Neues Buch über Täter und Opfer im KZ Auschwitz:"Meine Mutter fehlte mir"

Lesezeit: 4 min

Deportees

Jüdische Häftlinge im KZ Auschwitz

(Foto: Getty Images)

Ein Franziskanerpater, der für einen Familienvater in den "Hunger-Bunker" geht, ein besonders brutaler SS-Rottenführer und ein Zehnjähriger, der sich nach der Umarmung seiner Mutter sehnt: Ein neues Personenlexikon holt Täter und Opfer im KZ Auschwitz aus der Anonymität.

Von Werner Hornung

Schade, dieses Buch steht auf keiner Bestsellerliste: "Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde". Verfasst hat das Personenlexikon Ernst Klee, der im Alter von 71 Jahren im Mai verstarb.

Er war einer der ersten und besten investigativen Journalisten hierzulande. Nach seinen kritischen Behinderten-Reports in den Siebzigern erschienen von ihm dann in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Recherchen über ehemalige Nazis und ihre teils erstaunlichen bundesdeutschen Karrieren.

Die besondere Leistung Klees dabei war die ausführliche Dokumentation medizinischer Verbrechen von Ärzten; außerdem waren seine Nachforschungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur stets breit angelegt. Er benannte Täter und Mittäter aus allen Gesellschaftsschichten. Nachzulesen sind ihre Kurzbiografien im "Personenlexikon zum Dritten Reich" (2003) und im "Kulturlexikon zum Dritten Reich" (2007).

Grausame Alltagsrituale

Wer sich zwanzig, dreißig Jahre zurückerinnert, der wird dieser Bemerkung zu Klees Engagement sicher zustimmen: "An die Themen Euthanasie und Mediziner-Verbrechen hatte sich damals kein Historiker konsequent herangetraut; viele der Mörder lebten noch, ja lehrten noch an den Hochschulen. Couragiert drang Klee auf das verminte Feld vor. Er konnte sich dabei auf einige mutige Archivare und Staatsanwälte stützen. Sein professioneller Großkopierer fütterte ohne Unterlass seine meterlangen Aktenregale mit Quellen - Klee leistete Pionierarbeit."

Die Zeilen stammen von Walter H. Pehle, ehemals Lektor beim Frankfurter S.-Fischer-Verlag und langjähriger Freund. Ihm hat Ernst Klee sein letztes Werk gewidmet, dieses umfangreiche Personenlexikon zu Auschwitz.

Ungefähr 30 Kilometer vom südpolnischen Kattowitz entfernt befand sich von 1941 bis 1945 "die größte Menschen-Vernichtungs-Anlage aller Zeiten" (so der KZ-Kommandant Rudolf Höß in seinen autobiografischen Aufzeichnungen). In dem weiträumigen Lagerkomplex Auschwitz, Birkenau und Monowitz und den dazugehörigen Außenlagern starben mehr als eine Million Menschen.

Zum grausamen Alltagsritual dieser Mordmaschinerie gehörte es, die Angehörigen der SS-Totenkopf-Verbände nur mit ihrem Dienstrang anzusprechen und die inhaftierten Juden, Sinti und Roma oder politischen Gefangenen allein mit den eintätowierten Registrierungsnummern. Ernst Klee holte sie aus der Anonymität.

In seinem Buch werden Täter und Opfer beim Namen genannt: Zum Beispiel der besonders brutale SS-Rottenführer Stefan Baretzki, der für die Abwicklung der ankommenden Transporte von der Selektionsrampe bis zur Gaskammer zuständig war; oder andererseits Häftling 16.670, Franziskanerpater Maximilian Kolbe; er ging anstelle eines polnischen Familienvaters in den "Hunger-Bunker" und wurde dort per Phenolspritze getötet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema