Neue SPD-Spitze:Vermitteln, abgrenzen, begeistern

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Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering übernehmen eine ausgelaugte SPD. Wo das neue Führungsduo als Erstes anpacken könnte und welche Lösungen zu erwarten sind.

Bernd Oswald

Die SPD hat in den letzten viereinhalb Jahren viermal den Vorsitzenden gewechselt, der neue Parteichef wurde immer schneller präsentiert, so auch dieses Mal. Neu ist, dass der neue Vorsitzende erstmals ein alter ist: Franz Müntefering, der schon von Februar 2004 bis November 2005 das nach eigener Aussage "schönste Amt der Welt nach dem Papst" bekleidete. Auch die eigentlich spannende Personalfrage ist geklärt: Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird Kanzlerkandidat. Das neue Führungsduo hat eine Reihe schwieriger Aufgaben zu meistern.

Müntefering und Steinmeier übernehmen die SPD in einer prekären Lage - zeigen sich aber kämpferisch. (Foto: Foto: dpa)

1. Wie können Steinmeier und Müntefering die Flügelkämpfe beenden?

Immer wieder bekommen sich linker und rechter Flügel in die Haare, wenn es um das richtige Maß für staatliche Sozialleistungen geht: Besonders deutlich wurde das beim Streit, ob das Arbeitslosengeld I für Ältere länger gezahlt werden soll. Letzten Endes setzten sich die Linken vor Jahresfrist auf dem Hamburger Parteitag damit durch - gegen den Willen des damaligen Arbeitsministers Müntefering und des frisch gewählten stellvertretenden Parteivorsitzenden Steinmeier. Auch die von Arbeitsminister Müntefering durchgesetzte Rente mit 67 liegt der Basis schwer im Magen. Auf jeden Fall sollen Härten bei der schrittweisen Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre bis zum Jahr 2029 abgemildert werden, die Parteilinke dringt weiter auf einen flexibleren Rentenbeginn, ergo: auf Ausnahmen von der Rente mit 67. Außerdem soll die geförderte Altersteilzeit über 2009 hinaus verlängert werden. Steinmeier und Müntefering haben schon erste Signale gegeben, dass sie sich solchen Forderungen nicht widersetzen, wenn es eine angemessene Finanzierung gibt.

Mindestens genauso wichtig wird aber der Führungsstil des Duos sein. Kaum waren die Personalien bekannt, meldete sich der schleswig-holsteinische Parteichef Ralf Stegner zu Wort und richtete dem neuen Team aus: "Die SPD ist keine Kommandopartei und sehnt sich nicht danach zurück, dass da irgendeiner Basta sagt." Es gibt also noch Wunden aus der Schröder-Ära - und Steinmeier und Müntefering wären gut beraten, wenn sie sachliche Diskussionen zulassen und ausgleichend moderieren. Steinmeier muss seine als Außenminister erworbene Vermittlungskompetenz verstärkt innerparteilich einsetzen.

Lesen Sie auf Seite zwei, was Steinmeier und Müntefering in puncto Linkspartei klären müssen.

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2. Gibt es unter dem neuen Duo Änderungen im Kurs zur Linkspartei?

Als Agenda-Verteidiger sind Steinmeier und Müntefering per se auch Feinde jeglicher Form der Zusammenarbeit mit der Linken. Steinmeier will nach der Wahl 2009 "keine Experimente" mit der Linken eingehen, auch Müntefering zeigt der Lafontaine-Partei stets die kalte Schulter. Mit dieser geballten Antipathie an der Spitze ist eine rot-grün-rote Koalition im Bund auch nach der Wahl 2009 eine Utopie.

Nun sind da aber noch die SPD-Landesverbände, allen voran der hessische. Das, was Andrea Ypsilanti seit Wochen betreibt, sehen nicht nur Steinmeier und Müntefering als Sündenfall. Das neue Führungstandem steht nun vor einer heiklen Aufgabe: Nach wie vor gibt es keine einheitliche Richtlinie aus dem Willy-Brandt-Haus, ob Koalitionen beziehungsweise Kooperationen mit der Linkspartei auf Länderebene gewünscht sind.

In den neuen Ländern ist das kein großes Thema mehr, seit es rot-rote Bündnisse in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gegeben hat. Für die alten Bundesländer ist es verpönt, mit der Linkspartei ins Bett zu steigen, besser: war es verpönt. Bis zur Hessen-Wahl am 27. Januar. Seitdem versucht die dortige Landeschefin Ypsilanti im inzwischen zweiten Versuch, eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Tolerierung der Linken auf die Beine zu stellen. Die neue Parteispitze hat sie - trotz pflichtschuldiger Solidaritätsbekundung - gleich wissen lassen, dass sie an ihrem Vorhaben festhält.

Steinmeier und Müntefering müssen hier zu einer klaren SPD-Linie finden und dafür sorgen, dass diese dann auch eingehalten wird: im Bund wie in den Ländern. Zumindest sollte gewährleistet sein, dass nach der Wahl das eingehalten wird, was vor der Wahl versprochen wurde (Ypsilanti hatte ja ein Zusammengehen mit den Linken ausgeschlossen). Nur so kann die SPD wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Becks Niedergang begann damit, dass sogar er als Bundesvorsitzender nach der Hessen-Wahl Verständnis für die rot-grün-roten Anbandelungsversuchen aufbrachte und sie schließlich tolerierte.

Lesen Sie auf Seite drei, welche Anforderungen das Wahlkampfprogramm 2009 erfüllen muss.

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3. Wie könnte ein Wahlkampfprogramm aussehen, hinter dem sich die Partei versammelt?

Nicht jedes Mal gibt es einen wahlkampftaktischen Glücksfall wie den unionsnahen Professor Paul Kirchhof und seine Flat-Tax, die Gerhard Schröder vor vier Jahren so geschickt ausschlachtete, dass die SPD bei der Bundestagswahl noch auf völlig unerwartete 34,2 Prozent der Stimmen kam. Wenn die Sozialdemokraten 2009 an dieses Ergebnis zumindest anknüpfen wollen, brauchen sie ein Konzept, wie Deutschland 2020 aussehen soll. Der Parteilinke Michael Müller forderte vom neuen Parteichef auf sueddeutsche.de eine " Perspektive, die elektrisiert, für die es sich lohnt zu kämpfen."

In einer Partei, die sich nach einer stärkeren Akzentuierung ihrer sozialen Wurzeln sehnt, könnte das am ehesten eine Kampagne für den gesetzlichen Mindestlohn sein. Das kann jeder Sozialdemokrat unterschreiben. Praktischer Nebeneffekt: Über den Mindestlohn kann sich die SPD glaubwürdig vom Koalitionspartner CDU/CSU abgrenzen. Haken an einer Mindestlohn-Kampagne: Die Linkspartei wird das auch machen.

In Mode ist zurzeit auch die Bildung, die durch die Parteien als echtes Zukunftsthema gilt. Steinmeier hat in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung unlängst zweisprachige Erzieher, mehr Förderlehrer in den Grundschulen, guten Nachmittagsunterricht in den Ganztagesschulen, die Wiedereinführung des Schüler-Bafög und das Recht auf ein gebührenfreies Erststudium gefordert. Vor allem Letzteres findet in großen Teilen der Partei Applaus.

4. Welche Koalitionen sind aus SPD-Sicht nach der Wahl 2009 denkbar?

Müntefering und Steinmeier übernehmen das Ruder des Tankers SPD bei 25 Prozent. Damit ist kein Staat und keine Regierung zu machen. Die 30er-Marke müssten die Sozialdemokraten schon deutlich nehmen, um 2009 Gedanken an eine Fortsetzung der dann elfjährigen Regierungszeit verschwenden zu dürfen. Auch das nur bedingt. Voraussetzung für alle roten Regierungsträume: Es darf wieder nicht für Schwarz-Gelb reichen. Doch das wird schwer, denn Rot-Grün ist noch viel weiter von einer Mehrheit entfernt. Eine Neuauflage der großen Koalition will jedenfalls niemand (mit Ausnahme von Finanzminister Steinbrück).

Blieben nur die schon 2005 heftig diskutierten Dreierkoalitionen: Rot-Rot-Grün ist mit der Steinmeier-Müntefering-SPD nicht zu machen. Für die SPD bliebe dann nur eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP. Steinmeier kann sich das vorstellen, FDP-Generalsekretär Niebel reagierte überraschend positiv auf das neue Führungsduo und der designierte Grünen-Chef Cem Özdemir sagt: "Wenn Steinmeier und Müntefering jetzt nicht der Versuchung erliegen, wieder zu Gralshütern der Agenda 2010 zu werden, dann kann nächstes Jahr auch die Option Ampel wieder real werden."

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