Süddeutsche Zeitung

Neuer Mängelbericht:So marode ist die Bundeswehr

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180 Radpanzer vom Typ Boxer, davon 110 in Reparatur: Generalinspekteur Wieker legt Verteidigungspolitikern hinter verschlossenen Türen dar, wie es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bestellt ist. Es offenbaren sich erschreckende Zustände.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Die Materialprobleme der Bundeswehr gehen weit über die in den vergangenen Tagen bekannt gewordenen Ausfälle der Marinehubschrauber hinaus. Die Führung der Streitkräfte legte am Mittwoch in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses dar, wie es um die Ausrüstung der Armee bestellt ist. Dabei offenbarten sich Zustände, die von den Abgeordneten als teilweise erschreckend empfunden wurden.

Generalinspekteur Volker Wieker legte den Verteidigungspolitikern hinter verschlossenen Türen eine eigens für diese Sitzung angefertigte Liste mit der Überschrift "Materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte" vor. Der Liste liegt ein Ampelsystem zugrunde - je nach Verfügbarkeit sind die einzelnen Waffensysteme mit Grün, Gelb oder Rot gekennzeichnet. So ist beim Heer das gepanzerte Transportfahrzeug Boxer mit Rot markiert: Von 180 Fahrzeugen im sogenannten Buchbestand stehen demnach lediglich 70 für Ausbildung, Übungen oder Einsätze zur Verfügung, während sich der Liste zufolge 110 in der Instandsetzung befinden. Das Waffensystem sei "nicht versorgungsreif", heißt es in der Liste, was bedeutet, dass es unter anderem an Ersatzteilen fehlt.

Ähnlich schlecht sieht es der Liste zufolge bei den Hubschraubern des Heeres aus. So stehen von den 31 Exemplaren des Kampfhubschraubers Tiger im Buchbestand lediglich zehn zur Verfügung. Beim Hubschrauber NH 90 sind es acht von 33. Auch diese Waffensysteme sind als "nicht versorgungsreif" gekennzeichnet.

Tendenziell zu positiv dargestellt

Bei der Luftwaffe sind zwar sämtliche Geräte mit Grün markiert - allerdings machte Luftwaffen-Inspekteur Karl Müllner in der Sitzung nach Angaben von Teilnehmern klar, dass dies nur für die aktuellen Aufgaben gelte: Kämen weitere Einsätze hinzu, sähe es anders aus. Zudem sagte er laut Teilnehmern, dass die Verpflichtungen gegenüber der Nato hier nicht berücksichtigt seien - die könne er derzeit nicht erfüllen.

Müllner sagte zudem, dass man auf das Transportflugzeug A400M, bei dem es ohnehin bereits zahlreiche Pannen und Verzögerungen gegeben hat, nun noch einmal länger warten müsse: Statt im November soll das erste Exemplar Müllner zufolge womöglich im Dezember, eher aber erst im Januar geliefert werden.

Nach Angaben aus Militärkreisen ist die Materiallage in der Liste tendenziell eher zu positiv dargestellt. Vonseiten der Abgeordneten wurde zudem bemängelt, dass die Einstufung in Grün, Gelb oder Rot teilweise willkürlich wirke. Es handelt sich darüber hinaus um Durchschnittszahlen, bei denen für jede Teilstreitkraft ein anderer Zeitraum zugrunde gelegt ist.

Während sich etwa die Zahlen der Luftwaffe auf das zweite Quartal 2014 und die des Heeres auf den September 2014 beziehen, wird bei der Marine der Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2014 betrachtet. Dadurch werden bei der Marine vier Sea-Lynx-Hubschrauber aufgeführt, die zur Verfügung stünden. Tatsächlich ist derzeit keiner für den Einsatz zugelassen. Bei den Marine-Hubschraubern steht die Ampel nur auf Gelb-Rot, obwohl derzeit beinahe die komplette Flotte am Boden bleiben muss. Und obwohl von vier U-Booten im Buchbestand durchschnittlich eines zur Verfügung stand, ist die Ampel hier auf Gelb gestellt.

Auch die Spitzen der Streitkräftebasis und des Sanitätsdienstes, deren Material nicht aufgeführt ist, nahmen in der Sitzung Stellung. Laut Teilnehmern wurde vonseiten des Sanitätsdienstes beklagt, dass mehr als 70 "mittlere geschützte" Fahrzeuge für den Verwundetentransport fehlten. Auch vom Heer wurde ein Mangel an geschützten Fahrzeugen gemeldet.

Die Abgeordneten zeigten sich irritiert. So wird der SPD-Verteidigungsfachmann Rainer Arnold mit den Worten zitiert: "Nur wenn wir nachbohren, erfahren wir was." Das "Schaufenster Bundeswehr" passe nicht zur Realität. Die SPD wolle die Fehler der schwarz-gelben Vorgängerregierung "nicht weiter verantworten". Die Reform der Bundeswehr sei "Teil des Problems".

"Kreative Mangelverwaltung"

Generalinspekteur Wieker gestand in der Sitzung ein, dass er die Abgeordneten schon in der vergangenen Woche statt erst zu Beginn dieser Woche über die Probleme beim Sea Lynx hätte informieren sollen. Nachdem er im Sommer von den Problemen erfahren habe, sei man jedoch zunächst davon ausgegangen, dass sie sich bald lösen lassen würden. Er habe hier "keine Tangoschritte vor und zurück machen" wollen. Zur Gesamtlage sagte Wieker laut Teilnehmern: "Dieser Zustand wird uns noch einige Jahre so erhalten bleiben."

Der CSU-Abgeordnete Florian Hahn teilte öffentlich mit: "Es herrscht kreative Mangelverwaltung." Mit "Ach und Krach" werde die "notwendige Verfügungsbereitschaft dargestellt". Man müsse sich "über die Wehrfähigkeit Sorgen machen". Der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner sagte: "Es war eine böse Bescherung im Verteidigungsausschuss." Die Lage stelle sich "desolater dar als angenommen". Neben gravierenden Einzelproblemen wie beim Sea Lynx zeigten sich "enorme strukturelle Probleme im Verteidigungsministerium".

Als Beispiel nannte er "verschleppte Ersatzteilbeschaffung" unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière, dem Vorgänger von Amtsinhaberin Ursula von der Leyen (beide CDU). Dies habe nun "massive Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft".

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Quelle:
SZ vom 25.09.2014
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