Neue Führung in China:Xi wer?

Es ist der wichtigste politische Moment der letzten zehn Jahre: Die Kommunistische Partei hat getagt, der neue Generalsekretär, Xi Jinping, steht fest. Doch das chinesische Volk interessiert sich kaum dafür. Kein Wunder: Die Partei hat dem Volk außer Floskeln nichts zu sagen.

Kai Strittmatter, Peking

Xi Jinping Replaces Hu Jintao as China Communist Party Chief

Freundliches Desinteresse: Chinesische Pendler achten in der Pekinger U-Bahn nicht auf ihren neuen Führer, Xi Jinping.

(Foto: Bloomberg)

Der Parteitag der Kommunistischen Partei ist zu Ende. Woran man das erkennt? Die Volkszeitung erscheint mit einer ganz in rot gedruckten Titelseite und freut sich auf eine "noch glücklichere Zukunft". Der Himmel über Peking kippt nach acht wundersam tiefblauen Tagen wieder ins gewohnt Gelb-Braune. Das Internet wird wieder schneller.

Journalisten in China haben sich ans Zeichenlesen gewöhnt. Das klappt mal besser und mal schlechter. Am Donnerstagmorgen mussten die Reporter in der Großen Halle des Volkes fast eine Stunde warten, bis sich ihnen die neuen Mächtigsten Chinas endlich zu erkennen gaben. In ihrer Verzweiflung zählten einige die Klebemarker auf dem Boden der Bühne vor ihnen, um erraten zu können, ob der neue Zirkel der Macht nun sieben oder neun Mitglieder hat. "Neun?", twitterte der Mann der Financial Times.

"Wie armselig wir sind", tippte ein anderer in sein Smartphone, "zählen schwarze Flecken auf dem Boden, um ein Fitzelchen Information zu bekommen." Sie zählten auch noch falsch, es kamen dann sieben neue Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros. Sieben statt wie bislang neun, in Zukunft soll es dadurch weniger Blockaden geben in dem Gremium, das im Kollektiv über Chinas Schicksal entscheidet. Als Nummer eins, das wenigstens war - seit fünf Jahren - erwartet worden, marschierte tatsächlich Xi Jinping voraus.

Xi enttäuschte nicht. Kaum Neues sagte der 59-Jährige, aber der Kontrast zu seinem Vorgänger war stark, das reichte vielen für den Anfang. Hu Jintao, der soeben abgelöste Generalsekretär der KP, war ein Bilderbuch-Apparatschik: Vor Publikum stand er meist steif und roboterhaft, fühlte sich sichtlich unwohl. Xi Jinping brauchte nur zu lächeln, sich für die Verspätung entschuldigen und mit sonorer Stimme seine Versprechen ans Volk vortragen, da hatte er schon einen Sympathiebonus. "Der große Boss spricht wenigstens wie ein menschliches Wesen", schrieb der Journalist Gong Xiaoyue auf dem Mikrobloggingdienst Tencent Weibo. "Zum Rest sage ich nichts."

Viel gab es da auch nicht zu sagen. "Die Partei hat sich dem Dienst am Volk verschrieben." - "Wir werden uns nicht ausruhen auf unseren Erfolgen." - "Wir müssen viele drängende Probleme lösen, vor allem die Korruption vieler Funktionäre." Das alles hat man von den Vorgängern auch schon gehört, ohne dass den Worten je Taten gefolgt wären. Immerhin: Während Hu sich gerne in mäandernden Satzmonstern zwischen den "wichtigen Ideen der drei Vertretungen" und dem "wissenschaftlichen Ausblick auf die Entwicklung" verlor, verzichtete der Neue komplett auf solch ideologische Satzbausteine und brachte lieber noch ein paar Mal "das Volk" und dessen "Sehnsucht nach einem glücklichen Leben" unter.

Das Interesse im Volk seinerseits an diesem wichtigsten politischen Moment der vergangenen zehn Jahre für China war eher mager. Kaum einer blieb stehen vor den großen Videowänden der Kaufhäuser, die live übertrugen. In einer kleinen Nudelküche in der Oststadt schaute gar keiner hin, als die Nachrichten im Fernseher an der Wand dem Volk seine neuen Regenten vorstellte. "Ich hab die nicht gewählt", sagte einer der Gäste: "Die meisten kenne ich nicht mal." "Mir gefällt Li Keqiang ja besser als Xi", meinte eine ältere Frau, als die neue Nummer zwei auftauchte. Und warum? "Der hat lebendigere Augen." Wirtschaftsfachmann Li Keqiang soll im März Premier werden.

Wird Xi mit seinen Genossen auskommen?

Eine Schar von China-Experten und Denkfabrikköpfen gab sich dann den Rest des Tages reichlich Mühe, über die Augenanalyse hinaus Hinweise auf die Qualitäten der Neuen zu finden. Über eines waren sich alle einig: Der abgetretene Hu Jintao ist der große Verlierer. Nicht nur konnte er kaum einen seiner Gefolgsleute im neuen Machtzentrum unterbringen, er trat auch noch am Donnerstag zurück als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) - neben dem Parteivorsitz ist das der entscheidende Posten in China. "Die Macht kommt aus dem Lauf der Gewehre", hat Mao Zedong einmal gesagt. Und weil das so ist, befehligt bis heute die KP, nicht der Staat, die chinesische Armee. Dass Xi Jinping von Anfang an die ZMK anführen darf, gilt als guter Start für ihn.

Und doch ist er erst einmal nur Erster unter Gleichen, er muss sich arrangieren. Zum einen mit einer Schar von Parteiälteren, allen voran dem 84-jährigen Jiang Zemin, der im vergangenen Jahr von einigen schon voreilig für todkrank erklärt worden war, dann aber in diesem Jahr eine wundersame Auferstehung als Strippenzieher Nummer eins erlebte.

Vor allem aber muss Xi mit seinen sechs Genossen im Ständigen Ausschuss auskommen. Wieder ist keine Frau dabei, das überraschte keinen. Dass es aber weder Wang Yang, Parteichef von Guangdong, noch Organisationschef Li Yuanchao schafften, das enttäuschte viele: Die beiden haben einen Ruf als Reformer. Der bei westlichen Wirtschaftsfachleuten und Politikern beliebte Finanzreformer Wang Qishan schaffte es auf Platz sechs. Er wurde aber zum Chef der Disziplinarkommission berufen, ist nun also Chinas oberster Korruptionsbekämpfer, eine zwar enorm wichtige Aufgabe - aber in den Augen vieler eine Vergeudung der Talente Wangs, zu einer Zeit, da Chinas Wirtschaft dringend neu strukturiert werden muss.

Dafür sitzt auf Platz drei der Jiang-Zemin-Protegé Zhang Dejiang, der einst Ökonomie an der Kim-Il-Sung-Universität in Nordkorea studierte. Ebenso im Team zum Schrecken vieler Liberaler: der knallharte Ideologe Liu Yunshan, der bislang die Propagandaabteilung der KP leitete und als solcher die Schrauben bei der Zensur stark anzog, während er gleichzeitig viel Geld in die Expansion chinesischer Propagandamedien im Ausland steckte.

Kritiker auch innerhalb der Partei mahnen seit Monaten, das Land brauche dringend Reformen, wenn das Wirtschaftswunder nicht gegen die Wand fahren soll. Yang Jisheng, Autor des tabubrechenden Buches "Grabstein" über Maos mörderischen Großen Sprung nach Vorne und selbst kritisches Parteimitglied, versuchte am Donnerstag, der Mannschaft das Beste abzugewinnen: "Sie alle sind gut ausgebildet, das ist anders als früher", sagte er der SZ: "Sie alle wissen, wie es unten auf den Dörfern aussieht. Das ist nicht schlecht, wenn sie sich den sozialen Konflikten stellen sollen."

Das Beste, was andere zu sagen hatten, war: Die fünf Mitstreiter von Xi Jinping und Li Keqiang erreichen schon in fünf Jahren die Altersgrenze und scheiden dann aus. Ansonsten herrschte viel Ratlosigkeit bei der Suche nach Antworten auf die Frage, ob das nun die Sieben sind, die Chinas an vielen Fronten bedrohte Entwicklung nun zukunftsfest machen und das akute Gefühl der sozialen und politischen Krise im Land vertreiben können. "Viel wird von Xi und seiner Führung abhängen", sagte einer.

Am Ende blieb es der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua vorbehalten, Stimmen aufzutreiben, die nichts als "rosige Aussichten für China" prophezeien. Unter dem Titel "Die internationale Gemeinschaft preist den Parteikongress", zitiert Xinhua als obersten Kronzeugen "Thaba Moyo, Bürgermeister von Bulawayo, der zweitgrößten Stadt Simbabwes". Thaba Moyo also ist sich sicher: "Dieser Kongress hat einen realistischen und durchführbaren Plan für China entwickelt, damit es im Jahr 2020 eine allgemein wohlhabende Gesellschaft ist."

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