Süddeutsche Zeitung

Neue politische Geschäftsführerin Nocun:Alles außer Drama

Sie tritt ein schweres Erbe an: Katharina Nocun folgt Johannes Ponader als politische Geschäftsführerin der Piraten. Interne Streitereien und Skandale haben die Partei die Sympathie der Wähler gekostet. Nun muss dem Vorstand die Wende gelingen.

Von Hannah Beitzer, Neumarkt in der Oberpfalz

Der erste Weisband-Vergleich kam schon, im Dezember 2012. Damals kandidierte Katharina Nocun gerade für den niedersächsischen Landtag. Politischer Geschäftsführer war Johannes Ponader - mit bekanntem Ausgang: Der Vorstand schlug sich gegenseitig die Köpfe ein, die Niedersachsen-Wahl ging verloren. Katharina Nocun wurde keine Landtagsabgeordnete, Ponader trat zurück.

Nun wurde Nocun auf dem Bundesparteitag der Piraten in Neumarkt in der Oberpfalz mit überwältigender Mehrheit zur neuen politischen Geschäftsführerin der Piraten und Nachfolgerin Ponaders gewählt.

"Ich bin hochgradig motiviert - denn ich kandidiere auch für den Bundestag", rief sie den Piraten in ihrer Bewerbungsrede zu. Ein deutlicher Seitenhieb auf Parteichef Bernd Schlömer, der in einem Interview mit der taz gesagt haben soll, den Piraten fehle es an Kraft und Motivation. Beifall und begeisterte Pfiffe hallten durch den Saal. Auf Twitter überschlugen sich die sonst so kritischen Piraten mit Lob.

Da lag der Vergleich mit Marina Weisband nahe: Sie wurde als politische Geschäftsführerin auf dem Höhepunkt des Piraten-Hypes zum Medienstar. Und entschloss sich 2012 überraschend, nicht mehr für ihr Amt zu kandidieren. Es folgte Johannes Ponader - und mit ihm der Absturz. Nun fühlen sich viele an Weisband erinnert - kann Nocun das neue Gesicht der Piraten werden?

Als Dank für die positiven Reaktionen gab sich Nocun kämpferisch: "Ich möchte nie wieder von irgendjemandem in der Piratenpartei hören, dass wir den Bundestag nicht wuppen", ruft sie ins Mikrofon. "Wir werden uns verdammt noch mal den Arsch aufreißen, um die anderen anzugreifen!" Und weiter: "Ich möchte sehen, wie wir die anderen vor uns herkeilen - denn sie haben es gottverdammt nochmal verdient."

Im Moment haben "die anderen" allerdings wenig Grund, sich zu fürchten. Die Partei dümpelt in Umfragen zuverlässig unter der Fünf-Prozent-Hürde herum. Interne Streitereien, das Hin und Her um Johannes Ponader und verbale Aussetzer diverser Mitglieder und Chefpiraten haben der Partei tatsächlich viel Kraft geraubt. Sie - die lange als frische und kreative Strömung im ollen Politikbetrieb galten - wirkten zuletzt missmutig, unsympathisch und chaotisch.

Viele gaben Ponader die Schuld daran. Nocun kommt dennoch kein schlechtes Wort über ihren Vorgänger über die Lippen. Sie habe "Respekt" für seine Leistung - so habe er zum Beispiel eingeführt, dass es in der Partei Themenbeauftragte für den Wahlkampf gebe. Mehrere Kollegen hakten nach: Wirklich? Nur Lob? Sie sagt: "Johannes hatte seine Amtszeit in einer Periode, die sehr schwierig war." Mehr kommt nicht an Kritik. Sehr diplomatisch - viele Piraten sehen das anders.

"Meine Generation hat keine Lobby"

Nocun bekam das Misstrauen der Wähler schon selbst zu spüren. Schließlich war im Januar der Einzug in den niedersächsischen Landtag gescheitert. Die neue politische Geschäftsführerin übt sich in Selbstkritik: "Viele Menschen wissen nicht so genau, wofür die Piraten stehen."

Sie will das ändern - mit Hilfe der Themenbeauftragten, die die Partei für den Bundestagswahlkampf bestimmt hat. Erst am gestrigen Donnerstag veröffentlichte Katharina Nocun außerdem einen Gastbeitrag auf Zeit Online. Darin beklagt sie: "Meine Generation hat keine Lobby" - und listet viel auf, was ihrer Meinung nach falsch läuft in Deutschland: Umweltverschmutzung, Schuldenkrise, ein schwächelnder Sozialstaat, ein marodes Rentensystem. Sie beschreibt die Perspektivlosigkeit der jungen Generation, die zwischen unbezahlten Praktika und Zeitverträgen festhänge und so um die versprochenen Möglichkeiten betrogen werde.

Auf Zeit Online präsentiert sich Nocun deutlich weniger kämpferisch als in Neumarkt. Es ist ein eindrücklicher, aber auch erstaunlich pessimistischer Text - fast möchte man sagen: weinerlich. Wie genau sich die Piraten ein gerechteres Deutschland vorstellen, wird darin nicht klar. Auf dem Bundesparteitag konkretisiert die politische Geschäftsführerin nur zaghaft: Die Piraten wünschten sich ein Rentensystem, in das Angestellte, Beamte und Selbstständige gleichermaßen einzahlten.

Überhaupt scheint es, als ob sie weniger inhaltliche als organisatorische Akzente setzen möchte. Ihre Meinung zur ständigen Mitgliederversammlung (SMV), einem ewigen Streitthema der Piraten? Spielt keine Rolle. "Ich vertraue darauf, dass die Mitglieder eine gute Entscheidung fällen werden." Dabei ist es kein Geheimnis, dass Katharina Nocun als überzeugte Datenschützerin der SMV eigentlich kritisch gegenübersteht. Sie will sich aber, das wird deutlich, lieber um den internen Zusammenhalt kümmern und die Kandidaten nach vorne stellen: "Wir zeigen so, dass wir eine vielfältige Partei sind."

Immerhin: Das sind Sätze, die ganz bestimmt keine Shitstorms provozieren. Das hat sie ihrem Vorgänger wohl voraus.

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