Süddeutsche Zeitung

Neue Medizinistudie:Gute Zähne, schwacher IQ

Schädigt zu viel Fluorid Babys im Mutterleib?

Von Christina Berndt

Kinder behalten ja vieles im Mund, was dem ausgewachsenen Homo sapiens ein Graus ist. Neuerdings gehört auch gut aufgeschäumte und durchgegurgelte Zahnpasta dazu. Ausspucken, aber nicht ausspülen, so lautet der Rat, den Zahnärzte Kindergartenkindern geben und bei dessen Vernehmen Eltern meist erst mal schlucken müssen. Der Hintergrund: Das Fluorid aus der Zahnpasta soll länger auf die Zähne wirken und sie so besser vor Karies schützen.

Fluorid in Maßen stärkt die Zähne und Knochen, das ist Konsens. Die staatlichen amerikanischen Centers for Disease Control zählen die Fluoridierung von Trinkwasser oder ersatzweise von Zahnpasta und Speisesalz sogar zu den zehn größten Errungenschaften, die es im 20. Jahrhundert für die öffentliche Gesundheit gegeben hat. Doch bei aller Begeisterung gibt es abseits der Zahnmedizin immer wieder bohrende Zweifel am Fluorid, denn für andere wichtige Körperteile ist das Mineral womöglich nicht gerade förderlich. Soeben hat die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) auf die nervenschädigende Wirkung von Fluorid hingewiesen. Wenn Ungeborene im Mutterleib größere Mengen davon abbekommen, könne das ihrer Intelligenz schaden, warnt die DGE.

Anlass für die Meldung ist eine Studie aus Mexiko: Die mit Mitteln der US-Regierung finanzierte und von der Harvard-Universität initiierte "Element"-Studie an 1000 Schwangeren geht seit Jahrzehnten der Frage nach, wie sich Substanzen aus der Umwelt auf Neugeborene auswirken. Die Forscher haben sich schon Quecksilber, Blei und Weichmacher vorgenommen, nun war Fluorid dran.

Das Ergebnis lässt aufhorchen: Kinder, die im Mutterleib höheren Fluorid-Konzentrationen ausgesetzt waren, hatten im Schulalter einen auffällig niedrigen Intelligenzquotienten. Das galt auch noch, wenn Geburtsgewicht sowie Alter, Ausbildung und IQ der Mutter herausgerechnet wurden. Zwischen den niedrigsten und den höchsten Fluorid-Spiegeln (die aber nicht außergewöhnlich hoch waren) lagen sechs IQ-Punkte. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher IQ bei 100 liegt und der Wert 85 schon eine Lernbehinderung bedeutet.

"Die Versorgung mit Fluorid ist an sich eine Erfolgsstory", sagt Morteza Bashash, Professor an der Universität von Toronto und Erstautor der Studie. "Aber unsere Ergebnisse zeigen doch, wie nötig es ist, den Nutzen von Fluorid seinen potenziellen Risiken gegenüberzustellen und diese weiter zu erforschen." Vorsicht hält auch der Bochumer Endokrinologie-Professor Helmut Schatz für angebracht: "Es gibt seit Längerem Hinweise für eine Neurotoxizität von Fluoriden bei Kindern." Schatz hat die Studie für die DGE geprüft. Die aktuelle Untersuchung sei besonders valide. Von Fluorid im Trinkwasser oder im Salz, wie dies in manchen Ländern verpflichtend ist, rät er deshalb ab.

Auf Fluorid in der Zahnpasta sollte man trotzdem nicht verzichten, betont Stefan Zimmer, Professor für Zahnerhaltung an der Universität Witten/Herdecke - auch nicht in der Schwangerschaft. "Die daraus aufgenommenen Mengen sind so gering, dass sie unbedenklich sind." Man kann auch ruhig das Ausspülen lassen. Es muss ja nicht gleich Runterschlucken sein.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2017
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