Süddeutsche Zeitung

Neue Rechte:Am Anfang war Sarrazin

Lesezeit: 3 min

Rezension von Rudolf Walther

Christian Fuchs und Paul Middelhoff, Investigativ-Reporter der Zeit, belegen in ihrem Buch, in welchem Ausmaß rechte und rechtsradikale Parteien und Bewegungen und ihre publizistischen Helfer in der Bundesrepublik die politische und mediale Agenda bestimmen. In stiller Kooperation mit der konservativen Presse ist es den neuen Rechten in den vergangenen fünf Jahren gelungen, alle anderen politischen Probleme außer Migration und Asyl aus der Debatte ganz oder teilweise herauszuhalten. Migration und Asyl sind so zu den alles überragenden Themen buchstäblich hochgeschrieben und -gesendet worden.

Am Anfang der Erfolgswelle der Rechten stand der Bestseller Thilo Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" (2010) mit einer Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren. Das räumt selbst Götz Kubitschek, ein medialer Tausendsassa der Rechten, ein: Sarrazin hat "unsere Themen nach oben gezogen". Das gilt über die rechten Publikationen und Bewegungen hinaus bis weit ins konservative Lager hinein, das sich Migration und Asyl ebenfalls zur vermeintlich wichtigsten Frage zurechtlegte.

Obwohl es zwischen alten Neonazis und neuen Rechten eine Vielzahl von thematischen Beziehungen und personellen Verbindungen gibt, ist eine Unterscheidung richtig und wichtig. Während alte Rechte und Neonazis das "Rassenproblem" als Dreh- und Angelpunkt ihrer politischen Ideologie betrachteten, orientieren sich neue Rechte an den Begriffen "Fremdheit" und "Identität" beim erneuten Durchdeklinieren und Propagieren der ganz alten Überzeugungen von der "natürlichen Ungleichheit" zwischen Menschen und Geschlechtern, dem nicht zu beseitigenden "Gefälle zwischen den Kulturen", der Abwertung von Islam und repräsentativer Demokratie sowie einer ethnopluralistisch ausgrenzenden Raumideologie als Ersatz für einen universalistisch-integrativen Multikulturalismus.

In dieser christlich-jüdisch, abendländisch-ethnozentrisch, männlich-autoritär und wohlstands-chauvinistisch verkürzten Weltsicht erscheint der Rechtsstaat als Luxus und die pluralistische Demokratie als Diktatur. Kein Wunder, dass etwa Roland Tichy und Henrik M. Broder sich von dem Buch angesprochen fühlen und die Autoren der Denunziation bezichtigten; andere drohten gleich mit juristischen Mitteln, wie der Verlag meldet.

Die Journalisten sind tief eingestiegen ins Milieu - manch einer droht nun mit dem Anwalt

Die Analyse der beiden Journalisten verdeutlicht, dass es völlig irrig ist, sich die neue Rechte als monolithischen Block vorzustellen. Das gilt zwar für einige der eben erwähnten ganz alten Grundüberzeugungen, aber keinesfalls für die neurechte Szene, ihre Bewegungen und Publikationen. Die Publikationen, Politikstile und Praktiken von zwei herausragenden Exponenten der neuen Rechten - Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek - belegen das. Kubitscheks Antaios-Verlag, seine Zeitschrift Sezession sowie die Tagungen und Seminare in seinem "Institut für Staatspolitik" wenden sich an das akademisch gebildete, Bücher lesende Publikum.

Dagegen hat Jürgen Elsässers auf Krawall gebürstete, boulevardisierte Agitationspostille Compact nach eigener Auskunft eher "Friseusen" als Kundinnen im Blick. Es gibt unter neuen Rechten eine Arbeitsteilung wie in der AfD zwischen dem Auftreten und den intellektuellen Ansprüchen des Führungsduos Alice Weidel / Alexander Gauland und den Demagogen um Björn Höcke sowie Pegida, die die Menschen mobilisieren, und der AfD, die deren Wählerstimmen kassiert.

Es gibt zwar so etwas wie einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der die Kooperation von AfD und Pegida beziehungsweise Neonazis unterbinden soll. Aber wie sich zuletzt in Chemnitz zeigte, demonstrieren Lutz Bachmann von Pegida und Björn Höcke vom "Flügel" der AfD ganz ungeniert zusammen mit Neonazis, NPD-Leuten und anderen Rechtsradikalen. Und sie erhalten dabei auch noch solidarische Unterstützung von der "Gemeinsamen Erklärung 2018", die unter anderem von den ehemaligen CDU-Abgeordneten Vera Lengsfeld und Martin Hohmann mitunterzeichnet wurde.

Ärgerlich ist der in der Journalistenschulen-Prosa gehaltene Sprachgestus

Fuchs und Middelhoff tragen eine zuweilen etwas unübersichtliche Fülle von Informationen zusammen über die politische Herkunft und Orientierung sowie die vielfältigen nationalen und internationalen Verbindungen von Exponenten der neuen Rechten. Viele stammen aus den deutschnationalen Burschenschaften und stehen mittlerweile als wissenschaftliche Mitarbeiter, Wahlkreisbüroleiter und Berater in Lohn und Brot der 91-köpfigen AfD-Bundestagsfraktion, die sich als Hauptarbeitgeber der neuen Rechten profiliert, fast keine politischen Berührungsängste hat und auch ehemalige NPD-Funktionäre einstellt.

Trotz unbestreitbarer Verdienste um die Aufklärung über das Netz der neuen Rechten weist das Buch Schwächen auf, die formaler Natur sind, aber den Leser langweilen und den Gebrauchswert der Analysen mindern. Der dokumentarische Anspruch des Buches verböte es, dass die Autoren zwar viele wörtliche Zitate anführen, aber auf präzise bibliografische Nachweise verzichten. Ärgerlich ist der in der mittlerweile landläufigen Journalistenschulen-Prosa gehaltene Sprachgestus der Autoren. Fast jedes Kapitel beginnt mit einer Storytelling-Passage mit Salven von Hauptsätzen ohne inhaltlichen Belang: "Die Göpelskuppe im Osten von Eisenach. Heroisch thront das Burschenschaftsdenkmal auf dem Berg über dem Talkessel der thüringischen Stadt". Eine Vorliebe pflegen die beiden Autoren außerdem für das vermeintlich Unmittelbarkeit und Augenzeugenschaft verbürgende historische Präsens und das ohne Verben auskommende, meistens Personen markierende Stakkato "rasender Reporter" ("stahlblaue Augen, kurzgehaltenes Haar"; "Schnurrbart, Pomade im Haar"). Derlei Mätzchen beeindrucken niemanden.

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Quelle:
SZ vom 25.03.2019
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