"Deutschlands Zukunft gestalten" steht auf dem Deckblatt des 185 Seiten starken Koalitionsvertrag von Union und SPD. Während die Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel die Einigung bei ihrer Pressekonferenz (nachzulesen im Liveblog) loben, bleibt vieles unklar. SZ-Redakteure haben genau nachgelesen, was CDU, CSU und SPD bis 2017 in Bereichen wie Mindestlohn, Netzpolitik, Familienförderung, Verkehrspolitik, der Rente oder bei Verbraucherschutz und Gesundheitspolitik planen - und ordnen die Kompromisse ein.
Die einzelnen Politikfelder in der großen SZ-Analyse.
Finanzpolitik - Mehrkosten von 23 Milliarden Euro
Gemessen am Schlachtenlärm, der im Wahlkampf und zu Beginn der Koalitionsverhandlungen rund um das Thema Steuererhöhungen und Mehrausgaben herrschte, wirken die 34 Zeilen, die der Koalitionsvertrag darauf verwendet, auf den ersten Blick geradezu profan. Unter der Überschrift "Prioritäre Maßnahmen" zählen Union und SPD etwa ein Dutzend Vorhaben auf, für die sie bis 2017 zusätzliches Geld zur Verfügung stellen wollen: von der Entlastung der Länder über den Kita-, Schul- und Hochschulausbau, höhere Ausgaben für die Entwicklungshilfe, die Sanierung von Straßen und die berufliche Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser bis zur Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung.
Doch die 34 Zeilen haben es in sich: Allein die Mehrkosten für den Bundeshaushalt belaufen sich auf 23 Milliarden Euro. Die Summe wäre sogar noch um bis zu 17 Milliarden Euro höher, hätten die Koalitionäre in spe nicht getrickst: Im Vertrag nämlich wird angekündigt, dass der Bund den Städten und Gemeinden die Kosten für die Unterstützung behinderter Menschen in Höhe von jährlich fünf Milliarden Euro abnehmen wird. Unter der Hand heißt es jedoch, dass es dazu wohl frühestens 2018 kommen wird. Auch so jedoch verbleibt zwischen den 23 Milliarden und jenen 15 Milliarden Euro, die Finanzminister Wolfgang Schäuble (CSU) im Wahlkampf für die Zeit bis 2017 als "finanziellen Spielraum" identifiziert hatte, eine Lücke von acht Milliarden Euro. Das ist sicher eine gewaltige Summe, gemessen an den jährlichen Ausgaben des Bundes von 300 Milliarden aber kein echtes Problem.
Viel gravierender als die Haushaltsbelastungen könnten sich am Ende ohnehin diejenigen Wahlgeschenke erweisen, die in der Prioritätenliste gar nicht auftauchen. Sie nämlich gehen zu Lasten der Sozialkassen, die über hohe Reserven verfügen, nun aber mit so gewaltigen zusätzlichen Ausgaben belastet werden, dass schon bald wieder rote Zahlen drohen. Aber auch die heutigen Arbeitnehmer werden kräftig zur Kasse gebeten: Sie müssen auf die eigentlich anstehende Senkung des Rentenbeitragssatzes von 18,9 auf 18,3 Prozent des Bruttolohns verzichten - und damit auf eine Entlastung von drei Milliarden Euro. Das Geld wird zur Finanzierung der geplanten Rentenerhöhung für Mütter verwendet, die allein mit etwa 6,5 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen wird. Die übrigen Verbesserungen für Rentner machen sich zunächst finanziell kaum bemerkbar, die Kosten steigen jedoch über die Jahre massiv an. Anders ausgedrückt: Sie werden nicht der jetzigen Koalition jede Menge Bauchschmerzen bereiten, wohl aber künftigen Regierungen. Claus Hulverscheidt
Die Abschaffung der Optionspflicht bei der Staatsbürgerschaft ist ein dickes Pfund im Sinne der SPD und längst überfällig. Zur Erinnerung: Bisher müssen sich in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern spätestens im Alter von 23 Jahren entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten wollen. Wenn nicht, werden sie ausgebürgert. Dies betrifft bisher besonders die Kinder türkischer Herkunft. Dieses Modell ist vom Tisch. Wenn auch nur für Kinder, die 1990 oder später geboren wurden.
Die neue Regelung aber öffnet Türen hin zu einer vollständigen Abschaffung. Die Union wird irgendwann merken, dass sie die Absurdität, dass der Doppelpass nicht für alle gilt, nicht wird aufrechterhalten können. Sie wird sich öffnen, wie sie es schon in anderen Politikfeldern wie der Familienpolitik hinbekommen hat. In dieser Wandlungsfähigkeit liegt auch eine Stärke der Union, die sie auf über 40 Prozent bei der Bundestagswahl gebracht hat. Thorsten Denkler
Jahrelang haben SPD und Gewerkschaften dafür gekämpft, jetzt wird Deutschland als eines der letzten EU-Länder einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Die 8,50 Euro pro Stunde kommen aber erst 2015 und nicht schon im kommenden Jahr, wie es sich die SPD gewünscht hätte. Theoretisch könnten davon 5,6 Millionen Arbeitnehmer profitieren. So viele verdienen in Deutschland derzeit weniger als 8,50 Euro.
Tatsächlich wird es anders aussehen: Erstens könnte ein Teil dieser Geringverdiener den Job verlieren, weil ihre Arbeitgeber die 8,50 Euro nicht zahlen wollen oder können. Diese Gefahr sehen Arbeitsmarktforscher vor allem in Ostdeutschland. Zweitens enthält der Koalitionsvertrag Ausnahmeregelungen: So können bis Ende 2016 Tarifverträge weiter gelten, in denen die Tarifparteien geringere Entgelte vereinbart haben. Die Koalitionäre kommen damit den Arbeitgeberverbänden entgegen. Diese hatten in den vergangenen Wochen immer wieder darauf hingewiesen, dass es in Deutschland 41 Tarifverträge mit DGB-Gewerkschaften gibt, in denen Löhne von unter 8,50 Euro vorgesehen sind.
In drei Jahren ist dann Schluss mit der Übergangsfrist: "Ab. 1. Januar 2017 gilt das bundesweite gesetzliche Mindestlohnniveau uneingeschränkt." Eine Kommission der Tarifpartner soll dann erstmals zum 10. Juni 2017 die Höhe des Mindestlohns überprüfen und gegebenenfalls zum 1. Januar 2018 anpassen.
Die Koalition will die Leiharbeit "auf ihre Kernfunktionen hin orientieren". Dazu zählt für Union und SPD auch das Prinzip "gleiche Arbeit, gleicher Lohn". Leiharbeiter sollen deshalb "künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden". Außerdem dürfen Unternehmen Leiharbeiter künftig nur 18 Monate ununterbrochen in einem Betrieb einsetzen. Thomas Öchsner
Nie zuvor habe so viel Netzpolitik Eingang in einen Koalitionsvertrag gefunden, schwärmen die Unterhändler von CDU, CSU und SPD. Kein Wunder: In vielen Punkten waren sich die Koalitionspartner schon vorher einig. Netzpolitik-Aktivisten und Oppositionspolitiker werden dennoch nicht vollständig zufrieden sein mit der "digitalen Agenda".
Ihr größter Kritikpunkt: Die Vorratsdatenspeicherung kehrt zurück. Das Bundesverfassungsgericht hatte das deutsche Gesetz zur EU-Richtlinie 2010 gestoppt, die FDP hatte eine Novelle verhindert. Doch Union und SPD sind grundsätzlich dafür - und so soll künftig wieder gespeichert werden. Allerdings nur auf Servern in Deutschland, wie betont wird. Außerdem solle auf EU-Ebene darauf hingewirkt werden, dass die Speicherfrist von sechs auf drei Monate verkürzt werde. Der Zugriff auf die Daten solle "nur bei schweren Straftaten" erfolgen - darauf hatte die SPD gedrängt. Die Grünen haben bereits Widerstand angekündigt.
Kurz geraten sind die "Konsequenzen aus der NSA-Affäre": Ein No-Spy-Abkommen soll her, dessen Wirksamkeit aber äußerst umstritten ist. Die Spionageabwehr soll gestärkt werden. Wirtschaft und Bürger sollen künftig in der Lage sein, ihre Daten besser zu schützen - durch bessere Technik und mehr Medienkompetenz.
Die Liste der Wohltaten ist länger: Der Routerzwang durch Provider soll abgeschafft werden, das heißt Internetnutzer können sich künftig frei für ein Gerät entscheiden. Die Netzneutralität soll festgeschrieben werden - das dürfte alle freuen, die ein Zweiklassennetz befürchten. Allerdings dürfte es hier auf die konkrete Formulierung des Gesetzes ankommen, der Begriff Netzneutralität ist interpretierbar. In Städten soll es kostenloses Wlan für alle geben, mit Rechtssicherheit für jene, die ihr Funknetzwerk anderen zur Verfügung stellen. Ländlichen Gegenden wird eine Mindest-Datengeschwindigkeit von zwei Mbit pro Sekunde versprochen. Zudem soll der Breitbandausbau vorangetrieben werden. Bei der Finanzierung bleibt der Vertrag allerdings vage. Kanzlerin Merkel hatte zuletzt angedeutet, die DSL-Tarife seien so billig, dass sich Investitionen für Unternehmen kaum lohnen würden. Michael König
Den außenpolitischen Teil des Koalitionsvertrags könnte man als bewusste Absetzung von Guido Westerwelles "Kultur der militärischen Zurückhaltung" lesen. "Deutschland stellt sich seiner internationalen Verantwortung. Wir wollen die globale Ordnung aktiv mitgestalten", heißt es einleitend - und: "Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden." Allerdings stünden dabei "die Mittel der Diplomatie, der friedlichen Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund".
Tatsächlich aber wird sich erst im Regierungsalltag erweisen, ob sich an der militärischen Zurückhaltung tatsächlich etwas ändert. Dagegen spricht die äußerst skeptische Haltung der Bevölkerung zu Militäreinsätzen, die auch der neuen Regierung sehr bewusst sein wird. Auch die Tatsache, dass Union und SPD gemeinsam über eine sehr breite Mehrheit verfügen, wird daran nichts ändern: Über Militäreinsätze wird traditionell ohnehin im Konsens zwischen den großen Parteien entschieden - auch ohne, dass man gemeinsam regiert. Christoph Hickmann
Beim Thema Verteidigung wiederum haben die Unterhändler ein paar Konflikte eher aufgeschoben als gelöst - zum Beispiel bei Kampfdrohnen. Dazu findet sich die Formulierung, dass man "vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme" erst einmal "alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen" werde. Nach Meinung der SPD heißt das, dass in der nächsten Legislaturperiode keine bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr beschafft werden. Die Union legt die Formulierung allerdings anders aus. Hier ist Streit programmiert.
Ähnlich könnte es bei Rüstungsexporten aussehen. Hier soll es zwar ein bisschen mehr Transparenz geben - statt wie bisher einmal im Jahr soll nun zweimal jährlich ein Exportbericht vorgelegt werden. Außerdem wird der Bundestag informiert werden, wenn der Bundessicherheitsrat heikle Exporte genehmigt hat. Doch ganz abgesehen davon, dass damit weiterhin erst informiert wird, wenn die Entscheidungen gefallen sind: Die spannende Frage wird sein, wie sich die SPD positioniert, wenn in Länder wie etwa Saudi-Arabien exportiert werden soll. Bislang hatten die Sozialdemokraten solche Deals scharf kritisiert, nun pochen sie darauf, dass künftig die Exportgrundsätze der Bundesregierung wieder eingehalten werden. Christoph Hickmann
In den Bereichen Gesundheit und Pflege wird es anders als in den vergangenen beiden Legislaturperioden keinen Streit geben. Naja, jedenfalls werden sich die Koalitionäre nicht erst monatelang darüber in die Haare kriegen, wie das System künftig zu finanzieren ist. Das liegt daran, dass die Finanzlage im System mit Reserven von mehr als 30 Milliarden Euro so gut ist wie nie zuvor. Außerdem hat die neue Koalition beschlossen, den Zusatzbeitrag abzuschaffen. Künftig soll jede Kasse wieder den prozentualen Beitrag erheben können, mit dem sie auskommt.
Die künftigen Kostensteigerungen müssen die Arbeitnehmer aber bis zu einem noch zu definierenden Punkt alleine tragen. Zu Beginn werden voraussichtlich alle Kassen mit 15,5 Prozent des Bruttoeinkommens starten. Davon zahlt der Arbeitnehmer - wie bislang auch - 0,9 Punkte alleine aus eigener Tasche. Am Rest beteiligt sich der Arbeitgeber zur Hälfte.
Vereinbart haben die Koalitionäre auch eine Art Termingarantie beim Facharzt. Wer keinen Termin findet, dem soll künftig eine von der Ärzteschaft betriebene Suchstelle helfen. Innerhalb von vier Wochen muss diese einen Termin besorgt haben. Ansonsten muss sie einen im Krankenhaus vereinbaren. Guido Bohsem
Was hatte die SPD im Wahlkampf nicht alles versprochen: Sie wollte das Ehegattensplitting abschaffen, das Betreuungsgeld sowieso und kostenlose Kita-Plätze schaffen. Von all dem findet sich im Koalitionsvertrag nun nicht die geringste Spur. Zwar war die zuständige SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig, die als künftige Familienministerin heiß gehandelt wird, sehr präsent. Letztlich setzte sie der Union in diesem Bereich aber nichts entgegen.
Einig sind sich Union und SPD darin, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern wollen. Das Elterngeld soll flexibler werden - "Elterngeld plus" nennt sich die neue Regelung. Väter und Mütter, die Teilzeit arbeiten, sollen die Familienhilfe doppelt so lange in halber Höhe ausgezahlt bekommen. Wenn sich beide um die Betreuung kümmern und dafür in Teilzeit arbeiten, soll es einen Partnerschaftsbonus geben. Vereinbart ist auch das bereits von der bisherigen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) geplante Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit. Bei der Pflege von Familienangehörigen soll es ebenfalls Verbesserungen geben: So sollen Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit erhalten.
In punkto Kinderbetreuung fällt vor allem auf, was nicht im Koalitionsvertrag steht: Der Plan eines bundesweiten Qualitätsgesetzes (mehr dazu hier), der in einer früheren Fassung des Vertrages noch als Ziel angeführt war, wurde in der Endversion gestrichen. Bundesweite Standards hatte vor allem die SPD immer wieder als wünschenswert genannt, CDU-Ministerin Schröder hatte das Projekt allenfalls halbherzig in Angriff genommen. Für die Finanzierung von Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Hochschulen wollen SPD und Union den Ländern zusätzliche sechs Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Eine weitere Aufstockung der Mittel für Kinderkrippen und Kindergärten wird in Aussicht gestellt.
Die vor allem von der SPD lang geforderte Frauenquote kommt - allerdings in der deutlich abgeschwächten Form, wie sie die Union propagiert hat. Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen müssen von 2016 einen weiblichen Anteil von mindestens 30 Prozent aufweisen. Auch auf unteren Ebenen soll es eine Quote geben, hier allerdings die von CDU-Ministerin Schröder stets favorisierte Flexi-Quote, die die Unternehmen selbst festlegen. Barbara Galaktionow
Seit Anfang 2012 können langjährig Beschäftigte nach 45 Beitragsjahren und mit Erreichen des 65. Lebensjahrs ohne die sonst fälligen Abschläge in Rente gehen. Diese Ausnahmeregel, die mit der Rente mit 67 eingeführt wurde, wird nun auf Wunsch der SPD erweitert: Langjährig Versicherte sollen vom 1. Juli 2014 an sogar mit dem vollendeten 63. Lebensjahr in Rente gehen können. Auch die Zugangsvoraussetzungen für diese Rente mit 63 werden erweitert: Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen bei den 45 Beitragsjahren künftig mit. Auf Dauer sollen die 63 Jahre aber nicht gelten. Das Eintrittsalter für die abschlagsfreie Rente wird parallel mit der Regelaltersgrenze jedes Jahr um einen Monat steigen. In 25 Jahren wäre dann aus der abschlagsfreien Rente mit 63 wieder die abschlagsfreie Rente mit 65 geworden.
Die Union wollte die Lebensleistungsrente, die SPD die Solidarrente. Daraus wird nun die "solidarische Lebensleistungsrente". Minirenten von Geringverdienern, die 40 Jahre lang Beiträge gezahlt haben, sollen nun bis auf 30 Rentenpunkte, das sind derzeit etwa 844 Euro im Westen, aufgestockt werden. Bis 2023 sollen dafür auch 35 Beitragsjahre (inklusive Pflege- oder Kindererziehungszeiten) reichen. Weiter heißt es: "In allen Fällen werden bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit wie Beitragsjahre behandelt." Die Zusatzrente soll es aber nur nach einer "Einkommensprüfung" geben. Nach 2023 soll eine zusätzliche Altersvorsorge Voraussetzung sein, um die neue Zusatzrente bekommen zu können. Die Kosten dürften sich auf etwa 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2030 belaufen. Die Finanzierung soll teilweise aus Steuermitteln erfolgen.
Vom 1. Juli 2014 an wird auf Wunsch der Union für jedes vor 1992 geborene Kind ein Erziehungsjahr mehr angerechnet. Dies entspricht im Westen 28 Euro mehr Rente pro Monat. Die Kosten belaufen sich auf etwa 6,5 Milliarden Euro im Jahr. Wie das finanziert wird, steht nicht im Koalitionsvertrag. Das Geld dafür wird aber voraussichtlich aus der Rentenkasse genommen. Die Beiträge für die Rentenversicherung werden dann nicht - so wie zunächst geplant - von 18,9 auf 18,3 Prozent gesenkt. Thomas Öchsner
Horst Seehofer hat seinen Willen bekommen: Die Vignette steht im Koalitionsvertrag, wenngleich auch nur in Klammern. Die Koalition wolle einen "angemessenen Beitrag der Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw erheben (Vignette)", heißt es. Noch 2014 soll das entsprechende Gesetz verabschiedet werden. Besonders glücklich dürfte ein künftiger Verkehrsminister mit den Vorgaben allerdings nicht sein. Einerseits soll das Ganze mit europäischem Recht harmonieren. Andererseits dürfe kein einziger deutscher Fahrzeughalter stärker belastet werden als heute. Es ist eine Quadratur des Kreises: Eine Maut, die letztendlich nur Ausländer trifft, wird Brüssel kaum tolerieren. "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben", hat Kanzlerin Angela Merkel im TV-Duell mit Peer Steinbrück gesagt. Gut möglich, dass sie damit recht behält.
Einfacher liegen die Dinge bei der Lkw-Maut. Sie soll auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Das dauert zwar ein paar Jahre, könnte aber dann so manche Straße entlasten. Als Ausweichrouten für Mautumgeher sind die Bundesstraßen nämlich nach wie vor sehr beliebt. Und Geld brächte das auch. Michael Bauchmüller
Schwarz-Rot will die "Energiewende zum Erfolg führen", wechselt aber dazu ziemlich den Kurs. Bislang konnte der Anteil des Ökostroms ungestört wachsen, nun wird er erstmals gedeckelt. Bis 2025 sollen höchstens 45 Prozent Ökostrom ins Netz fließen, bis 2035 höchstens 60 Prozent. In den nächsten Monaten soll nun, ausgehend von diesen Grenzen, das Ökostrom-Fördergesetz EEG reformiert werden. Der neue Deckel dürfte dann vor allem den Ausbau der Windkraft an Land bremsen. Dafür sorgen schon die Festlegungen in anderen Bereichen: Bei der Förderung von Sonnenenergie und Wasserkraft soll sich nichts ändern, beim Windstrom zur See werden bisherige Programme verlängert, bei der Biomasse schleuste die CSU noch ein Hintertürchen ein, das zu starke Einschnitte verhindert.
Zwar enthält der Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zum schwarz-gelben Ausstieg bis 2022. Doch bei den Zumutungen für die Betreiberfirmen wird er blumig. "Wir erwarten von den Kernkraftwerksbetreibern ihre Mitwirkung an der Energiewende und die Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung", heißt es. Die Verursacher müssten die Kosten für Atommüll und Beseitigung der Anlagen tragen. Was an sich selbstverständlich ist, soll aber vorsichtshalber nun noch einmal mit den Betreiberkonzernen besprochen werden.
Die umstrittene Förderung von Schiefergas ist fürs Erste gestorben. Es handele sich um eine "Technologie mit erheblichem Risikopotential", heißt es. Beim Fracking werden Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in unterirdisches Gestein gepumpt, um von dort Gas zu lösen. Bislang sind die Risiken für das Grundwasser ungeklärt.Genehmigungen könne es erst geben, wenn in dieser Hinsicht keinerlei Bedenken mehr bestehen. Das wird dauern. Michael Bauchmüller
Im Verbraucherschutz hatten Union und SPD zunächst deutlich mehr geplant, als am Ende im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. So hatte die zuständige Arbeitsgruppe beschlossen, dass telefonisch geschlossene Verträge, die auf unerlaubter Telefonwerbung beruhen, erst dann wirksam werden, wenn sie schriftlich bestätigt sind. Verbraucherschützer fordern das schon lange.
Dafür werden Menschen, die bei ihrem laufenden Konto ins Minus rutschen, künftig besser geschützt: Banken müssen künftig einen Warnhinweis geben, sobald ein Dispositionskredit in Anspruch genommen wird. Und sie sollen Kunden, die dauerhaft diese extrem teure Form eines Kredits in Anspruch nehmen, über günstigere Alternativen informieren.
Beim Mieterschutz machten die potentiellen Koalitionäre einen kleinen Rückzieher. Hatten sie zunächst geplant, dass sich Bestandsmieten künftig in Regionen mit angespanntem Mietmarkt innerhalb von vier Jahren höchsten um zehn Prozent erhöhen dürfen, so bleibt es nun doch bei dem derzeit geltenden Zeitraum von drei Jahren, in denen die Mieten höchstens um zehn Prozent steigen dürfen.
Tatsächlich beschlossen wurde aber eine Mietpreisbremse für Wiedervermietungen: In Städten mit angespannten Wohnungsmärkten dürfen Vermieter künftig einen Mieterwechsel nicht mehr nutzen, um die Miete beliebig zu erhöhen. Die neue Miete, die sie verlangen, darf höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Das soll allerdings nicht für Neubauten oder Erstvermietungen nach einer umfassenden Modernisierung gelten.
Beschlossen ist zudem, dass Wohnungsmakler, die eine Mietwohnung vermitteln, künftig von dem bezahlt werden sollen, der sie beauftragt hat - im Normalfall also vom Vermieter.
Union und SPD betonen, dass sie die Vorbehalte des Großteils der Bevölkerung gegen die grüne Gentechnik anerkennen. Aus diesem Grund wollen sie sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass Fleisch von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, entsprechend gekennzeichnet werden muss. Sollte diese Pflicht tatsächlich eingeführt werden, wären vermutlich viele Verbraucher überrascht: Denn ein beachtlicher Teil des Fleisches, das sie bislang bedenkenlos verzehren, müsste dann gekennzeichnet werden. Daniela Kuhr