Die Saaldiener in ihren Fracks kommen kaum noch durch, so ein Gewusel herrscht an diesem Premierentag vor dem Plenarsaal. Sie bringen nach den ganzen Abstimmungen zur Wahl des Präsidiums die Urnen weg, zur Auszählung. Fernsehjournalisten interviewen derweil Abgeordnete im Gang, der CDU-Politiker Philipp Amthor zum Beispiel hätte sich von Gregor Gysi als Alterspräsident bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags eine weniger parteipolitisch gefärbte Rede gewünscht. Die Klingeln schrillen, untrügliches Zeichen für Abstimmungen. Einige, die schon ihre Stimme eingeworfen haben, gehen erst mal mittagessen.
Der neue Bundestag ist anders, das fängt schon bei seinen Mitgliedern an. 230 der 630 Abgeordneten sitzen neu im Parlament. Und das Präsidium besteht sogar vollständig aus neuen Mitgliedern. An der Spitze steht Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin von der CDU. Von der AfD ist allerdings weiterhin keiner dabei: Der frühere Bundeswehroffizier Gerold Otten bekam keine Mehrheit.
Das sind die neuen Vizepräsidenten

Bodo Ramelow: Der prominenteste unter den vier neu gewählten Vizepräsidenten ist Bodo Ramelow. Der 69-Jährige ist bereits 2005 einmal in den Bundestag eingezogen. Der in Niedersachsen geborene Ramelow war einer der maßgeblichen Verhandler bei der Verschmelzung von Linkspartei.PDS und WASG zur heutigen Linken. Von 2014 bis 2024 war er mit einer kurzen Unterbrechung Ministerpräsident von Thüringen. In dieser Zeit war er ein Jahr lang auch Präsident des Bundesrats. Als Teil der „Mission Silberlocke“ kandidierte Ramelow im Februar zusammen mit den beiden anderen Linken-Altvorderen Gregor Gysi und Dietmar Bartsch für den Bundestag. Ramelow war der einzige Wahlkreissieger im ganzen Bundesland Thüringen, der nicht von der AfD war.

Andrea Lindholz: Anders als in der vergangenen Legislaturperiode ist die CSU diesmal im Bundestagspräsidium vertreten. Die 54-jährige Andrea Lindholz war bisher stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. Zuvor war sie Chefin des Innenausschusses des Bundestags. Lindholz ist seit 2013 Abgeordnete. Ihren Wahlkreis Aschaffenburg hat sie mit sehr großem Vorsprung gewonnen, sie erhielt mehr Stimmen als die Kandidaten von SPD, AfD und Grünen zusammen.

Omid Nouripour: Er hat zuletzt ein Auf und Ab erlebt, von 2022 bis zum September 2024 war er zusammen mit Ricarda Lang Chef der Grünen, steuerte die Partei durch manche Ampelkrise. Der Realo war schon früh Teil derer, die sich um eine Annäherung zwischen Union und Grünen durch gemeinsame Treffen bemühten. Er gilt als menschlich integer und als Brückenbauer. Im neuen Amt wird auch der Deutsch-Iraner gerade der AfD Paroli bieten müssen. Nouripour sitzt seit 2006 im Bundestag, er war damals für den ausgeschiedenen Joschka Fischer nachgerückt. Bei den Grünen hatte sich Nouripour in Kampfabstimmungen gegen die bisherige Kulturstaatsministerin Claudia Roth und gegen die bisherige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt durchsetzen müssen.
Josephine Ortleb: Kaum jemand hat erwartet, dass Lars Klingbeil die Saarländerin Josephine Ortleb fragen würde, ob sie Vizepräsidentin werden wolle. Der SPD-Partei- und Fraktionschef sieht die 38-jährige gelernte Gastronomin als politisches Talent und Teil eines Generationswechsels nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis der SPD. Und er verweist auf etwas, dass er anscheinend zunehmend zu einem wichtigen Kriterium bei der Postenvergabe machen will: Ortleb sei nah dran an den Menschen und habe dreimal in Folge ihren Wahlkreis Saarbrücken gewonnen. Den Wahlkampf 2021 hatte sie nach der Frühgeburt ihres Sohnes vorzeitig abgebrochen. Sie gewann damals dennoch mit deutlichem Vorsprung vor der ehemaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Ortleb war bisher Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion – und kennt somit die Abläufe im Bundestag bestens.
Der Frauenanteil im Bundestag sinkt auf 32,4 Prozent
Im neuen Bundestag ist der jüngste Abgeordnete Luke Hoß von der Linken. Alexander Gauland von der AfD ist mit 84 Jahren das älteste Mitglied. Das Durchschnittsalter im neuen Parlament beträgt laut Bundestag 47,1 Jahre. Am höchsten ist das Durchschnittsalter bei der AfD mit 50,7 Jahren, gefolgt von der CSU mit 48,3 Jahren. Die jüngste Fraktion ist die der Linken mit einem Durchschnitt von 42,2 Jahren. Am stärksten vertreten ist die Altersgruppe 50 bis 59 Jahre. Der Anteil der Frauen sinkt auf 32,4 Prozent. Von den 630 Abgeordneten sind nur 204 Frauen. Am höchsten ist der Anteil weiblicher Abgeordneter mit 61,2 Prozent bei den Grünen. Bei den Linken liegt er bei 56,2 und bei der SPD bei 41,7 Prozent. Die CSU kommt auf 25 und die CDU auf 22,6 Prozent. Schlusslicht ist die AfD – hier liegt der Frauenanteil bei 11,8 Prozent.
Bei den Berufen der Abgeordneten fällt wieder eines auf: Arbeiter oder Bauern gibt es fast keine. Der bisherige CDU-Abgeordnete Josef Rief hatte angekündigt, im Landkreis Biberach wieder Getreide anzubauen und Schweine züchten zu wollen. Mit dem sächsischen SPD-Abgeordneten Detlef Müller gab es bisher im Bundestag auch einen Lokführer, er zog aber nicht erneut ins Parlament ein und will nun zurück auf die Lok. Die meisten Abgeordneten sind Juristen, kommen aus der Verwaltung oder sind Unternehmer, 459 werden der Bundeswahlleiterin zufolge diesen Bereichen zugeordnet. Gefolgt von Gesundheits-, Lehr-, Sozial- und Erziehungsberufen mit 45 Abgeordneten. Zudem sind einige Soziologen, Journalisten, Sprach- und Literaturwissenschaftler dabei; 20 Parlamentarier kommen aus Rohstoffgewinnungs-, Produktions-, Fertigungsberufen, zudem gibt es unter anderem gelernte Kaufleute sowie Studenten und Rentner.
Streit um FC Bundestag und Otto-Wels-Saal
Durch die Größe der AfD-Fraktion stellen sich nun auch besondere Fragen. Das fängt bei scheinbar kleinen an, wie dem FC Bundestag. Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass AfD-Abgeordnete nicht aus der Fußballmannschaft des Parlaments ausgeschlossen werden dürfen. Zudem tagt die AfD-Fraktion bisher in einem Saal, der 151 Quadratmeter misst und auf 92 Plätze ausgelegt ist, also viel zu klein ist für die große AfD-Fraktion. Für die SPD ist es eine Provokation – aber die AfD will nun im Ältestenrat durchsetzen, dass sie den Saal der deutlich geschrumpften SPD-Fraktion bekommt, der 462 Quadratmeter misst und 317 Sitzplätze hat. Doch das will Klingbeil nicht akzeptieren, schließlich ist der Saal nach Otto Wels benannt, der mit den Worten „Die Freiheit und das Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“ 1933 das Nein der Sozialdemokraten zu Hitlers Ermächtigungsgesetz begründete.