Neuer AKP-Chef Davutoğlu:Erdoğans williger Nachfolger

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Besonnener Erfinder der "Null-Problem-Politik": Ahmet Davutoğlu wird AKP-Chef und türkischer Ministerpräsident.

(Foto: AFP)

Loyal, höflich und besonnen: Der bisherige Außenminister Davutoğlu übernimmt den AKP-Vorsitz, in ein paar Tagen tritt er das Amt des Premiers an. Neben dem künftigen Präsidenten Erdoğan wird er wenig Spielraum haben. Fragt sich, ob er ihn nutzen wird.

Von Luisa Seeling

Ihr Temperament könnte unterschiedlicher nicht sein: Recep Tayyip Erdoğan eilt sein Ruf als Hitzkopf voraus, der deutlich kleinere Ahmet Davutoğlu gilt als besonnen und diplomatisch, ein Mann der leiseren Töne. Flammende Auftritte wie von Erdoğan beim Weltwirtschaftsforum in Davos oder vor Tausenden Deutsch-Türken in der Kölner Lanxess-Arena kennt man vom türkischen Außenminister eher nicht. Auch auf dem Sonderparteitag in Ankara an diesem Mittwoch ließ es sich der scheidende Parteivorsitzende und Premier nicht nehmen, zwei Stunden vor Tausenden jubelnden Anhängern zu reden. Nach AKP-Angaben waren 40 000 Menschen in die Ankara-Arena gekommen.

Anschließend wurde Ahmet Davutoğlu zu seinem Nachfolger gewählt - keine Überraschung, eher eine Formsache. Denn Erdoğan hatte den Außenminister am 21. August als Wunschkandidaten nominiert, einen Gegenkandidaten gab es nicht. Davutoğlu erhielt 100 Prozent der gültigen Delegiertenstimmen. Erdoğan selber war am 10. August mit 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Um das Amt anzutreten, musste er aus der AKP austreten und den Parteivorsitz abgeben, so sieht es die türkische Verfassung vor. Nach seiner Vereidigung am morgigen Donnerstag soll Davutoğlu auch das Amt des Regierungschefs übernehmen.

Nach seiner Wahl bedankte er sich bei Erdoğan, den er als "Anführer" bezeichnete, und kündigte an, seine Regierung werde das Ziel eines EU-Beitritts weiter "mit Entschlossenheit" verfolgen. Weiter wolle Davutoğlu den Kampf gegen den islamischen Prediger Fethullah Gülen fortführen.

Davutoğlu soll den Kampf gegen die "parallele Struktur" fortführen

Diesen Auftrag erteilte auch Erdoğan seinem Nachfolger: "Ich glaube, Davutoğlu wird engagiert und mutig gegen den parallelen Staat kämpfen." Dies sei ein "Kriterium" gewesen bei der Entscheidung, ihn zu nominieren. Mit dem "parallelen Staat" meint Erdoğan die Bewegung um den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen. Seit Monaten tobt ein Machtkampf zwischen Anhängern der Gülen-Bewegung und der AKP-Regierung.

Erdoğan betonte, sein bisheriger Außenminister werde nicht als seine Marionette auftreten, sondern als Regierungschef echte eigene Macht haben. "Ich möchte dies betonen: Davutoğlu wird kein Verwalter sein." Doch Kritiker halten Davutoğlu für einen loyale Gefolgsmann Erdoğans, der dessen politische Linie eins zu eins umsetzen wird. Welchen Spielraum wird der neue Premier unter einem mächtigen Präsidenten Erdoğan haben? Und: Will er ihn nutzen?

Der Weg des Professors in die Politik

Davutoğlu wird 1959 im zentralanatolischen Konya, heute eine Hochburg der AKP, in eine religiöse Familie hineingeboren. Er besucht ein Istanbuler Gymnasium, an dem auch Deutsch unterrichtet wird, außerdem lernt er Englisch und Arabisch. Er studiert Politik- und Wirtschaftswissenschaft. Nach der Promotion startet er seine akademische Karriere in Kuala Lumpur in Malaysia, wo er mit der Gründung eines politikwissenschaftlichen Instituts befasst ist.

2001 veröffentlicht Davutoğlu, inzwischen Professor und in die Türkei zurückgekehrt, ein Buch, das die türkische Außenpolitik der nächsten Jahre entscheidend mitprägen wird: Stratejik Derinlik, strategische Tiefe, eine Vision von der Türkei als aktiver, starker Wirtschafts- und Regionalmacht. Im Rückblick liest sich die Schrift wie ein Bewerbungsschreiben für das Amt des Außenministers. Nach dem AKP-Sieg bei der Parlamentswahl 2002 wurde Davutoğlu zunächst außenpolitischer Berater und Sonderbotschafter der Regierung, 2009 machte ihn Erdoğan zum Außenminister.

Dass Davutoğlus programmatische Schrift zu einem der meistzitierten Dokumente der türkischen Außenpolitik avancierte, lag auch daran, dass er einen Bruch mit der Tradition vollzog: In Zeiten des Kalten Krieges war die Türkei eng an die westlichen Nato-Partner angebunden, der eiserne Vorhang verlief direkt vor der Haustür, nach Osten hin war das Land isoliert. In Zeiten der AKP-Regierung öffnete sich das Land wie nie zuvor in alle Richtungen. Davutoğlus Konzept der "Null-Problem-Politik mit den Nachbarstaaten" war dabei maßgeblich. Es sah vor, gute Beziehungen zu allen Nachbarstaaten zu pflegen, alte Konflikte beizulegen und als Wirtschaftsmacht eine Schlüsselrolle in der Region einzunehmen.

Die "Null-Probleme"-Außenpolitik gilt als gescheitert

AKP-Gegner unterstellten der Regierung eine "neo-osmanische Politik" und sahen in der stärkeren Hinwendung zur islamischen Welt eine Abkehr vom Westen. Ein früherer Schüler Davutoğlus, der Politologe Behlül Özkan, hat den Politiker in einem Interview als "Pan-Islamisten" bezeichnet, der eine sunnitisch-islamische Hegemoniesphäre anstrebe.

Inzwischen allerdings wird Davutoğlu vor allem dafür kritisiert, dass seine Null-Problem-Vision gescheitert ist. Neben vielen anderen diplomatischen Konflikten, die wieder aufgeflackert sind, tobt direkt an der Landesgrenze der syrische Bürgerkrieg, dessen Sog die ganze Region zu erfassen scheint. Allzu lange, so der Vorwurf, habe die Regierung in Ankara nichts gegen die islamistischen IS-Terroristen unternommen - weil sie gehofft hatte, diese würden den baldigen Sturz von Baschar al-Assad herbeiführen. Die Opposition unterstellt sogar, die türkische Regierung habe Waffen an Extremisten geliefert, was Erdoğan und Davutoğlu vehement abgestritten haben.

Der designierte Premier will eine "Restauration" der Türkei

Nach seiner Nominierung für den Parteivorsitz der AKP kündigte Davutoğlu an, er wolle den Kurs seines Vorgängers fortsetzen. Für Aufregung sorgte er mit seiner Äußerung, er wolle eine "Restauration" für die Türkei. Regierungsgegner vermuteten hinter der Formulierung die Rückkehr zu einem islamischen Reich nach osmanischem Vorbild. Ein enger Vertrauter Davutoğlus versicherte anschließend, dass der künftige Premier keine Islamisierung im Sinn habe, sondern eine "Reparatur" von Republik, Demokratie, Außenpolitik und Wirtschaftsmodell - all das sei in den vergangenen 90 Jahren "beschädigt" worden, zitiert die Zeitung Hürriyet Daily News die nicht namentliche Quelle.

Mahir Ünal, stellvertretender Vorsitzender der AKP-Parlamentsfraktion, sagte, die neue Ära werde "neue Türkei und der Prozess der Restauration" heißen. Als Schwerpunkte der Regierungsarbeit nannte er: Aussöhnung mit den Kurden, den Kampf gegen die "parallele Struktur" sowie die Verfassungsreform; alles Projekte, die schon Erdoğan zur Chefsache gemacht hatte. Details zu Davutoğlus Regierungsprogramm sollen erst in seiner Antrittsrede vor dem Parlament am 1. September vorgestellt werden.

Wie viel Spielraum bleibt dem Premier unter Erdoğan?

Erdoğan hatte schon während seines Präsidentschaftswahlkampfs angekündigt, die Geschicke der Türkei weiter mitbestimmen und die Macht seines Amts ausweiten zu wollen. Erwartet wird, dass er das politische System zu einem Präsidialsystem umbauen wird. Sollte er bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr eine entsprechende Mehrheit erringen, könnte er die Verfassung dahingehend ändern.

Die Opposition warnt, Davutoğlus Ernennung zum Regierungschef komme einer Abschaffung der Gewaltenteilung gleich. Einige Kommentatoren sehen dagegen zumindest Spielraum für Akzente. Der prominente Publizist Murat Belge sagte im Interview mit der Zeitung Today's Zaman, dass Davutoğlu zwar in den meisten brennenden Fragen Seite an Seite mit Erdoğan gehandelt habe, etwa im Umgang mit den IS-Milizen. Dennoch glaube er nicht, dass Davutoğlu unterwürfig sein und allem zustimmen werde, was Erdoğan sagt.

Der Ton in der Politik könnte "zivilisierter" werden

Mustafa Akyol, der für Hürriyet das politische Geschehen kommentiert, erwartet ebenfalls "no big changes" - keine gravierenden Veränderungen. Allerdings könnte unter Davutoğlu seiner Einschätzung nach ein anderer Ton in der polarisierten türkischen Politik Einzug erhalten. Der neue Premier könne die Politik "zivilisierter" und "höflicher" machen - Akyol spielt dabei auf den schroffen Umgang von Politikern miteinander an; Beleidigungen und sogar Faustkämpfe im Parlament sind keine Seltenheit. Außerdem sei Davutoğlu bei allen Versäumnissen ein Mann der tiefen Überzeugungen. Er werde sich Erdoğan wohl nicht entgegenstellen, ihn aber an manchen Stellen zu überzeugen versuchen. Und: Er kenne den "entscheidenden Unterschied zwischen der Verfolgung von Kriminellen und einer Hexenjagd."

Davutoğlus Hauptaufgabe wird vor allem darin bestehen, die AKP zusammenzuhalten und in den Parlamentswahlkampf für das kommende Jahr zu führen. Nur wenn die AKP einen deutlichen Wahlsieg einfährt, kann Erdoğan die Verfassung zugunsten eines Präsidialsystems ändern. Mit Spannung wird nun erwartet, wen Davutoğlu in sein Kabinett holt. In türkischen Medien heißt es dazu, die Ministerposten würden mit Erdoğan-nahen Leuten besetzt. Für das Außenamt ist Geheimdienstchef Hakan Fidan heiß gehandelter Kandidat. Auch er gilt als enger Vertrauter von Erdoğan.

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