Neue Regierung in Ägypten:Kabinett auf Abruf

Ägyptens Premier Kandil hat seine Regierung vorgestellt. Anders als viele befürchteten, sind nur wenige Minister Islamisten. Doch bereits in wenigen Monaten könnte es Neuwahlen geben.

Sonja Zekri, Kairo

Ägyptens neuer Regierung gehören nur wenige Islamisten an und kein Vertreter der radikalislamistischen Salafisten, allerdings auch keine Liberalen oder Vertreter der Jugendbewegungen. Sechs Minister, die bereits unter dem herrschenden Militärrat eingesetzt wurden, bleiben im Amt. Dies wurde deutlich, als Premierminister Hischam Kandil am Donnerstag sein 35-köpfiges Kabinett vorstellte. Entgegen anderslautenden Gerüchten behält Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, der Vorsitzende des herrschenden Militärrates, das Amt des Verteidigungsministers. Ägyptische Medien hatten spekuliert, er könnte Vizepräsident werden.

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Premierminister Hischam Kandil stellte am Donnerstag sein 35-köpfiges Kabinett vor.

(Foto: dpa)

Auch Außenminister Kamel Amr und Finanzminister Mumtas al-Said bleiben auf ihren Posten, ebenso wie Forschungsministerin Nadia Sachari, eine von zwei Frauen und die einzige Christin im Kabinett. Der Posten des Vizepremiers für Wirtschaftsfragen bleibe unbesetzt, erklärte Kandil, da man sich nicht auf eine Person habe einigen können, die die verschiedenen Akteure zusammenbringt. "Die Zeit der unkoordinierten Entscheidungen ist vorbei", sagte Kandil vor Journalisten in Kairo: "Vorrang hat nun die gemeinsame Anstrengung und Koordination." Zuvor hatte er gesagt, sein Kabinett werde die Werte der Revolution vom 25. Januar 2011 hochhalten.

Anders als liberale Ägypter befürchtet hatten, gehören nur wenige Minister den islamistischen Muslimbrüdern an, die im Parlament die Mehrheit haben und denen bis vor kurzem auch Präsident Mohammed Mursi angehörte. Mostafa Mosaad wird Bildungsminister, Tarek Wafiq Wohnungsbauminister und Osama Jassin Jugendminister. Alle drei waren in der Muslimbruder-Partei Freiheit und Gerechtigkeit für die entsprechenden Themen zuständig. Den einflussreichen Posten des Informationsministers bekommt der Muslimbruder Salah el-Din Maksud.

Auf die Besetzung der zentralen Ministerien wie Verteidigung, Inneres und Finanzen verzichteten die Muslimbrüder hingegen. Neuer Innenminister wird Ahmad Gamal-Eddin, der Direktor für öffentliche Sicherheit im Innenministerium - ein Mann der Mubarak-Zeit, der offenbar das Vertrauen der Muslimbrüder gewonnen hatte. Bei der Besetzung des Ministeriums für religiöse Stiftungen kam es offenbar in letzter Sekunde zu einem Umdenken: Nach Protesten verzichtete Kandil darauf, den Posten mit dem Salafistenprediger Mohammed Jussri zu besetzen und entschied sich für Osama el-Abd, einen Gelehrten der Azhar-Universität. Die salafistische Licht-Partei wiederum erklärte, Kandil habe ihnen lediglich das Umweltressort angeboten. Dies aber habe man abgelehnt. Ahmed Mekki, ein renommierter unabhängiger Richter, soll Justizminister werden.

Neues Ministerium wegen Kritik aus dem Volk

Angesichts wachsender Infrastrukturprobleme schuf Qandil zudem ein Ministerium für Wasser, Abwasser und kommunale Versorgung, das der Gouverneur von Kairo, Abdel-Qawi Chalifa übernahm. Erboste Ägypter haben aus Ärger über die schlechte Gesundheitsversorgung zuletzt Krankenhäuser angegriffen. Stromausfälle im Fastenmonat Ramadan bei Temperaturen von mehr als 40 Grad haben die Menschen zu Protesten auf die Straße gebracht. Vor dem Präsidentenpalast im eleganten Kairoer Viertel Heliopolis demonstrieren täglich Hunderte. Die Spannung wächst: Bei Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen - offenbar wegen eines verbrannten T-Shirts - wurden in Gizeh mehrere Menschen verletzt.

Die einflussreiche Ministerin für internationale Zusammenarbeit, Faisa Abul-Naga, muss nach mehr als zehn Jahren im Amt gehen. Sie galt als treibende Kraft hinter den Anklagen gegen westliche Nichtregierungsorganisationen, in deren Folge beispielsweise die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Arbeit einstellte. Neuer Tourismusminister wird Hischam Sasou, nachdem der Kopte Munir Fakri Abdel Nur sich zurückzog. Sportminister wird der prominente Fußballmanager Alaa Abdel-Sadek.

Politische Gegner reagieren skeptisch

Anders als im Parlament, wo die Muslimbrüder die Vorsitze der Ausschüsse fast ausschließlich mit Islamisten besetzten, hielten sich die Muslimbrüder diesmal zurück. Dennoch reagierten die politischen Gegner skeptisch. Mursi war kritisiert worden, weil er sich mit der Ernennung eines Premierministers Zeit gelassen hatte. Premier Hischam Kandil wiederum hatte ähnliche Schwierigkeiten. Viele Ägypter kritisieren, dass Wochen verschwendet wurden ohne politischen Fortschritt. Die liberale Gerechtigkeit-Partei bemängelte, das Kabinett zeige eine klare Neigung zugunsten islamistischer Strömungen. Es bestehe Grund zu der Befürchtung, dass "das Führungsbüro der Muslimbrüder den neuen Premierminister und die Ernennung des Kabinetts beeinflusst".

Andere vermuten, dass die Zurückhaltung der Muslimbrüder nur taktische Gründe hat. In der Tat hatte ein hochrangiger Funktionär der Freiheit und Gerechtigkeit-Partei unlängst erläutert, die Muslimbrüder gingen von der Annahme einer Verfassung im Herbst aus - mit darauffolgenden Neuwahlen. Ende des Jahres könnte Ägypten demnach schon wieder eine neue Regierung erhalten.

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