Neue Spitze für die SPD:Vereint in der Schockstarre

Franz Müntefering als neuer SPD-Vorsitzender wird den Kurs seiner Partei nicht so schnell ändern, er wird ihn nur anders präsentieren.

Susanne Höll

Mindestens drei SPD-Vorsitzende sind in den vergangenen Jahren vor allem an einem gescheitert: an der Reformagenda 2010 der früheren rot-grünen Bundesregierung. Wegen seines großen innenpolitischen Projekts verlor Gerhard Schröder erst den Vorsitz und später die Kanzlerschaft. Auch Kurt Beck konnte trotz aller Mühen den tiefen innerparteilichen Konflikt nicht überbrücken.

Neue Spitze für die SPD: Soll der SPD wieder eine Leitfigur sein: Franz Müntefering

Soll der SPD wieder eine Leitfigur sein: Franz Müntefering

(Foto: Foto: dpa)

Und in knapp sechs Wochen kehrt Franz Müntefering an die Spitze der Sozialdemokraten zurück, ein maßgeblicher Reform-Befürworter, der im Konflikt mit der Agenda-Kritikerin und Parteilinken Andrea Nahles 2005 sein Spitzenamt aufgegeben hatte. In ihm und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier stehen dann zwei Architekten der Schröder-Politik an der Spitze der Sozialdemokraten.

Die Vertreter des gemäßigt-konservativen Lagers freuen sich, die Unruhe in Teilen des linken Flügels ist dagegen groß, schließlich sahen sie in Kurt Beck einen Garanten für einen, wenn auch moderaten, Linkskurs der Sozialdemokratie. Und selbstverständlich freuen sich prominente Wirtschaftsvertreter über die Rückkehr Münteferings, dem Erfinder - unter anderem - der Rente mit 67, von dem sie sich eine künftig unternehmerfreundlichere Politik erhoffen.

Doch so sehr die Partei auch in Unruhe gebracht wurde, noch tiefer sitzt der Schock über den jähen und chaotischen Führungswechsel am Sonntag. Und daher rührt die Erkenntnis, dass neuerliche schwere innerparteiliche Verwerfungen über Personen und Inhalte derzeit der Partei und ihren Handelnden alles andere als dienlich wären. Deshalb plädieren Vertreter so unterschiedlicher Richtungen wie Nahles und der Fraktionsvorsitzende Peter Struck im Moment vor allem für ein Ziel: Geschlossenheit.

Viel spricht dafür, dass die Geschlossenheit, man könnte auch von Schockstarre sprechen, einige Tage anhalten wird. Doch nicht zuletzt mit Blick auf das Bundestagswahlprogramm müssen die SPD-Flügel und Gruppierungen alsbald zentrale Fragen ihrer Wirtschaft-, Finanz- und Sozialpolitik klären, die entgegen allen Bekundungen zum Trotz beim Hamburger Parteitag im vergangenen Jahr offengeblieben sind.

Das war bekanntlich jener Parteitag, auf dem Franz Müntefering dem Vorsitzenden Beck in der symbolträchtigen Frage der Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer unterlag. Dort beschlossen die Sozialdemokraten, sich ein sozialeres Gesicht zu geben, sie verabschiedeten auch den Beschluss, nach Ausnahmen von der Rente mit 67 zu suchen; einige Vorschläge liegen bereits vor, andere werden noch erarbeitet.

Der zukünftige Parteivorsitzende dürfte alsbald selbst sagen, wie er sich diese Neugestaltung vorstellt. Von Steinmeier haben Vertreter des linken Flügels schon Signale erhalten, dass er solche Schritte richtig findet, unter der Voraussetzung jedenfalls, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung nicht steigt. Ähnlich sieht das auch Müntefering, der gegen flexible Übergänge in die Rente für Maurer, Krankenschwestern und andere körperlich schwer arbeitende Menschen nichts einzuwenden hat, so denn die Unternehmen ebenfalls in die Verantwortung genommen werden.

Von den beiden altbekannten neuen Männern an der Spitze ist deshalb nicht zu erwarten, dass sie die SPD im Schnellverfahren zu einem Schröder-Kurs zurückführen. Beide sagen, dass die Agenda zu ihrer Zeit richtig war, sie aber nicht alle Antworten auf die Fragen der Zukunft gibt. Und beide werden sich, wenn man die Signale recht versteht, offen zeigen gegenüber Wünschen und Anliegen aus dem linken Lager. Das aber ist gespalten, in Untergruppen und -flügel.

Der traditionalistisch-gewerkschaftsnahe Teil, zu dem auch der saarländische Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner zählt, macht sich für eine deutliche Wende weg von der Agenda-Politik stark. Das stößt nicht nur bei Müntefering, sondern auch bei der sogenannten Regierungslinken auf Widerstand, zu der Nahles zählt und die in diesem Spektrum das größere Gewicht hat. Auch dürften Müntefering und Steinmeier versuchen, in den anstehenden Kursdebatten die Gemeinsamkeiten in der Partei zu betonen. Die Bildungspolitik ist so ein Feld: Dass es mehr Geld für Schulen und Kindergärten, Familien und Erziehende geben soll, ist zwischen rechts und links unumstritten.

In einem sind sich die Gruppierungen seit langem einig

Der Wechsel von Beck hin zu Müntefering dürfte also zunächst ein Wechsel in der öffentlichen Präsentation der SPD und ihrer Anliegen sein. Von Müntefering ist zu erwarten, dass er die sozialdemokratische Regierungspolitik als deutlichen Erfolg präsentieren und den mehr oder minder heimlichen Oppositionswünschen mancher Teile der Partei offen und klar widersprechen wird.

Die hessische SPD und deren Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti wird auch er nicht mit Machtworten vom Vorhaben einer rot-rot-grünen Regierungszusammenarbeit abbringen wollen und können. Doch beim konservativen Flügel der Partei hofft man, dass mit ihm als Vorsitzendem die Spekulationen über eine Kooperation mit der Linkspartei auch im Bund ein Ende nehmen. Und in einem sind sich die unterschiedlichen Gruppierungen der Partei ohnehin seit langem einig: Einen einigermaßen wohlorganisierten Bundestagswahlkampf 2009 unter den für die SPD äußert schwierigen Bedingungen kann auch und gerade für den Kanzlerkandidaten und Kampagnen-Novizen Steinmeier nur ein einziger Mann führen. Und der heißt Müntefering.

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