Süddeutsche Zeitung

Neue Parteichefin:Nahles muss der SPD die Hasenfüßigkeit austreiben

Die neue Vorsitzende steht mit dem Rücken zur Wand. Die enttäuschte SPD-Basis wird streng darauf achten, ob sie sich fundamentalen politischen Fragen stellt - und das Versprechen erfüllt, die Partei aus dem Tief zu führen.

Kommentar von Ferdos Forudastan

Wenn für Andrea Nahles das gilt, was Gerhard Schröder immer von sich behauptet hat, dann kann die neue SPD-Vorsitzende ziemlich zuversichtlich in die nächsten Monate und Jahre gehen: Er kämpfe mit dem Rücken zur Wand am besten, hat der frühere SPD-Chef und Bundeskanzler immer gesagt. Mit dem Rücken zur Wand steht derzeit auch Nahles. Und das spiegelt sich längst nicht nur in ihrem sehr schwachen Wahlergebnis beim Parteitag am Sonntag wider. Da sind außerdem die Umfragen, bei denen die SPD seit Monaten deutlich unter 20 Prozent dahindümpelt. Da ist eine in Teilen von der Parteispitze schwer enttäuschte Basis; sie wird sehr streng darauf achten, ob die neue Chefin das große Versprechen erfüllt, die Partei aus dem Tief zu führen. Und da sind schwierige politische Fragen, die bisher einer Antwort gerade der Sozialdemokraten harren.

Mit Nahles muss die Partei eine ganz andere Performance hinlegen als bisher

Abstand zur Wand dicht hinter ihr wird Andrea Nahles nur gewinnen, wenn sie und weitere Spitzengenossen sich neu aufstellen. Dazu gehört eine ganz andere Performance als in den ersten Wochen der großen Koalition: nicht so halbherzig, nicht so hasenfüßig; sondern selbstbewusst und da, wo es angezeigt ist, auch siegesgewiss.

Provokationen wie die von Gesundheitsminister Jens Spahn, CDU, der bezweifelt hatte, dass es Armut gibt, oder von Horst Seehofer, CSU, der immer wieder gegen den Islam stichelt, müssten die Sozialdemokraten künftig viel schneller und härter kontern als bisher. Dass der SPD-Vorstand im Streit um das sogenannte Werbeverbot im §219 a des Strafgesetzbuchs nun den Druck auf die Union erhöht, ist gut - und hätte schon vor Wochen geschehen sollen, als die Genossen ohne größere Not aber erst mal vor CDU und CSU einknickten. Für ihren Anteil am prominent platzierten, vollmundig formulierten Kapitel zu Europa im Koalitionsvertrag konnte die SPD sich bis vor Kurzem gar nicht genug selbst loben. Doch als dieser Tage ihr Wort in der Auseinandersetzung um die Reformideen vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron gefragt war, blieben die Sozialdemokraten praktisch stumm. Und dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz sich bemüht hatte, die Debatte um die Reform der Hartz-Gesetze auszutreten, mag CDU und CSU gefallen haben. Seiner Partei und ihrer Erkennbarkeit hat er damit nicht in die Hände gespielt.

Gewiss, da ist der Gesetzentwurf, der die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit erleichtern soll. Da ist die Ankündigung, die Mietpreisbremse nachzubessern. Oder da ist das laute Nachdenken über die Zukunft des Sozialstaats: Mit alledem haben sich einige Spitzengenossen in den vergangenen Wochen bemüht, die eigenständige Rolle der SPD in dem schwarz-roten Bündnis zu unterstreichen. Aber so kantig und konfliktbereit, wie sie sich vor dem Mitgliedervotum über den Eintritt in die große Koalition gegeben hatten, ist der Auftritt der meisten führenden SPD-Politiker bisher keineswegs. Ändert sich daran nichts, wird es die neue Parteichefin schwer haben, an der Basis Boden gutzumachen - und bei den Wählern sowieso.

Ob es der SPD gelingt, ihr Profil so zu schärfen, dass der Zuspruch für sie irgendwann mal wieder spürbar steigt, hängt freilich nicht nur von Nahles und den Frauen und Männern an der Parteispitze ab. Sie sind es zwar, die der programmatischen Erneuerung einen Rahmen geben. Ausfüllen müssen ihn aber auch andere Sozialdemokraten - und zwar solche mit wie ohne Ämter und Mandate: Genossen in Regierungsverantwortung, die tagtäglich Kompromisse zu schließen haben, ebenso wie SPD-Mitglieder in Gewerkschaften, Verbänden oder Bürgerinitiativen, die keine Rücksicht auf Koalitionspartner zu nehmen brauchen; Sozialdemokraten, die überzeugt sind, dass der Gang in die große Koalition unerlässlich war, wie solche, die ihn für einen großen Fehler gehalten haben; SPD-Politiker, die jahrzehntelange Erfahrung einbringen, und Sozialdemokraten die erst seit kurzem dabei sind.

Ganz gleich allerdings, wie geschickt die SPD ihre überfällige Erneuerung organisatorisch und personell angeht: Sie wird sich fundamentalen Fragen viel beherzter stellen müssen als in den vergangenen Jahren. So wird es nicht reichen, dass sie nur über weitere Korrekturen an Hartz IV diskutiert. Sie muss sich damit auseinandersetzen, was ihre Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit in praktische Politik umgesetzt bedeuten würde. Es wird nicht reichen, dass die SPD ständig wiederholt, wie sehr die Digitalisierung unser Leben verändert. Sie muss den Menschen vermitteln, was das konkret heißt, welche Konsequenzen es nach sich zieht und wie man Verwerfungen entgegenzusteuern gedenkt. Das alles sind unbequeme Fragen, die auch und gerade für die Sozialdemokraten manche unbequemen Antworten nach sich ziehen werden. Besser als mit dem Rücken zur Wand zu stehen ist es aber allemal.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3948898
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.04.2018/mane
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.