Neuer Tiefbahnhof:Bahnprojekt Stuttgart 24

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  • Nach SZ-Informationen schätzt ein Gutachten des Bahn-Aufsichtsrats die Kosten für den neuen Stuttgarter Bahnhof auf maximal 6,7 Milliarden Euro.
  • Das liegt deutlich unter den vom Bundesrechnungshof prognostizierten zehn Milliarden Euro, die Bahnchef Grube vor Kurzem so empört hatten.
  • Allerdings haben die Gutachter im aktuellen Bericht offenbar Bedenken, was die Risikokalkulation der Bahn angeht.
  • Und sie gehen davon aus, dass sich die Fertigstellung des Bahnhofs mindestens um ein Jahr verschiebt, womöglich sogar deutlich mehr.

Von Thomas Öchsner, Berlin, und Josef Kelnberger, Stuttgart

Bahn-Chef Rüdiger Grube war sichtlich erregt, als ausgerechnet zur Grundsteinlegung Mitte September eine neue Kostenanalyse zum Projekt Stuttgart 21 publik wurde. Nicht nachvollziehbar seien die zehn Milliarden Euro, die der Bundesrechnungshof prognostiziere. Grube verwies auf ein Gutachten, das der Bahn-Aufsichtsrat in Auftrag gegeben hatte. "Alles kommt auf den Tisch", sagte er und gab sich überzeugt: Es bleibe bei den 6,5 Milliarden, mit denen die Bahn kalkuliere.

Inzwischen haben die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und das Schweizer Ingenieurbüro Ernst Basler und Partner ihren Bericht fertig: Auf maximal 6,7 Milliarden schätzen sie nach Informationen der Süddeutschen Zeitung die Kosten für den neuen Tiefbahnhof samt Tunneln und Gleisen. Ob das eine gute Nachricht für Grube ist, muss sich erweisen - zumal von Verzögerungen die Rede ist und Kritik an der Projektgesellschaft geübt wird.

Am 13. Oktober wird der Aufsichtsrat den knapp 170 Seiten starken Bericht diskutieren. Man könne nach derzeitigem Kenntnisstand davon ausgehen, "dass die Gesamtkosten in einer Bandbreite von rund 6,3 bis 6,7 Milliarden Euro liegen werden", heißt es in der als "streng vertraulich" gekennzeichneten Studie, die die SZ einsehen konnte.

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Die zuständige Projektgesellschaft hatte Anfang Juni in einem Zwischenbericht festgestellt, der Finanzierungsrahmen von 6,5 Milliarden sei mittlerweile fast vollständig ausgeschöpft. Als Grund wurde zusätzlicher Aufwand beim diffizilen Tunnelbau im Mineral Anhydrit genannt, auch die Umsiedlung von Eidechsen mache Probleme.

Der Aufsichtsrat wollte sich daraufhin ein unabhängiges Bild machen und nicht allein auf die Angaben des Konzernvorstands verlassen. Schließlich sind bei solchen Großprojekten immer Kostensteigerungen möglich.

So war bei Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags 2009 noch von drei Milliarden die Rede gewesen, vor dem Volksentscheid 2011 von 4,5 Milliarden. Die Grünen scheiterten damals mit ihrem Versuch, das Land aus dem Vertrag herauszulösen. Obwohl Grube die 4,5 Milliarden als "Sollbruchstelle" des Projekts identifiziert hatte, wurden danach noch einmal zwei Milliarden daraufgesattelt und vom Aufsichtsrat gebilligt.

Die Bahn verlangt, dass sich das Land Baden-Württemberg an den Zusatzkosten beteiligt. Sie beruft sich auf eine "Sprechklausel" im Finanzierungsvertrag. Die grün-schwarze Landesregierung beharrt jedoch darauf, man wolle nicht mehr als die vereinbarten 930 Millionen Euro zahlen. Möglicherweise werden sich die Partner am Ende vor Gericht treffen.

Die Aufsichtsräte der Bahn, darunter mehrere Staatssekretäre, die den Bund als Eigentümer vertreten, werden sich am 13. Oktober auch mit der Prognose des Bundesrechnungshofs befassen. Woher die prognostizierten zehn Milliarden Euro rühren?

In Bahnkreisen heißt es, in dieser Summe seien auch Kosten enthalten, die nicht Teil des Vertrags mit den Projektpartnern - neben dem Land auch die Stadt, die Region und der Flughafen Stuttgart - sind: so zum Beispiel die Finanzierungskosten der Bahn, der Gleisrückbau auf den frei werdende Flächen in der Stadt oder auch das mittlerweile beschlossene dritte Gleis in Richtung Flughafen Stuttgart, das aus einem Zusatztopf bezahlt werde.

Was die Aufsichtsräte nicht erfreuen wird: Die Gutachter von KPMG haben erhebliche Bedenken, was die Risikokalkulation des Konzerns angeht. Der zuständigen Tochtergesellschaft DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH werfen sie vor, sich mit bestimmten Bauproblemen "nicht ausreichend" befasst zu haben. Vor allem beim Tunnelbau sehen sie die Gefahr, dass das Projekt durch ein Eindringen von Wasser noch einmal mehr Geld kostet.

Feuchtigkeit, wo es "absolut trocken" sein sollte

Die Bahn habe diverse Risiken "unterbewertet" oder "unterschätzt", schreiben die Experten. So stellten die Prüfer bei einer Besichtigung des Tunnels Bad Cannstatt Feuchtigkeit fest. Dabei habe die Projektgesellschaft der Bahn zuvor behauptet, die Tunnel seien in der Bauphase "absolut trocken".

Wegen diverser Schwierigkeiten gehen die Autoren davon aus, dass sich die Inbetriebnahme des Bahnhofs um mindestens ein Jahr, womöglich aber sogar um drei Jahre verschiebt. Der Starttermin könne "nach unserer Einschätzung zwischen Dezember 2022 und Dezember 2024 liegen", schreiben sie. Die Projektgesellschaft hatte zuletzt erklärt, trotz der Schwierigkeiten peile man nach wie vor Dezember 2021 an. In Teilen des Projekts liege man 24 Monate hinter dem Plan, doch diese Verzögerungen seien aufzuholen.

Dazu heißt es in dem Gutachten: "Nach unserer Ansicht ist die vollständige Einsparung von 24 Monaten bei einer verbleibenden Restbauzeit von rund fünf Jahren als nicht realistisch anzusehen." Zwölf Monate ließen sich gewinnen, durch die Risiken beim Tunnelbau könnte sich aber die Bauzeit auch um bis zu 36 Monate verlängern. Deshalb kalkulieren die Gutachter mit einem Termin für die Inbetriebnahme des Bahnhofs zwischen Dezember 2022 und Dezember 2024.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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