Neuer EU-Kommissionspräsident:Juncker sagt dem "Staat der Arbeitslosen" den Kampf an

Neuer EU-Kommissionspräsident: Jean-Claude Juncker freut sich auf einer Pressekonferenz über seine Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten.

Jean-Claude Juncker freut sich auf einer Pressekonferenz über seine Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten.

(Foto: AP)

Eigentlich habe die EU nicht 28, sondern 29 Mitgliedsstaaten, meint der neue Kommissionspräsident Juncker: "Das ist der Staat, in dem die Arbeitslosen wohnen". Ein Investitionspaket soll deshalb her - und neun weitere Dinge.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Der Kandidat Jean-Claude Juncker war am Dienstag bei seiner Bewerbungsrede im Europäischen Parlament bemüht, nicht mehr zu versprechen, als er als Präsident der Europäischen Kommission einzulösen vermag. Juncker trug den Abgeordneten die politischen Leitlinien seines Regierungsprogramms vor. Er versprach, sich um die zehn wichtigsten Themen gemeinsamer europäischer Politik zu kümmern. Allesamt sollen sie dazu beitragen, Europa wieder liebenswert zu machen - und für Arbeitsplätze, Wachstum, Fairness und demokratischen Wandel sorgen.

In den ersten drei Monaten seiner Amtszeit, also bis Februar 2015, will Juncker ein Investitions- und Jobpaket schnüren. Um die 300 Milliarden Euro, sagte Juncker, sollen in den kommenden Jahren über öffentliche und private Unternehmen zusätzlich investiert werden. Damit die Privaten das Geld in die Hand nehmen, sollen die vorhandenen europäischen Fördertöpfe leichter zugänglich gemacht werden und die hauseigene Europäische Investitionsbank schneller, einfacher und noch mehr Kredite vergeben können. Die Anteilseigner der Bank, die 28 Mitgliedstaaten, sollen deren Eigenkapital erhöhen.

Den Staat der Arbeitslosen abschaffen

Dann leistete sich Juncker doch ein wenig Pathos: Der Erfolg seiner Politik könne in fünf Jahren konkret gemessen werden. Derzeit habe die EU nämlich nicht 28, sondern eigentlich 29 Mitgliedstaaten. "Der 29. Mitgliedstaat ist der Staat, in dem die Arbeitslosen wohnen", sagte Juncker. Und genau diesen Staat wolle er auflösen mit seinem Investitionsprogramm. "Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen", sagte er. Das bedeute konkret, dass Binnenmarktregeln keinen Vorrang vor Sozialregeln haben dürften.

Schlüssig klang das Vorhaben, Europa digital zu vereinen und dabei die Roaminggebühren abzuschaffen, die heute bei Telefonaten jenseits des jeweiligen Heimatlandes anfallen. Juncker will Datenschutz, Verbraucherrechte und grenzenlose Internet-Nutzung voranbringen. Über den geeinten digitalen Markt, so versprach Juncker, könne die Europäische Union innerhalb seiner Amtszeit zusätzlich Wachstum in Höhe von 250 Milliarden Euro generieren und dabei Hunderttausende neuer Jobs, speziell für junge Leute schaffen.

"Der Euro schützt Europa"

Vordringlich will sich der neue Kommissionspräsident, der einst als Luxemburger Premierminister den Euro mit erfand, um die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion kümmern. "Der Euro schützt Europa", lieferte er ein starkes Bekenntnis ab. Die gemeinsame Währung habe in der akuten Krise verhindert, dass die um das wirtschaftliche und finanzielle Überleben ringenden Euro-Länder in einen Wettbewerb um das schnellere Abwerten nationaler Währungen getreten seien. "Der Währungskrieg wurde verhindert". Die Krise sei noch nicht vorbei. Die Zeit müsse jetzt genutzt werden, um die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden und demokratischer zu machen. Im ersten Jahr seiner Amtszeit werde er gesetzliche und allgemeine Vorschläge dazu unterbreiten. Juncker griff den schon länger existierenden, aber nie ernsthaft angegangenen Vorschlag auf, strukturelle Reformen über zusätzliche finanzielle Zuwendungen anzureizen und für die Euro-Länder einen eigenen, begrenzten Haushalt einzurichten.

Auf internationaler Bühne solle die Wirtschafts- und Währungsunion künftig mit einer Stimme sprechen, sagte Juncker. Was er nicht sagte, aber wohl dabei dachte: Die Euro-Zone braucht einen permanenten Präsidenten, der die Interessen der Gemeinschaft auf weltweiten Treffen vertritt. Ähnlich wie der Haushalt der Euro-Länder wird dieser Posten seit längerem diskutiert, inklusive eines spanischen Kandidaten. Zuletzt war allerdings vor allem aus Berlin zu hören, es sei "nicht eilig", diesen Posten zu schaffen. Auch dem gemeinsamen Euro-Haushalt stand die Bundesregierung skeptisch gegenüber.

Juncker will das Freihandelsabkommen mit den USA schließen

Juncker lieferte ein klares Bekenntnis ab für das angestrebte Freihandelsabkommens mit den USA. Europas Werte und Gesetze müssten dabei respektiert werden. Diese sollen auch in der Flüchtlingspolitik beachtet werden. Künftig soll es dazu einen eigenen Flüchtlingskommissar geben. Für die angestrebte Energie-Union hatte Juncker nur wenige Worte übrig. Er blieb bei seinem Vorschlag, die 28 EU-Länder sollten ihre Kaufkraft bündeln und gemeinsam mit Drittländern verhandeln. Die EU soll weltweit führend werden beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ein konkretes Ziel zur Reduzierung von Treibhausgasen nach 2020 vermied der neue Präsident der EU-Kommission.

Wie schon seine Vorgänger traut sich Juncker offenbar nicht, die EU-Kommission effizienter zu organisieren und dazu thematisch strukturierte Cluster etwa für Wachstum, Innen- oder Währungspolitik zu bilden. Er gab sich lediglich gewillt, die Außenpolitik der Europäer schlagkräftiger zu machen. Die neue Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik müsse nationale und europäische Instrumente kombinieren und zusammen mit den Kommissaren für Handel, für Entwicklungshilfe und für Nachbarschaftshilfe arbeiten. Unter diesen Kommissaren will Juncker eine Stellvertreterin für die Außenbeauftragte ernennen.

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