Neue Fraktionsspitze der FDP:Brüderles Bollwerk

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An den Hebeln der Macht sitzen in der FDP-Fraktion fast nur Männer aus dem wirtschaftsliberalen Flügel. Eine Neuausrichtung ist mit ihnen nicht zu machen. Dafür sorgt der Fraktionsvize mit einem Vorstoß zu Westerwelles Zukunft für neuen Unmut.

Thorsten Denkler, Berlin

Ausgerechnet Martin Lindner. Ausgerechnet der ist jetzt eines der Aushängeschilder der FDP-Bundestagsfraktion. Der Namensvetter von FDP-Generalsekretär Christian Lindner ist so ziemlich der Prototyp des gewissenlosen Neoliberalen. In der Fraktion kursiert für ihn ein bezeichnender Spitzname: Martin "Eure Armut kotzt mich an" Lindner.

Der neue FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hat vielen Mitgliedern aus dem mächtigen Schaumburger Kreis zu einflussreichen Posten verholfen. (Foto: dpa)

Wenn die FDP klug beraten wäre, würde sie den eher irgendwo verstecken. Manche halten schon seine Daueranwesenheit in den Talkshowstudios der Republik für parteischädigendes Verhalten.

Doch die FDP ist selten gut beraten und Lindner mit seinen zurückgegelten Haaren und Sprüchen, die einem Thilo Sarrazin in nichts nachstehen, ist gut vernetzt. Bei den gestrigen Wahlen zum neuen Fraktionsvorstand hatte er zwei entscheidende Vorteile: Er ist ein Mann. Und er gehört dem mächtigen Schaumburger Kreis an.

Das reichte wohl, um stellvertretender Fraktionsvorsitzender zu werden. Lindner hat sich am gestrigen Dienstag überraschend gegen die bayerische FDP-Generalsekretärin Miriam Gruß durchgesetzt. Im ersten Wahlgang lag die bisherige Fraktionsvize Gruß noch mit zwei Stimmen vor Lindner - im zweiten Wahlgang hatte er dann vier Stimmen mehr.

Das war ein Kampf Mann gegen Frau, sozial- gegen wirtschaftsliberal.

Gruß hatte jedoch in den vergangenen Wochen Fehler gemacht. Unter anderem hat sie die bisherige Fraktionschefin Birgit Homburger öfter mal frontal und öffentlich angegriffen. Es gab zwar nur wenige Liberale, die Gruß' Kritik an Homburger nicht teilen. Für ihre Offenheit aber ist die Bayerin jetzt genauso abgestraft worden wie Jürgen Koppelin, der FDP-Landeschef von Schleswig-Holstein.

Koppelin hatte in einem Papier gefordert, den Fraktionsvorstand bereits im Mai und nicht erst im Herbst zu wählen, um die Personaldebatten um Homburger endlich zu beenden. Die Idee fanden alle gut, letztlich ist es auch so gekommen. Fraktionsvize aber durfte auch er nicht bleiben. In einer Kampfabstimmung unterlag er Volker Wissing, dem neuen FDP-Chef in Rheinland-Pfalz und - natürlich - Schaumburger.

Der Schaumburger Kreis ist eine der mächtigsten Gruppen in der Fraktion - von Männern dominiert und hart wirtschaftsliberal ausgerichtet. Steuern senken für die Wirtschaft, das ist sein oberstes Gebot. Der bisherige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gehört ebenso dazu wie Hermann Otto Solms, der liberale Pate der Steuerpolitik.

Der Kreis hat einst den Wechsel von Wolfgang Gerhardt zu Guido Westerwelle an der Parteispitze eingeläutet. Und kurz vor Weihnachten lancierten Mitglieder gezielt die Information, Brüderle stünde bereit, Westerwelle zu beerben. Spätestens da musste für Westerwelle klar sein: Die Hütte brennt.

Nach den gestrigen Wahlen ist der Kreis mächtiger denn je: Brüderle an der Spitze der Fraktion und vier weitere Schaumburger unter den sechs Vizes. Heinrich Kolb als erster Stellvertreter, dann Patrick Döring, Volker Wissing und eben Martin Lindner.

Das riecht eher nach feindlicher Übernahme als nach Neuanfang in Harmonie. Brüderle hatte schon vor Wochen klargemacht, dass er einen Linkskurs der FDP nicht mitmachen werde. Mit dem neuen Fraktionsvorstand hat er jetzt praktischerweise ein mächtiges Bollwerk gegen jene errichtet, die die Partei sozialliberal ausrichten wollen. Mitfühlender Liberalismus? Mit diesen Männern eine Utopie.

Nicht allein die Gruppenzugehörigkeit spricht Bände. Sollte die FDP je versucht haben, Frauen zu fördern, ist sie spätestens mit diesen Personalentscheidungen gescheitert. Unter den Stellvertretern ist nur eine Frau zu finden, die Innenpolitikerin Gisela Piltz. Und unter die vier parlamentarischen Geschäftsführer hat es mit Claudia Winterstein auch nur eine Frau geschafft.

Bisher haben auch die FDP-Frauen in der Fraktion eine Quote strikt abgelehnt. Manche aber kommen da ob dieses Ergebnisses ziemlich ins Grübeln.

Das Ganze könnte auch noch ein Nachspiel auf dem Bundesparteitag der FDP in Rostock haben, der am Freitag beginnt. Dort wird ausgebügelt werden müssen, was die Fraktion in Sachen Gleichberechtigung nicht hinbekommen hat. Der designierte Parteichef Philipp Rösler wird sich dafür gezwungen sehen, die Abstimmungen über die Vize-, Präsidiums- und Vorstandsposten in der Partei zu seiner persönlichen Angelegenheit zu machen, wenn es Frauen betrifft. Rösler musste bereits Birgit Homburger versprechen, dass er sie persönlich als seine Stellvertreterin vorstellt. Damit würde ein schlechtes Ergebnis für die 46-Jährige automatisch auch Rösler treffen.

Auch für Westerwelle könnte der Parteitag noch eine Überraschung bergen. Der Landesverband Berlin plant offenbar einen Antrag zur Zukunft Westerwelles als Außenminister zur Abstimmung zu stellen. Der frisch gebackene Fraktionsvize Lindner hat den Vorschlag am Mittwochmorgen nach außen getragen und sich damit direkt unbeliebt gemacht bei seinen Fraktionskollegen. Das sei eine "grobe Unsportlichkeit", sagte der FDP-Abgeordnete Jan Mücke zu sueddeutsche.de. In der Fraktion sei der Ärger über Lindner groß. Nach Informationen von sueddeutsche.de erwägen einige Abgeordnete gar, einen Abwahlantrag gegen Lindner zu stellen. Das Hauen und Stechen geht also munter weiter.

Und doch hat die Idee schnell Anhänger gefunden. Auch die Baden-Württemberger unterstützen das. Der FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke, sagt zu sueddeutsche.de, er halte es nach Rücksprache mit seiner Fraktion für "sinnvoll, wenn der Parteitag sich zu der Frage äußert", um die Personaldiskussion um Westerwelle endgültig zu beenden. Und zwar so oder so.

Dass die Südwest-Liberalen da mitmachen, verwundert nicht. Sie sehen offenbar ihren Landesverband beschädigt, weil ihre Vorsitzende Birgit Homburger so kurzerhand entmachtet worden ist. In der Tat ist Homburger die Einzige, die nach den verkorksten Landtagswahlen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg einen echten Machtverlust hinnehmen muss. Dabei gehört sie bei aller Kritik nicht zu denen, denen eine direkte Schuld an den Niederlagen angeheftet wird.

Mit dem in Aussicht gestellten Posten als Parteivize lässt sich der Machtverlust auch nur schlecht kompensieren. Pascal Kober, Abgeordneter aus Baden-Württemberg, sieht es so: "Wenn der Wunsch der Basis nach einem Votum groß ist, wird es Westerwelle als eine Frage der Ehre empfinden, sich dem zu stellen", sagte er zu sueddeutsche.de.

Westerwelle dürfte das anders sehen. Wenn es für ihn noch so etwas wie Fragen der Ehre gäbe, hätte er schließlich längst sein Amt zur Verfügung gestellt.

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