Neues Buch über Tötung Osama bin Ladens:Kopfschuss im Treppenhaus

Wie starb Osama bin Laden? Der Mann mit dem Pseudonym "Mark Owen" sollte es wissen, als US-Elitesoldat war er an der Tötung des Al-Qaida-Gründers beteiligt. Jetzt hat er ein Buch geschrieben, das der offiziellen Darstellung teilweise widerspricht. Weil ein TV-Sender Owens wahre Identität preisgibt, droht ihm Ungemach seitens des Pentagons.

Michael König

Osama bin Laden war einmal der meistgesuchte Terrorist der Welt. Heute ist er eine Einnahmequelle. 12.500 Treffer spuckt der amerikanische Online-Händler Amazon aus, von der "offiziellen Autobiographie" über die iPhone-Hülle mit dem Konterfei des Al-Qaida-Gründers bis zum Schlüsselanhänger. Auf Platz eins der Hitliste steht jedoch ein Buch, das es noch gar nicht zu kaufen gibt: No Easy Day von Mark Owen und dem Journalisten Kevin Maurer.

Neues Buch über Tötung Osama bin Ladens: Osama bin Laden, hier auf einem undatierten Archivbild, starb im Mai 2011 durch Schüsse von US-Elitesoldaten in Pakistan. Die Umstände seines Todes sind bis heute umstritten.

Osama bin Laden, hier auf einem undatierten Archivbild, starb im Mai 2011 durch Schüsse von US-Elitesoldaten in Pakistan. Die Umstände seines Todes sind bis heute umstritten.

(Foto: AFP)

Die Penguin Verlagsgruppe, in der das 336 Seiten starke Werk erscheint, hat angesichts der Vorbestellungen die Startauflage auf 400.000 Exemplare vergrößert. Der Werbetext verspricht eine noch nicht da gewesene "Darstellung aus erster Hand" des Todes von Osama bin Laden. Die Besonderheit: Einer der Autoren, "Mark Owen", soll als Mitglied der Eliteeinheit "Navy Seal Team Six" selbst dabei gewesen sein, als der Terrorführer Anfang Mai 2011 in seinem Haus in der pakistanischen Stadt Abottabad erschossen wurde.

Auszüge aus dem Buch kursieren seit Tagen in amerikanischen Medien. Sie widersprechen teilweise der offiziellen Darstellung der Mission, was die US-Regierung völkerrechtlich in Bedrängnis bringen könnte. Doch auch der Autor ist Gegenstand hitziger Diskussionen.

Üblicherweise legen ehemalige US-Soldaten ihr Manuskript dem Verteidigungsministerium vor, bevor sie Berichte über ihre Tätigkeit veröffentlichen. Bei No Easy Day blieb eine solche Unbedenklichkeitsprüfung offenbar aus, weshalb das Pentagon nun bestätigte, das Buch werde auf möglichen Geheimnisverrat abgeklopft. Eine Anklage durch das Justizministerium sei nicht ausgeschlossen.

"Ethisch zweifelhaft" und "gefährlich"

Admiral William McRaven, Befehlshaber des United States Special Operations Command, warnte amtierende und ehemalige "Seals" davor, ihr Wissen zu Geld zu machen: Das sei "ethisch zweifelhaft", wenn nicht sogar "gefährlich". Tatsächlich berichten internationale Medien von Morddrohungen gegen den Autoren, dessen wahre Identität vom Verlag zunächst geheimgehalten wurde - zu seiner Sicherheit.

Den TV-Sender Fox News hinderte das jedoch nicht daran, unter Berufung auf "mehrere Quellen" Fotos und den Klarnamen des Soldaten zu veröffentlichen. Es handelt sich angeblich um Matt B., einen 36-Jährigen aus Alaska. Das Pentagon gab sich besorgt und warnte, Fox News gefährde die Sicherheit des Soldaten und die seiner Kameraden. Der Chefredakteur des Senders gab zurück, Matt B. habe sich selbst gefährdet: "Er hätte wissen müssen, wohin das führt."

B. selbst schreibt in seinem Buch, falsche Berichte über den Einsatz hätten ihn zu einer Richtigstellung motiviert. "Das Kommandounternehmen wurde wie in einem schlechten Actionfilm dargestellt", zitiert die Huffington Post aus dem Buch. "Am Anfang war es noch lustig, wie fehlerhaft die Berichte waren."

Tatsächlich gibt es zu den Minuten vor dem Tod des Terroristen zahlreiche, zum Teil widersprüchliche Angaben - auch von offizieller Seite. Sie kreisen um die völkerrechtlich relevante Frage, ob die US-Navy-Seals eine Möglichkeit hatten, bin Laden festzunehmen, statt ihn direkt zu erschießen.

"Wir schossen ihm in die Brust"

Die Regierung von US-Präsident Obama lavierte um die Beantwortung der Frage herum: Unmittelbar nach der Todesnachricht hieß es, bin Laden sei in ein "Feuergefecht" verwickelt gewesen. Obamas Sprecher Jay Carney präzisierte später, der Terrorist sei nicht bewaffnet gewesen. Juristen warfen daraufhin die Frage auf, ob es sich um eine "Hinrichtung" gehandelt habe - die laut Völkerrecht eindeutig illegal gewesen wäre.

Leon Panetta, damaliger CIA-Chef und heutiger Verteidigungsminister, brachte die Möglichkeit ins Spiel, wonach die Navy Seals zumindest gute Gründe gehabt hätten, an die Möglichkeit zu glauben, dass Bin Laden im Dunkeln nach einer Waffe griff. Juristen würden dann von Putativnotwehr sprechen, den Seals wäre kein Rechtsverstoß vorzuwerfen.

Der angebliche "Bericht aus erster Hand" stellt es - ersten Zitaten in der Huffington Post zufolge - anders dar. Matt B. schildert, wie einer seiner Kameraden noch auf der Treppe zum Obergeschoss des Hauses in Abottabad auf Osama bin Laden schoss - und ihn so tödlich verwundete. "Wir waren weniger als fünf Treppenstufen von der Etage entfernt, als ich zwei schallgedämpfte Schüsse hörte. Von meiner Position aus konnte ich nicht erkennen, ob sie das Ziel trafen oder nicht. Der Mann verschwand im dunklen Raum."

Als die Seals den Raum betraten, hätten sie festgestellt, dass Bin Laden in den Kopf getroffen worden war. Die Leiche habe noch gezuckt. "Wir schossen ihm mehrere Ladungen in die Brust, bis sein Körper regungslos war." Bei der Durchsuchung des Raumes hätten die US-Soldaten zwar zwei Waffen gefunden - eine AK-47 und eine Makarov-Pistole -, die jedoch beide nicht geladen gewesen seien. "Er hatte seine Verteidigung nicht einmal vorbereitet. Er hatte nicht die Absicht zu kämpfen", schreibt B. der Huffington Post zufolge.

Hatte der Terrorführer überhaupt eine Überlebenschance?

Diese Darstellung deckt sich mit den Angaben, die der Terrorismusexperte Peter L. Bergen unter Berufung auf die Angaben beteiligter Navy Seals in seinem Buch Manhunt macht. Jedoch schreibt Bergen, Bin Laden hätte überleben können, wenn er sofort mit erhobenen Armen aus dem Schlafzimmer gekommen wäre. Das neue Buch No Easy Day lässt daran zweifeln, ob Bin Laden diese Chance überhaupt hatte.

Also doch eine Hinrichtung? B. beschreibt in dem Buch auch ein Vorbereitungstreffen mit einem Juristen der Regierung, der "uns klar gemacht hat, dass dies keine Ermordung sein sollte". Der Mann habe gesagt: "Ich schreibe euch nicht vor, wie ihr euren Job zu machen habt. Nehmt ihn fest, wenn er keine Gefahr darstellt."

Das Weiße Haus äußerte sich bislang nicht zu dem neuen Buch. Präsident Obama dürfte es mitten im Wahlkampf jedoch gelegen kommen - sein Ruf als kompromissloser Commander in chief wird durch No Easy Day untermauert, Völkerrecht hin oder her. Die Tötung Osama bin Ladens gilt als eines der Schlüsselereignisse, um den republikanischen Herausforderer Mitt Romney als außenpolitisch unerfahren und wenig durchsetzungsstark darzustellen.

Auch Matt B. geht in seinem Buch auf diesen Effekt ein, ohne ihn allerdings positiv zu finden: "Niemand von uns war ein großer Fan Obamas. Wir respektierten ihn dafür, uns grünes Licht für die Mission gegeben zu haben." Noch vor der Mission habe einer seiner Kameraden am Lagerfeuer gesessen und gescherzt: "Ich kann ihn schon sehen, wie er darüber spricht, Bin Laden getötet zu haben. Wir bekommen das mit seiner Wiederwahl schon hin, das ist sicher."

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