Neuer Prozess gegen Julia Timoschenko:Notfalls auf der Trage ins Gericht

Sie nahm wegen ihres schlechten Gesundheitszustands nicht an der ersten Verhandlung teil, doch in einem neuen Prozess will die Staatsanwaltschaft Julia Timoschenko unter allen Umständen auf der Anklagebank sehen. Es soll bereits eine Spezialliege für den Verhandlungssaal geben. Der ukrainischen Oppositionspolitikerin steht auch ein drittes Verfahren bevor - wegen Mordes.

Thomas Urban, Charkow

In der ostukrainischen Industriemetropole Charkow hat am Donnerstag ein neuer Prozess gegen die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko begonnen. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihr Veruntreuung öffentlicher Gelder und Steuerhinterziehung in großem Stil vor.

Neuer Prozess gegen Julia Timoschenko: Plakat mit Julia Timoschenkos Porträt: Während gegen die ukrainische Oppositionspolitikerin ein neuer Prozess eröffnet wurde, bereitet die Staatsanwaltschaft bereits die nächste Anklage vor - wegen Mordes.

Plakat mit Julia Timoschenkos Porträt: Während gegen die ukrainische Oppositionspolitikerin ein neuer Prozess eröffnet wurde, bereitet die Staatsanwaltschaft bereits die nächste Anklage vor - wegen Mordes.

(Foto: AP)

Die frühere Regierungschefin, die seit dem vergangenen Spätherbst eine siebenjährige Haft in der Strafkolonie Charkow verbüßt, nahm wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht an der Verhandlung teil. Nach Angaben des Neurologen Karl Max Einhäupl von der Berliner Charité, der sie in der vergangenen Woche erneut untersucht hatte, ist sie nicht verhandlungsfähig. Sie leide große Schmerzen, da ein Rückenwirbel angebrochen sei. Vor dem Gerichtsgebäude in Charkow demonstrierten mehrere tausend Anhänger Timoschenkos, die vor allem aus Kiew angereist waren, aber auch ihre Gegner von der Partei der Regionen, die hinter Staatspräsident Viktor Janukowitsch steht, ihrem politischen Rivalen.

In Straßburg setzte der Europäische Gerichthof für Menschenrechte seine Beratungen über eine Beschwerde des ebenfalls inhaftierten früheren Innenministers Jurij Luzenko fort. Der Sozialdemokrat Luzenko hatte sich als Mitglied des Kabinetts Timoschenko dem Kampf gegen Korruption verschrieben und sich somit einige der ostukrainischen Oligarchen zum Feind gemacht. Das Gericht verurteilte ihn zu vier Jahren Haft, weil er angeblich seinem Chauffeur ein zu hohes Gehalt und eine zu große Dienstwohnung verschafft hatte. Ein derartiger Vorwurf würde, selbst wenn er zuträfe, in keinem demokratischen Land zu einem Strafverfahren führen.

Timoschenko wurde verurteilt, weil sie 2009 angeblich einen für die Ukraine ungünstigen Vertrag über Gaslieferungen aus Russland ausgehandelt hatte. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft keine Beweise dafür gefunden, dass sie bei den Verhandlungen mit ihrem russischen Amtskollegen Wladimir Putin wirklich niedrigere Preise hätte erzielen können. Die EU hat beide Verfahren als politisch motiviert verurteilt. Unter ähnlich unklaren Vorwürfen wurden der frühere Verteidigungsminister Walerij Iwaschtschenko und Umweltminister Georgij Filiptschuk zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Staatsanwalt Viktor Lobatsch sagte im neuen Charkower Verfahren, Timoschenko habe in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre als Vorstandsvorsitzende des Konzerns Vereinigte Energiesysteme der Ukraine "das ukrainische Volk bestohlen". Zuschüsse aus dem Staatshaushalt seien veruntreut und Steuern nicht abgeführt worden. Im Falle einer Verurteilung drohen ihr zwölf Jahre Haft.

Lobatsch teilte mit, dass die Staatsanwaltschaft bei den Strafvollzugsbehörden beantragt habe, Timoschenko zu der Verhandlung zu bringen. Ihr Anwalt Sergej Wlassenko erklärte, er habe die Ablösung Lobatschs beantragt. Die Vorwürfe seien unbegründet, die Rechnungsführung des Konzerns sei seinerzeit von den ukrainischen Steuerbehörden nicht beanstandet worden. Er äußerte die Befürchtung, die Staatsanwaltschaft wolle seine Mandantin mit Gewalt vorführen. Es sei bereits eine Spezialliege für den Verhandlungssaal bereitgestellt worden. Einhäupl hatte in der vergangenen Woche geäußert, angesichts ihres Gesundheitszustandes hätte Timoschenko überhaupt nicht verhört werden dürfen.

Bundesregierung will Timoschenko in Berlin behandeln lassen

Die Bundesregierung hatte angeboten, die Heldin der orangenen Revolution von 2004 in Berlin behandeln zu lassen. Vertreter der Oppositionspartei Block Julia Timoschenko (BJuT) haben jedoch angesichts des kommenden Wahlkampfes im Spätsommer die Befürchtung geäußert, die Behörden könnten nach Ende der Behandlung ihre Rückkehr in die Ukraine blockieren. Im Herbst soll ein neues Parlament gewählt werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew gab bekannt, dass Julia Timoschenko ein drittes Verfahren bevorstehe, dieses Mal wegen Auftragsmordes. Es werde untersucht, ob sie in die Ermordung von drei ostukrainischen Geschäftsleuten in den Jahren 1996 und 1997 verwickelt sei. "Sobald sich dafür Belege finden, wird der Prozess eröffnet", sagte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Rinat Kusmin, der von einem Teil der Kiewer Medien dem politischen Anhang Janukowitschs zugerechnet wird. Bei der Anklage, die im Raum steht, müsste das Urteil lebenslang lauten.

Nach Angaben der Behörde führen Spuren in den Mordfällen zum damaligen Premierminister Pawlo Lasarenko, der ein politischer Förderer Timoschenkos war, bis sie sich 1999 mit ihm überwarf. Lasarenko wurde nach seiner Amtszeit in den USA wegen Geldwäsche verhaftet und 2006 in einem aufsehenerregenden Prozess zu neun Jahren Haft verurteilt. Nach Mitteilung der Generalstaatanwaltschaft in Kiew hat das amerikanische Verfahren Hinweise auf eine Verstrickung Timoschenkos in die Mordfälle ergeben. Vertreter der Justizbehörden Kaliforniens haben dem jedoch widersprochen.

Der BJuT-Abgeordnete Olexander Turtschinow erklärte, die groteske Mordversion solle Timoschenko im Westen ins Zwielicht rücken. Es reiche zu untersuchen, wer vom Tod der drei Geschäftsleute profitiert habe. Dies seien ausschließlich Vertreter der Partei der Regionen Janukowitschs gewesen. Die amerikanische Botschaft in Kiew hat eine Erklärung zu dem damaligen Verfahren gegen Lasarenko und den Untersuchungen gegen Timoschenko angekündigt.

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