexismus in der Politik ist beklemmend). Republikaner, die Clinton 2016 am liebsten im Gefängnis gesehen hätten, werden das Buch ohnehin nicht in die Hand nehmen. Ihnen dürfte genügen, dass konservative Medien wie Fox News mit neuen Zitaten das seit Jahrzehnten bewährte Motto "Hillary Clinton geht es nur um sich, nicht ums Land" belegen.

Die Debatten, welche Gründe nun wirklich entscheidend waren für den Wahlsieg von Donald Trump, werden noch Jahrzehnte lang geführt werden. Historiker können sich auf Clintons Buch stützen, um ihre Sicht zu berücksichtigen (sie nutzt oft in Klammern gesetzte Einschübe für bissige Kommentare wie "Natürlich haben wir in Michigan Wahlkampf gemacht"). Aufschlussreicher und wichtiger für die Gegenwart sind aber Clintons Aussagen über ihre Pläne ("Ich kandidiere für kein Amt mehr") und ihre Ansichten über die Zukunft der Demokraten. Und hier spricht vieles dafür, dass die 69-Jährige die Partei und ihre Anhänger weiter spalten wird.

Riskante Attacken gegen Bernie Sanders

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist die Ex-Kandidatin unpopulär: Die Mehrheit hat eine schlechte Meinung von ihr. Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Gallup belegen, dass die US-Amerikaner die Wahlverlierer üblicherweise anschließend deutlich positiver sehen. Bei Clinton ist das nicht der Fall. In Verbindung mit anderen Umfragen lässt sich das so deuten: Die Mehrheit der US-Bürger ist unzufrieden mit Präsident Trump, aber das führt zu keiner Clinton-Nostalgie.

Dies bedeutet zum Zweiten, dass die Ex-Außenministerin den Republikanern als Feindbild erhalten bleibt. Im Buch beschreibt sie ihre neue Organisation "Onward Together", die Aktivisten und Kandidaten unterstützen will. Dazu gehören Frauen wie Männer, und Clinton sieht dieses Engagement als ihre "Verantwortung" an, weil Amerikas Demokratie bedroht sei. Sie ist bestens vernetzt und kann mit Spendengeld die von ihr auserwählten Bewerber unterstützen. Offen bleibt, ob die Konservativen dieses Engagement nicht mindestens genauso gut zur Mobilisierung nutzen können - und wie progressiv die Clinton-Zöglinge sein werden.

Damit geht es um die inhaltlichen Schwerpunkte der Partei. Hier bemüht sich Clinton nicht um Einigkeit. Dies ist der dritte Punkt: Die Demokratin erklärt ihren Herausforderer Bernie Sanders ebenfalls zum Mitschuldigen. Wenn es in "What happened" um Sanders geht, dann ist das Wort "Sozialist" im gleichen Satz nicht weit. Der Wahlkampf sei "frustrierend" gewesen, die Ideen des unabhängigen Senators aus Vermont "unbezahlbar" und die Attacken von dessen Anhängern ("Bernie Bros") hätten letztlich nur Trump geholfen.

Diese Kritik am selbstbewussten Sanders mag menschlich nachvollziehbar sein, aber sie überzeugt nicht: Sie lobt den Senator im Buch dafür, dass er ihre "lächerliche E-Mail-Affäre" nie ausgenutzt habe, für sie Wahlkampf machte und mit ihr das Programm für den Parteitag verfasst habe. Die Attacken, die Clinton seit Tagen in zahlreichen Auftritten wiederholt, erschweren jedoch die ohnehin schwere Suche der Demokraten nach ihrer neuen Identität.

Momentan steht Sanders für den künftigen Kurs der Demokraten

Und hier erhält Sanders für seine Vorschläge, die USA in Richtung eines europäischen Sozialstaats zu rücken, viel Zuspruch. Am Mittwoch präsentierte er ein Gesetz, das allen US-Bürgern eine Krankenversicherung garantieren würde ("Medicare for All"). In naher Zukunft wird dieser Plan nicht umgesetzt werden, aber er wird von vielen potenziellen Präsidentschaftskandidaten des Jahres 2020 unterstützt, etwa Elizabeth Warren, Cory Booker und Kamala Harris.

Dass Clinton mit Sanders den beliebtesten Politiker des Landes angreift, finden viele Demokraten nicht gut. "Ich liebe Hillary. Sie hat ein Recht, das Geschehene zu analysieren, aber wir müssen nach vorne blicken", sagt etwa Senator Al Franken aus Minnesota. Übersetzt heißt das: Sie soll weiter vor den russischen Hackern warnen (dieser Teil des Buches ist sehr lesenswert), aber keine internen Gräben vertiefen.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, in welcher Regelmäßigkeit und in welchem Ton sich Hillary Clinton äußern wird. Sie betont in ihrem Buch, dass sie die Unzufriedenheit der Wähler und die wachsende soziale Ungleichheit sehr wohl registriert habe. Das stimmt: Clinton hatte auch zur Schmerzmittel-Krise einen Punkte-Plan, aber zu viele Wähler nahmen sie als abgehoben wahr. "Ich habe darüber geredet, doch ich konnte keine emotionale Verbundenheit herstellen", sagt sie nun selbstkritisch.

Wirklich progressive Ideen blieben in der Schublade

Clinton schreibt auch, dass ihr Team einige wirklich progressive Ideen hatte. So wollte sie nicht mehr das Einkommen der Bürger versteuern, sondern das Vermögen. Eine CO2-Steuer sollte eingeführt werden und jeder Amerikaner eine gewisse Summe in bar ausgezahlt bekommen - quasi eine Art bedingungsloses Grundeinkommen (mehr beim Atlantic).

Warum niemand davon erfuhr? Weil die Finanzierung für die seriöse Clinton nicht ganz klar war und die Demokratin zugleich bis zum Ende überzeugt war, dass sie ins Weiße Haus einziehen werde. An ihrer Qualifikation hatte sie selbst nie Zweifel, und dies war auch die entscheidende Motivation. "Ich kandidierte für das Präsidentenamt, weil ich dachte, dass ich gut in dem Job sein würde", schreibt sie. Eine wirklich glaubwürdige Zukunftsvision konnte Hillary Clinton nicht formulieren. 2016, in diesem Jahr der Wut, war das zu wenig.

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