Neue Serie: Mein liebstes Hobby (1):"Ich bevorzuge offene Partien"

Neue Serie auf sueddeutsche.de über unbekannte Vorlieben von Bekannten. Am Anfang spricht Finanzminister Steinbrück über Schach und Deep Fritz.

Nico Fried

SZ: Herr Steinbrück, welche Erinnerung weckt der Zug eines weißen Turmes vom Feld a6 auf das Feld a7 bei Ihnen?

Neue Serie: Mein liebstes Hobby (1): Wenn der Finanzminister sich bei gedämpftem Licht ans Schachbrett setzt, müssen alle den Mund halten. Sagt der Finanzminister.

Wenn der Finanzminister sich bei gedämpftem Licht ans Schachbrett setzt, müssen alle den Mund halten. Sagt der Finanzminister.

(Foto: Foto: dpa)

Steinbrück: Das war ein bescheuerter Zug, den ich verdrängt habe. Er kommt in meiner Erinnerung nicht mehr vor.

SZ: Es war der letzte Zug in ihrer Partie gegen den früheren Weltmeister Wladimir Kramnik. Danach mussten Sie aufgeben, weil er Ihren Springer schlagen konnte, Sie aber nicht seinen gedeckten Läufer.

Steinbrück: Ich hatte meinen Springer an den Rand manövriert, so dass er keinen Spielraum mehr hatte. Ich wollte ihn zurückholen, aber Kramnik hatte alle Felder geschickt zugemacht. Der entscheidende Fehler in dieser Partie passierte aber einige Züge vorher, da hätte ich einen Bauern offensiver spielen müssen. Das haben mir auch Großmeister bestätigt, mit denen ich die Partie später analysiert habe. Aber ich war überrascht, dass ich überhaupt 37 Züge durchgehalten habe.

SZ: Sie haben mit den weißen Steinen mit dem Königsbauern eröffnet, was gemeinhin als die offensivste Variante gilt.

Steinbrück: Ja, ich bevorzuge offene Partien.

SZ: Einige Züge lang haben Sie eine gängige Variante der spanischen Eröffnung gespielt. Lernen Sie Eröffnungstheorien?

Steinbrück: Nein. Überhaupt nicht. Ich spiele nur Partien nach und merke mir dabei natürlich manches. Aber wenn Sie mich jetzt nach der preußischen oder russischen Eröffnung, nach Königsindisch oder der Nimzowitsch-Variante fragen würden, könnte ich Ihnen das nicht runterrattern.

SZ: Sind Sie ein geduldiger Positionsspieler oder einer, der mal ein Opfer riskiert, auch wenn er die Konsequenzen nicht übersehen kann?

Steinbrück: Letzteres, und zwar zu häufig. Ich spiele oft impulsiv und verschenke damit bisweilen Positionen, die eigentlich vorteilhaft gewesen wären.

SZ: Der Ruf einer gewissen Impulsivität eilt Ihnen ja voraus. Haben Sie die Figuren schon mal aus Wut vom Brett gefegt?

Steinbrück: Nein. Noch nie. Beim Schach kann ich mich beherrschen.

SZ: Was fasziniert Sie am Schach-Spiel?

Steinbrück: Es ist ein sehr strategisches Spiel und sehr variantenreich. Und es ist eine Duell-Situation.

SZ: Sie spielen Tennis, Billard und Schach. Alles Duelle.

Steinbrück: Als Kind habe ich viel Fußball gespielt. Aber später, da haben Sie recht, hab ich Einzelsportarten gewählt.

SZ: Weil Sie sich am liebsten auf sich selbst verlassen?

Steinbrück: Ja.

SZ: Wie anstrengend ist Schach?

Steinbrück: Sehr anstrengend. Der Manager von Kramnik hat mir erzählt, dass die Profis während einer umkämpften Partie mehrere Kilo abnehmen. Schach ist Sport. Sie merken das körperlich, aber eben auch geistig, bis hin zur Schlaflosigkeit. Ich habe einen Schach-Partner, der regt sich über Partien so auf, dass er nachts nicht schlafen kann.

SZ: Sie haben mal gesagt, Sie spielen Schach, um den Kopf freizubekommen. Ist das nicht das Gegenteil?

Steinbrück: Für mich ist Schach entspannend, weil es eine völlig andere Form der Konzentration erfordert als meine Arbeit. Ich kann dabei alles andere vergessen. Ich ärgere mich auch über Fehler, aber ich hab gelernt, das wegzustecken. Und der Schachcomputer, gegen den ich meistens spiele, hat den großen Vorteil, dass ich ihn ungestraft anschnauzen und mich sofort abreagieren kann.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Steinbrück über verrückte Schach-Weltmeister denkt.

"Ich bevorzuge offene Partien"

SZ: Wie haben Sie Schach gelernt?

Steinbrück: Von meiner dänischen Großmutter, da war ich etwa sechs Jahre alt.

SZ: Sie soll sehr streng gewesen sein.

Steinbrück: Im Gegenteil, sie war überhaupt keine harte Frau. Aber sie war der Auffassung, dass es echt sein muss, wenn ich mal gegen sie gewinne. Deshalb hat sie keine Partie hergeschenkt oder absichtlich einen Fehler gemacht. Ich habe sieben Jahre gebraucht, bis ich das erste Mal gegen sie gewonnen habe. Das war ein richtiger Sieg - und keine Freundlichkeit von ihr.

SZ: Schach war in ihrer Familie weit verbreitet?

Steinbrück: Ja, meine Großmutter spielte während des ersten Weltkrieges eine Partie mit ihrem Mann, der an der Front in Frankreich war. Sie gaben sich die Züge per Feldpost durch. Eines Tages erschien an ihrer Wohnungstür das, was man heute den Geheimdienst nennt. Die dachten, die Notation der Züge seien Artillerie-Koordinaten.

SZ: Mit wem spielen Sie heute?

Steinbrück: Meistens mit dem Computer, manchmal mit Otto Schily, gelegentlich mit Helmut Schmidt und sonst mit privaten Freunden.

SZ: Schach ist ein unkommunikatives Spiel. Kann man damit Freundschaften pflegen?

Steinbrück: Na klar, man redet davor und danach. Aber während des Spiels braucht es gedämmtes Licht, ein Glas Rotwein, einen Aschenbecher - und alle müssen den Mund halten, das stimmt schon.

SZ: Gibt es eine Partie, an die sich besonders gerne erinnern?

Steinbrück: Ich wohnte in einer Wohngemeinschaft in Kiel und bin einem Mitbewohner wahnsinnig auf die Nerven gegangen, hab das aber selbst nicht gemerkt...

SZ: ...das soll Ihnen heute auch noch gelegentlich passieren...

Steinbrück: (lacht) ... das stimmt. Ich höre aber, dass das in Ihrem Berufsstand auch vorkommt. Jedenfalls hat dieser Mitbewohner einen Schachprofi ins Haus geholt, der mir mit einem Sieg das Maul stopfen sollte. Ich aber habe die Partie gewonnen, obwohl er eindeutig besser spielen konnte. Das Gesicht von meinem Mitbewohner, als er das Ergebnis erfuhr, werde ich jedenfalls nie vergessen.

SZ: Die Gretchen-Frage: Gibt es Parallelen zwischen Schach und Politik?

Steinbrück: Natürlich. Beides hat auch mit Strategie zu tun. Wie lässt man eine Situation reifen? Wie bereitet man einen Angriff vor? Wie verteidigen Sie sich? Man vergewissert sich der eigenen Position und versetzt sich in den Gegner hinein: Was hat der vor?

SZ: Haben Sie in einer langweiligen Kabinettsitzung schon mal über ein Schachproblem gegrübelt?

Steinbrück: Nein, aber ich gebe zu, dass ich im Bundestag auf der Regierungsbank gelegentlich schon Schach-Rätsel aus Zeitungen vor mir liegen hatte.

SZ: Schachspieler sind manchmal merkwürdige Menschen. Manche werden verrückt. Merken Sie bei sich schon was?

Steinbrück: Keine Sorge! Wenn ich an etwas verrückt werden sollte, dann hat es eher mit Politik zu tun.

SZ: Steinitz, der erste Weltmeister, ist verrückt geworden, Emil-Josef Diemer hat Vorträge darüber gehalten, dass im Himmel Deutsch gesprochen wird, Bobby Fischer ist quasi durchgedreht. Das muss Ihnen doch Sorge bereiten!

Steinbrück: Na ja, es gibt wohl Menschen, für die Schach der einzige Lebensinhalt wird - und zwar so eindimensional, dass sie in die Absonderlichkeit abgleiten. Davon bin ich weit entfernt. Man muss nicht Exzentriker sein, um Schach zu spielen, aber Schach kann offenbar dazu führen, dass man ein Exzentriker wird. Die Großmeister, die ich kenne, sind aber alle nicht so. Einen Typus Fischer gibt es in der heutigen Generation nicht.

Lesen Sie auf Seite drei, warum Peer Steinbrück in Schachcomputern eine kulturpessimistische Komponente erkennt und die Notation seiner Partie gegen den langjährigen Schachweltmeister Wladimir Kramnik.

"Ich bevorzuge offene Partien"

SZ: Der Präsident des Weltverbandes FIDE, Herr Iljumschinow, Präsident der russischen autonomen Republik Kalmückien, behauptet, er sei von Außerirdischen in einem UFO entführt worden.

Steinbrück: Wirklich? Ich hab den Herrn einmal kennen gelernt, aber von dieser UFO-Erfahrung hat er mir nichts erzählt.

SZ: Das Duell zwischen Topalow und Kramnik war überschattet von Vorwürfen Topalows, Kramnik würde auf der Toilette den Computer zu Rate ziehen.

Steinbrück: Ich erinnere mich. Das ist psychologische Kriegführung. Ich habe gehört, dass zur Vorbereitung auf so einen Wettkampf gerade auch die Marotten eines Gegners eingehend studiert werden. Ich bin überhaupt beeindruckt, wie die sich vorbereiten. Da sind unsere Wahlkämpfe nichts dagegen.

SZ: Sie spielen selbst viel mit dem Computer...

Steinbrück: ... ich steige beim Level von durchschnittlich 1:30 Minuten Bedenkzeit für den Computer ein, was dann manchmal pro Zug fünf bis sechs Minuten sind, und spiele dann ein "Turnier", wer zuerst sechs Siege hat. Wenn ich das gewinne, steigere ich mich auf das nächste Level. Meistens ist dann Schluss.

SZ: Kramnik hat gegen den Computer Deep Fritz 2:4 verloren. Deep Fritz rechnet pro Sekunde zehn Millionen Stellungen durch. Ist damit der Punkt erreicht, an dem der Computer als dem Menschen überlegen angesehen werden muss?

Steinbrück: Ja. Und ich finde es zutiefst deprimierend, wenn künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz überwältigt. Das bedeutet, dass auch Intuition gegen rechnerische Prozesse nichts mehr ausrichten kann. Ich hätte das beim Schach nicht für möglich gehalten. Für mich hat das geradezu eine kulturpessimistische Komponente.

SZ: Wobei die künstliche Intelligenz ja auch eine Leistung des Menschen ist.

Steinbrück: Das stimmt, aber das Erschütternde daran ist ja, dass diese Intelligenz sich so verselbständigt, dass der Mensch von einer Maschine überwältigt wird, die er selbst programmiert hat.

SZ: Sollte man bei diesen Fähigkeiten nicht auch die Politik dem Computer überlassen?

Steinbrück: Dem Computer fehlt die Fähigkeit, Politik zu kommunizieren. Ich denke, dass die Kategorie des Politischen für künstliche Intelligenz nicht fassbar ist. An einer Stelle nachzugeben, um an anderer Stelle etwas zu erreichen - solche Strategien sind für den Computer zum Beispiel nicht berechenbar. Das hat etwas mit anderen Menschen zu tun und ist oft auch sehr situativ.

SZ: Napoleon, Lenin, Che Guevara - alles Schachspieler. Gegen wen hätten Sie am liebsten noch gespielt?

Steinbrück: Napoleon. Ich hätte gerne gewusst, ob er so Schach spielt, wie er seine Feldzüge angelegt hat, vor allem die Schlacht von Austerlitz.

SZ: Im Oktober beginnt die Schach-WM in Bonn und Sie sind der Schirmherr. Angenommen, die SPD entscheidet an diesem Tag über ihren Kanzlerkandidaten - zu welcher Veranstaltung fahren Sie?

Steinbrück: (lacht) Ich werde alles tun, damit die SPD ihren Kandidaten nicht am selben Abend kürt. Ich habe für die Schach-WM schon zugesagt und werde Kurt Beck inständig darum bitten, das bei der Terminplanung zu berücksichtigen.

Notation

Weiß: Peer Steinbrück Schwarz: Wladimir Kramnik

5. März 2005 in Bonn

1.e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. 0-0 Le7 6. Te1 b5 7 Lb3 d6 8. h3 Sa5 9. c3 Sxb3 10. Dxb3 Lb7 11. d3 0-0 12. Le3 c5 13.Sbd2 Dc7 14. Tac1 Tfe8 15. Dc2 d5 16. Lg5 Tad8 17. Tcd1 h6 18. Lh4 dxe4 19. dxe4 c4 20. Lg3 Lc5 21. Lh4 g5 22. Lg3 Sh5 23. Sf1 Sf4 24. Lxf4 exf4 25. S1h2 Db6 26. Sg4 Txd1 27. Txd1 Lxe4 28. Dd2 Lxf3 29. gxf3 De6 30. Dd7 Kg7 31. Kg2 Dxd7 32. Txd7 Te2 33. Tc7 Le7 34. Tc6 h5 35. Sh6 Te5 36. Txa6 f6 37. Ta7 Kxh6 Weiß gibt auf.

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